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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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fallen, auch nicht als der wilde Hexentanz der Revolution vorüber war. Frei¬
lich den damaligen Sieg über die Revolution verdanken wir nicht der jungen
konservativen Partei oder den Bestrebungen der innern Mission, sie waren nur
Bundesgenossen des Siegers von verhältnismäßig noch geringer Kraft; der
eigentliche Sieger war das alte Königtum, als dieses endlich das Szepter wieder
ergriff und sein wohlbewahrtes schneidiges Schwert aus der Scheide ziehen
ließ. Es waren für Preußen tiefernste Tage, jene Novembertage, in denen
es sich entscheiden mußte, ob das Wort des Königs noch Glauben und Ge¬
horsam im Lande finde, oder ob alles Volk bereits rettungslos der Revolution
verfallen sei; aber nach wenigen Tagen war es entschieden, das Heer und das
Land stand zu seinem König, und die großen Städte mußten sich fügen. Als
die Revolution in Preußen darniederlag, da war ihr Schicksal auch für ganz
Deutschland entschieden, mochte es immerhin auch noch manches heftigen Ringens
bedürfen und im Frühjahr 1849 noch langes blutiges Kämpfen in Dresden
und in Baden nötig werden.

Um die einmal wachgerufeneu bösen Geister auch innerlich zu überwinden,
dazu gehörte freilich mehr Zeit und mehr Arbeit, und man kann nicht behaupten,
daß die damaligen Machthaber immer mit der nötigen Liebe, Geduld und Ent¬
sagung gearbeitet hätten. Zumal in den kleinen deutschen Ländern war der
Abstand zwischen den in dem Sturmjahre erstrebten idealen Zielen, dem einigen,
großen, mächtigen deutschen Reich, und der nunmehrigen Wirklichkeit unter dem
wiederhergestellten Bundestage und den auf ihre Souveränität so eifersüchtigen
Duodezregierungen gar zu trübselig, als daß nicht ein tiefer Stachel in dem
Herzen aller derer hätte zurückbleiben müssen, die mit Aufmerksamkeit und mit
Vaterlandsliebe die öffentlichen Dinge beachteten, und dieser Stachel hat der
neuen deutschen Einigkeit, die 1866 und 1870 hergestellt wurde, gewaltig vor¬
gearbeitet, sodaß sich der Übergang aus der jahrhundertelangen Zerrissenheit
in das neue Reich so überraschend leicht vollziehen konnte. In Preußen
dagegen wurde die öffentliche Meinung von diesem Gefühl der Trostlosig¬
keit und Hoffnungslosigkeit mehr bewahrt; sie suchte und fand für die Ideale
der deutschen Einheit, die sie ohnehin nie mit solcher Inbrunst gepflegt
hatte, wie es in den Kleinstaaten geschehen war, einigermaßen Ersatz in der
Freude an der Kraft des preußischen Königshauses und an der Tüchtigkeit
seines Heeres. Diesem Heere wandte sich fortan die Liebe und die beste Kraft
des Volkes zu, und von jenem hochmütigen Bespötteln des Leutnants, wie es
vor 1848 in vielen Kreisen zum guten Ton gehört hatte, war fortan nichts
mehr zu spüren. Das preußische Königtum und das preußische Heer, sie gingen
mit neuer und erhöhter Kraft aus den Wirren des Rcvvlutivnsjahres hervor,
und so trug dies Jahr dazu bei, sie für die große, ihnen damals noch bevor¬
stehende und 1866 und 1870 gelöste Aufgabe, die Herstellung des deutscheu
Reiches, geschickter zu machen.


Grmzlwwi I. 1885. 72

fallen, auch nicht als der wilde Hexentanz der Revolution vorüber war. Frei¬
lich den damaligen Sieg über die Revolution verdanken wir nicht der jungen
konservativen Partei oder den Bestrebungen der innern Mission, sie waren nur
Bundesgenossen des Siegers von verhältnismäßig noch geringer Kraft; der
eigentliche Sieger war das alte Königtum, als dieses endlich das Szepter wieder
ergriff und sein wohlbewahrtes schneidiges Schwert aus der Scheide ziehen
ließ. Es waren für Preußen tiefernste Tage, jene Novembertage, in denen
es sich entscheiden mußte, ob das Wort des Königs noch Glauben und Ge¬
horsam im Lande finde, oder ob alles Volk bereits rettungslos der Revolution
verfallen sei; aber nach wenigen Tagen war es entschieden, das Heer und das
Land stand zu seinem König, und die großen Städte mußten sich fügen. Als
die Revolution in Preußen darniederlag, da war ihr Schicksal auch für ganz
Deutschland entschieden, mochte es immerhin auch noch manches heftigen Ringens
bedürfen und im Frühjahr 1849 noch langes blutiges Kämpfen in Dresden
und in Baden nötig werden.

Um die einmal wachgerufeneu bösen Geister auch innerlich zu überwinden,
dazu gehörte freilich mehr Zeit und mehr Arbeit, und man kann nicht behaupten,
daß die damaligen Machthaber immer mit der nötigen Liebe, Geduld und Ent¬
sagung gearbeitet hätten. Zumal in den kleinen deutschen Ländern war der
Abstand zwischen den in dem Sturmjahre erstrebten idealen Zielen, dem einigen,
großen, mächtigen deutschen Reich, und der nunmehrigen Wirklichkeit unter dem
wiederhergestellten Bundestage und den auf ihre Souveränität so eifersüchtigen
Duodezregierungen gar zu trübselig, als daß nicht ein tiefer Stachel in dem
Herzen aller derer hätte zurückbleiben müssen, die mit Aufmerksamkeit und mit
Vaterlandsliebe die öffentlichen Dinge beachteten, und dieser Stachel hat der
neuen deutschen Einigkeit, die 1866 und 1870 hergestellt wurde, gewaltig vor¬
gearbeitet, sodaß sich der Übergang aus der jahrhundertelangen Zerrissenheit
in das neue Reich so überraschend leicht vollziehen konnte. In Preußen
dagegen wurde die öffentliche Meinung von diesem Gefühl der Trostlosig¬
keit und Hoffnungslosigkeit mehr bewahrt; sie suchte und fand für die Ideale
der deutschen Einheit, die sie ohnehin nie mit solcher Inbrunst gepflegt
hatte, wie es in den Kleinstaaten geschehen war, einigermaßen Ersatz in der
Freude an der Kraft des preußischen Königshauses und an der Tüchtigkeit
seines Heeres. Diesem Heere wandte sich fortan die Liebe und die beste Kraft
des Volkes zu, und von jenem hochmütigen Bespötteln des Leutnants, wie es
vor 1848 in vielen Kreisen zum guten Ton gehört hatte, war fortan nichts
mehr zu spüren. Das preußische Königtum und das preußische Heer, sie gingen
mit neuer und erhöhter Kraft aus den Wirren des Rcvvlutivnsjahres hervor,
und so trug dies Jahr dazu bei, sie für die große, ihnen damals noch bevor¬
stehende und 1866 und 1870 gelöste Aufgabe, die Herstellung des deutscheu
Reiches, geschickter zu machen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/581>, abgerufen am 21.05.2024.