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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Äußere und innere Kolonisation.

während z. B. in Westfalen mit seinem gesünder verteilten Grundbesitz jene
Güter 5061444. diese nur 1667 987 Morgen umfassen/')

Räume man die Notwendigkeit und Angemessenheit einer Vermehrung der
bäuerlichen deutschen Besitzungen ein, so entstehen vor allem drei Fragen: Wie ist
der erforderliche Grund und Boden zu beschaffen? Woher sollen die Kolonisten
genommen werden? In welcher Form soll diesen der Besitz überwiesen werden?

Für die erste Frage würde in erster Linie der erhebliche Krvnbesitz in Be¬
tracht kommen. Preußen besitzt in Posen an landwirtschaftlichen Domänen (nach
Meitzen) 127 406, an Forsten 602165 Morgen. Mit einer Zerschlagung eines
Teiles des Domänenbesitzes -- um eine Beseitigung aller großen Güter kann
man selbstverständlich nicht denken -- würde schon viel, aber nicht genng er¬
reicht sein. Ob ein erheblicher Teil des Waldbodens nicht wirtschaftlicher als
Ackerland bearbeitet werden würde, müßten die Spezialuntersuchnngeu ergeben,
ebenso, wie weit eine Urbarmachung und Besiedelung der Ödländereien und
Moore angebracht wäre. Vermutlich würden jedoch die ans diese Weise ver¬
fügbar werdenden Grundflächen nicht genng Spielraum für die deutsche Be¬
siedelung gewähren. Schon weil die Germanisirung aller Gebietsteile, ja gerade
der in polnischem Privatbesitz befindlichen, notwendig ist, würde die Negierung
auch zum Erwerb polnischer Güter schreiten müssen. Darf man den Stimmen
der Zentrums- und Pvleuführer glauben, so seufzen die polnischen Besitzer ja
so unter der preußischen Herrschaft, daß sie froh sein müßten, baares Geld für
ihre Güter zu erhalten und auszuwandern. Auf alle Fälle ist es höchst un¬
wahrscheinlich, daß es nicht möglich sein sollte, eine große Anzahl Güter auf
dem Wege freier Übereinkunft zu erstehen. Sollte diese Voraussetzung sich als
unrichtig erweisen, dann dürfte unsers Erachtens die Regierung im äußersten
Falle selbst vor einem auf verfassungsmäßigen Wege zu schaffenden Exprvpria-
tivnsrechte nicht zurückschrecken. Denn wenn alle andern Mittel und Wege er¬
schöpft sind, würde ein solches Recht, so hart und einschneidend es auch ist,
dnrch die Interessen des gesamten Reiches seine Rechtfertigung finden. Nur
energisches Handeln -- unbeirrt dnrch Phrasen von der Unverletzlichkeit des
heiligen privaten Eigentums, das sich schon so manchen Eingriff hat gefallen
lassen müssen -- kann hier helfen.

Die zweite Frage: Woher sollen die Kolonisten genommen werden? er¬
ledigt sich am einfachsten. In einer Zeit, in welcher in vielen Gegenden Deutsch¬
lands thatsächlich Übervölkerung herrscht, wo jährlich Tausende und Abertausende
ins Ausland wandern, werden sich auch geeignete und uicht ganz unbemittelte
Kolonisten für Besiedelungen in Deutschland selber finden, und umso leichter,



Bei diesem Vergleich dürfen freilich die verschiedne Bodenbeschaffenheit und Wirtschafts
inleusität nicht unbeachtet bleibe", welche aber doch die Gegeustttze nur abschwächen, nicht ver¬
wischen können.
Äußere und innere Kolonisation.

während z. B. in Westfalen mit seinem gesünder verteilten Grundbesitz jene
Güter 5061444. diese nur 1667 987 Morgen umfassen/')

Räume man die Notwendigkeit und Angemessenheit einer Vermehrung der
bäuerlichen deutschen Besitzungen ein, so entstehen vor allem drei Fragen: Wie ist
der erforderliche Grund und Boden zu beschaffen? Woher sollen die Kolonisten
genommen werden? In welcher Form soll diesen der Besitz überwiesen werden?

Für die erste Frage würde in erster Linie der erhebliche Krvnbesitz in Be¬
tracht kommen. Preußen besitzt in Posen an landwirtschaftlichen Domänen (nach
Meitzen) 127 406, an Forsten 602165 Morgen. Mit einer Zerschlagung eines
Teiles des Domänenbesitzes — um eine Beseitigung aller großen Güter kann
man selbstverständlich nicht denken — würde schon viel, aber nicht genng er¬
reicht sein. Ob ein erheblicher Teil des Waldbodens nicht wirtschaftlicher als
Ackerland bearbeitet werden würde, müßten die Spezialuntersuchnngeu ergeben,
ebenso, wie weit eine Urbarmachung und Besiedelung der Ödländereien und
Moore angebracht wäre. Vermutlich würden jedoch die ans diese Weise ver¬
fügbar werdenden Grundflächen nicht genng Spielraum für die deutsche Be¬
siedelung gewähren. Schon weil die Germanisirung aller Gebietsteile, ja gerade
der in polnischem Privatbesitz befindlichen, notwendig ist, würde die Negierung
auch zum Erwerb polnischer Güter schreiten müssen. Darf man den Stimmen
der Zentrums- und Pvleuführer glauben, so seufzen die polnischen Besitzer ja
so unter der preußischen Herrschaft, daß sie froh sein müßten, baares Geld für
ihre Güter zu erhalten und auszuwandern. Auf alle Fälle ist es höchst un¬
wahrscheinlich, daß es nicht möglich sein sollte, eine große Anzahl Güter auf
dem Wege freier Übereinkunft zu erstehen. Sollte diese Voraussetzung sich als
unrichtig erweisen, dann dürfte unsers Erachtens die Regierung im äußersten
Falle selbst vor einem auf verfassungsmäßigen Wege zu schaffenden Exprvpria-
tivnsrechte nicht zurückschrecken. Denn wenn alle andern Mittel und Wege er¬
schöpft sind, würde ein solches Recht, so hart und einschneidend es auch ist,
dnrch die Interessen des gesamten Reiches seine Rechtfertigung finden. Nur
energisches Handeln — unbeirrt dnrch Phrasen von der Unverletzlichkeit des
heiligen privaten Eigentums, das sich schon so manchen Eingriff hat gefallen
lassen müssen — kann hier helfen.

Die zweite Frage: Woher sollen die Kolonisten genommen werden? er¬
ledigt sich am einfachsten. In einer Zeit, in welcher in vielen Gegenden Deutsch¬
lands thatsächlich Übervölkerung herrscht, wo jährlich Tausende und Abertausende
ins Ausland wandern, werden sich auch geeignete und uicht ganz unbemittelte
Kolonisten für Besiedelungen in Deutschland selber finden, und umso leichter,



Bei diesem Vergleich dürfen freilich die verschiedne Bodenbeschaffenheit und Wirtschafts
inleusität nicht unbeachtet bleibe», welche aber doch die Gegeustttze nur abschwächen, nicht ver¬
wischen können.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/620>, abgerufen am 21.05.2024.