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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Die Kommilitone",

Barbara, deren Vater mit andern auf und abging, war mit dem Stabs¬
offizier an einer Säule stehen geblieben. Seine leutselige Art flößte ihr das
größte Vertrauen ein; sprach er doch in dein Tone, den er seiner erwachsenen
Tochter gegenüber gewohnt war. So fügte sichs, daß sie ihm bald ihr heim¬
liches Begehren verriet, nämlich wie sie gar so gern sich Zutritt in den Schul¬
saal zu der Ansprache verschaffen möchte. Seine hierfür angebotene Verwen¬
dung lehnte sie ab, vielmehr sann sie einer eigenmächtigeren Veranstaltung nach.
Schließlich langte sie aus ihrem Margnretcutäschchcn die blauweißgoldene Kappe
nebst dem Ccrevisband ihres Vaters und druckte unvermerkt das Cerevis flott
auf das helle Haar. Dazu nahm sie die kecke Haltung eines Studenten an
und scherzte: Ich möchte doch wissen, wer mir jetzt den Eintritt verwehren wird.

Der Stabsoffizier war, wie gesagt, in bester Laune. Er ging sofort auf
diesen Einfall der Frenndestochter ein, winkte ihr Beifall zu, bot ihr auch wie
zu sichersten Schutze seinen Arm und war schon im Begriffe, sie die Stufen
hineinzuführen -- denn das Anschlagen der Hausglocke beschied eben die Be¬
teiligten in die Aula --, als Pipin zu ihnen herankam und dem begonnenen
Spiele mit weit mehr Ernst entgegentrat, als das harmlose Vorhaben er¬
forderte.

Er hielt das Paar mit einer Handbewegung auf und mit einem Aus¬
drucke, wie etwa auf der Bühne, wenn Wallenstein wirkungsvoll seiner Thekla
wehrt, Max Piccolomini, dem Widersacher, bräutlich eutgegeuzufliegen. Er be¬
grenzte sich aber alsbald in der vollen Entwicklung der Aktion, da er selbst
fühlte, wie wenig eine derartige Gegenwirkung dem liebgcschätzten Freunde und
Gönner gegenüber am Platze sei. Er gab also ihm gegenüber in seinein Ge¬
sichtsausdruck die strenge Rolle gänzlich ans, und nur der Tochter gegenüber
blieb er -- und zwar nur im Tone und auch da nur halb -- ein Wallenstein,
indem er anhob: Wir vor allen müssen alles vermeiden, was uns als die¬
jenigen erkennen lassen könnte, die wir sind, nämlich als Schauspieler. Verstehst
du mich, Barbara?

Diese hatte schon die Hand von dem Arme des Stabsoffiziers mit fein
angedeuteten Danken und Umvergebnngbitteu gelöst und erwiederte ihrem Vater
nur: Freilich, Schauspieler! Dabei sah sie auf und schlug den Blick wieder
nieder, dann legte sie Kappe und Band ab, steckte beide wieder in die Tasche
und schloß sich ohne Widerrede einer kleinen dicken Dame um, die, auf sie zu¬
eilend, unter Liebkosungen sie mit sich fortnahm, um sie an den vorläufig für
sie bestimmten Freuden des Tages teilnehmen zu lassen. Denn die Frauen und
Töchter der Kommilitonen hatten einen Spaziergang durch die Stadt und die
Parkanlagen verabredet für die Zeit, während welcher der Nedcakt im Schul-
hause vor sich gehen sollte.

Vor dem Stabsoffizier erging sich dann der Schauspieler in wortreicherem
Entschuldigungen wegen der strengen Abweisung des Scherzes, wozu jener eine


Grenzboten I- 188S. 7
Die Kommilitone»,

Barbara, deren Vater mit andern auf und abging, war mit dem Stabs¬
offizier an einer Säule stehen geblieben. Seine leutselige Art flößte ihr das
größte Vertrauen ein; sprach er doch in dein Tone, den er seiner erwachsenen
Tochter gegenüber gewohnt war. So fügte sichs, daß sie ihm bald ihr heim¬
liches Begehren verriet, nämlich wie sie gar so gern sich Zutritt in den Schul¬
saal zu der Ansprache verschaffen möchte. Seine hierfür angebotene Verwen¬
dung lehnte sie ab, vielmehr sann sie einer eigenmächtigeren Veranstaltung nach.
Schließlich langte sie aus ihrem Margnretcutäschchcn die blauweißgoldene Kappe
nebst dem Ccrevisband ihres Vaters und druckte unvermerkt das Cerevis flott
auf das helle Haar. Dazu nahm sie die kecke Haltung eines Studenten an
und scherzte: Ich möchte doch wissen, wer mir jetzt den Eintritt verwehren wird.

Der Stabsoffizier war, wie gesagt, in bester Laune. Er ging sofort auf
diesen Einfall der Frenndestochter ein, winkte ihr Beifall zu, bot ihr auch wie
zu sichersten Schutze seinen Arm und war schon im Begriffe, sie die Stufen
hineinzuführen — denn das Anschlagen der Hausglocke beschied eben die Be¬
teiligten in die Aula —, als Pipin zu ihnen herankam und dem begonnenen
Spiele mit weit mehr Ernst entgegentrat, als das harmlose Vorhaben er¬
forderte.

Er hielt das Paar mit einer Handbewegung auf und mit einem Aus¬
drucke, wie etwa auf der Bühne, wenn Wallenstein wirkungsvoll seiner Thekla
wehrt, Max Piccolomini, dem Widersacher, bräutlich eutgegeuzufliegen. Er be¬
grenzte sich aber alsbald in der vollen Entwicklung der Aktion, da er selbst
fühlte, wie wenig eine derartige Gegenwirkung dem liebgcschätzten Freunde und
Gönner gegenüber am Platze sei. Er gab also ihm gegenüber in seinein Ge¬
sichtsausdruck die strenge Rolle gänzlich ans, und nur der Tochter gegenüber
blieb er — und zwar nur im Tone und auch da nur halb — ein Wallenstein,
indem er anhob: Wir vor allen müssen alles vermeiden, was uns als die¬
jenigen erkennen lassen könnte, die wir sind, nämlich als Schauspieler. Verstehst
du mich, Barbara?

Diese hatte schon die Hand von dem Arme des Stabsoffiziers mit fein
angedeuteten Danken und Umvergebnngbitteu gelöst und erwiederte ihrem Vater
nur: Freilich, Schauspieler! Dabei sah sie auf und schlug den Blick wieder
nieder, dann legte sie Kappe und Band ab, steckte beide wieder in die Tasche
und schloß sich ohne Widerrede einer kleinen dicken Dame um, die, auf sie zu¬
eilend, unter Liebkosungen sie mit sich fortnahm, um sie an den vorläufig für
sie bestimmten Freuden des Tages teilnehmen zu lassen. Denn die Frauen und
Töchter der Kommilitonen hatten einen Spaziergang durch die Stadt und die
Parkanlagen verabredet für die Zeit, während welcher der Nedcakt im Schul-
hause vor sich gehen sollte.

Vor dem Stabsoffizier erging sich dann der Schauspieler in wortreicherem
Entschuldigungen wegen der strengen Abweisung des Scherzes, wozu jener eine


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[0061] Die Kommilitone», Barbara, deren Vater mit andern auf und abging, war mit dem Stabs¬ offizier an einer Säule stehen geblieben. Seine leutselige Art flößte ihr das größte Vertrauen ein; sprach er doch in dein Tone, den er seiner erwachsenen Tochter gegenüber gewohnt war. So fügte sichs, daß sie ihm bald ihr heim¬ liches Begehren verriet, nämlich wie sie gar so gern sich Zutritt in den Schul¬ saal zu der Ansprache verschaffen möchte. Seine hierfür angebotene Verwen¬ dung lehnte sie ab, vielmehr sann sie einer eigenmächtigeren Veranstaltung nach. Schließlich langte sie aus ihrem Margnretcutäschchcn die blauweißgoldene Kappe nebst dem Ccrevisband ihres Vaters und druckte unvermerkt das Cerevis flott auf das helle Haar. Dazu nahm sie die kecke Haltung eines Studenten an und scherzte: Ich möchte doch wissen, wer mir jetzt den Eintritt verwehren wird. Der Stabsoffizier war, wie gesagt, in bester Laune. Er ging sofort auf diesen Einfall der Frenndestochter ein, winkte ihr Beifall zu, bot ihr auch wie zu sichersten Schutze seinen Arm und war schon im Begriffe, sie die Stufen hineinzuführen — denn das Anschlagen der Hausglocke beschied eben die Be¬ teiligten in die Aula —, als Pipin zu ihnen herankam und dem begonnenen Spiele mit weit mehr Ernst entgegentrat, als das harmlose Vorhaben er¬ forderte. Er hielt das Paar mit einer Handbewegung auf und mit einem Aus¬ drucke, wie etwa auf der Bühne, wenn Wallenstein wirkungsvoll seiner Thekla wehrt, Max Piccolomini, dem Widersacher, bräutlich eutgegeuzufliegen. Er be¬ grenzte sich aber alsbald in der vollen Entwicklung der Aktion, da er selbst fühlte, wie wenig eine derartige Gegenwirkung dem liebgcschätzten Freunde und Gönner gegenüber am Platze sei. Er gab also ihm gegenüber in seinein Ge¬ sichtsausdruck die strenge Rolle gänzlich ans, und nur der Tochter gegenüber blieb er — und zwar nur im Tone und auch da nur halb — ein Wallenstein, indem er anhob: Wir vor allen müssen alles vermeiden, was uns als die¬ jenigen erkennen lassen könnte, die wir sind, nämlich als Schauspieler. Verstehst du mich, Barbara? Diese hatte schon die Hand von dem Arme des Stabsoffiziers mit fein angedeuteten Danken und Umvergebnngbitteu gelöst und erwiederte ihrem Vater nur: Freilich, Schauspieler! Dabei sah sie auf und schlug den Blick wieder nieder, dann legte sie Kappe und Band ab, steckte beide wieder in die Tasche und schloß sich ohne Widerrede einer kleinen dicken Dame um, die, auf sie zu¬ eilend, unter Liebkosungen sie mit sich fortnahm, um sie an den vorläufig für sie bestimmten Freuden des Tages teilnehmen zu lassen. Denn die Frauen und Töchter der Kommilitonen hatten einen Spaziergang durch die Stadt und die Parkanlagen verabredet für die Zeit, während welcher der Nedcakt im Schul- hause vor sich gehen sollte. Vor dem Stabsoffizier erging sich dann der Schauspieler in wortreicherem Entschuldigungen wegen der strengen Abweisung des Scherzes, wozu jener eine Grenzboten I- 188S. 7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/61>, abgerufen am 21.05.2024.