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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Kranken- und Unfallversicherung in der Seeschifffahrt.

seiner nicht ausgebliebenen Überproduktion an Dampferraum in erster Linie auf
die Lage der Seeleute sehr ungünstig eingewirkt, insofern dieser Übergang
zunächst die Veranlassung geworden ist, daß ein Teil der erfahrensten und besten,
noch ausschließlich der alten Schule der Segclschifffahrt angehörigen Seeleute
aus unüberwindlicher Abneigung gegen den Dampfbetrieb in andre Mariner,
besonders zahlreich in die Marine Nordamerikas übergetreten sind, welches selbst
weniger eine seefahrende Bevölkerung besitzt, als auf die Heranziehung fremder See¬
leute angewiesen ist, und welches noch eine Schifffahrt mit ausschließlicher Segel-
auwendung auf zahlreichen Linien betreibt. Sodann sind Nachteile dadurch ent¬
standen, daß an der Ostseeküste der hier besonders vorherrschenden Scgelschifsfahrt
durch die Konkurrenz der Dampfschifffahrtsgesellschaften und Nhedereien von Ham¬
burg und Bremen einerseits und Kiel und Stettin andrerseits starker Abbruch gethan
worden ist, der stellenweise zu einem Vollständiger Stillstande geführt hat. Be¬
sonders dadurch, daß namentlich in den kleineren Hafenstädten der holsteinischen,
pommerschen, mecklenburgischen und preußischen Küste die Nhederei fast traditionell
in deu Händen der Kapitäne der Schiffe als ihrer Besitzer liegt und diese teils
ans Mangel an Verständnis für die wirtschaftliche Tragweite neuer Verkehrs-
einrichtungen, teils auch aus Vermögenslosigkeit ihr Transportgewerbe dem
Dampfbetriebe nicht dienstbar zu machen gewußt haben, hat die .Kalamität der
Segclschifffahrt in den Ostseehäfen die gegenwärtige Höhe erreicht. Wo hin¬
gegen an der Ostseeküste der Schifffahrtsbetrieb kaufmännischen Rhedereien an¬
gehört, wie namentlich in Kiel, Flensburg und Stettin, da hat sich mit Hilfe
des kaufmännischen Kapitals auch hier dieser Übergang einigermaßen überwinden
lassen.

Es liegt außerhalb des Nahmens dieser Darlegung, des näheren nachzu¬
weisen, wie auf Grund dieser veränderten Verhältnisse im technischen Betriebe
unsrer Seeschisffnhrt die wirtschaftliche Lage unsrer Schiffsmannschaften nicht
mehr die frühere lohnende und vorteilhafte geblieben ist. Die beiden Umstände,
daß infolge der zunehmenden Dampfschifffahrt ein großer Teil der deutschen
Segelflvtte zur Unthätigkeit gezwungen wird und daß der Dampfschifffahrts¬
betrieb den deutschen Seeleuten alten Schlages unter heimatlicher Flagge den
Spielraum ihrer altgewohnten Thätigkeit beeinträchtigt, sind zwei thatsächliche
Voraussetzungen dafür geworden, daß sich gewisse wirtschaftliche Notstände in
der Lage unsrer Seemannschaften bemerkbar gemacht haben, deren Beseitigung
oder deren Milderung wenigstens schlechterdings unabweisbar zu werden scheint.
Die Frage der Sicherstellung unsrer Seeleute gegen die wirtschaftlichen Nach¬
teile der Gefahren ihres Berufslebens, welche schon seit längerer Zeit die
deutschen Schifffahrtskreise beschäftigt hat, hat man mit Rücksicht hierauf aus
ihren bisherigen theoretischen Erörterungen jetzt dein Stadium der praktischen
Allsführung näher geführt, und zwar gehen die Bemühungen darum von dem
Deutschen nautischen Vereine aus, einer Körperschaft, welche, da sie die nautischen


Kranken- und Unfallversicherung in der Seeschifffahrt.

seiner nicht ausgebliebenen Überproduktion an Dampferraum in erster Linie auf
die Lage der Seeleute sehr ungünstig eingewirkt, insofern dieser Übergang
zunächst die Veranlassung geworden ist, daß ein Teil der erfahrensten und besten,
noch ausschließlich der alten Schule der Segclschifffahrt angehörigen Seeleute
aus unüberwindlicher Abneigung gegen den Dampfbetrieb in andre Mariner,
besonders zahlreich in die Marine Nordamerikas übergetreten sind, welches selbst
weniger eine seefahrende Bevölkerung besitzt, als auf die Heranziehung fremder See¬
leute angewiesen ist, und welches noch eine Schifffahrt mit ausschließlicher Segel-
auwendung auf zahlreichen Linien betreibt. Sodann sind Nachteile dadurch ent¬
standen, daß an der Ostseeküste der hier besonders vorherrschenden Scgelschifsfahrt
durch die Konkurrenz der Dampfschifffahrtsgesellschaften und Nhedereien von Ham¬
burg und Bremen einerseits und Kiel und Stettin andrerseits starker Abbruch gethan
worden ist, der stellenweise zu einem Vollständiger Stillstande geführt hat. Be¬
sonders dadurch, daß namentlich in den kleineren Hafenstädten der holsteinischen,
pommerschen, mecklenburgischen und preußischen Küste die Nhederei fast traditionell
in deu Händen der Kapitäne der Schiffe als ihrer Besitzer liegt und diese teils
ans Mangel an Verständnis für die wirtschaftliche Tragweite neuer Verkehrs-
einrichtungen, teils auch aus Vermögenslosigkeit ihr Transportgewerbe dem
Dampfbetriebe nicht dienstbar zu machen gewußt haben, hat die .Kalamität der
Segclschifffahrt in den Ostseehäfen die gegenwärtige Höhe erreicht. Wo hin¬
gegen an der Ostseeküste der Schifffahrtsbetrieb kaufmännischen Rhedereien an¬
gehört, wie namentlich in Kiel, Flensburg und Stettin, da hat sich mit Hilfe
des kaufmännischen Kapitals auch hier dieser Übergang einigermaßen überwinden
lassen.

Es liegt außerhalb des Nahmens dieser Darlegung, des näheren nachzu¬
weisen, wie auf Grund dieser veränderten Verhältnisse im technischen Betriebe
unsrer Seeschisffnhrt die wirtschaftliche Lage unsrer Schiffsmannschaften nicht
mehr die frühere lohnende und vorteilhafte geblieben ist. Die beiden Umstände,
daß infolge der zunehmenden Dampfschifffahrt ein großer Teil der deutschen
Segelflvtte zur Unthätigkeit gezwungen wird und daß der Dampfschifffahrts¬
betrieb den deutschen Seeleuten alten Schlages unter heimatlicher Flagge den
Spielraum ihrer altgewohnten Thätigkeit beeinträchtigt, sind zwei thatsächliche
Voraussetzungen dafür geworden, daß sich gewisse wirtschaftliche Notstände in
der Lage unsrer Seemannschaften bemerkbar gemacht haben, deren Beseitigung
oder deren Milderung wenigstens schlechterdings unabweisbar zu werden scheint.
Die Frage der Sicherstellung unsrer Seeleute gegen die wirtschaftlichen Nach¬
teile der Gefahren ihres Berufslebens, welche schon seit längerer Zeit die
deutschen Schifffahrtskreise beschäftigt hat, hat man mit Rücksicht hierauf aus
ihren bisherigen theoretischen Erörterungen jetzt dein Stadium der praktischen
Allsführung näher geführt, und zwar gehen die Bemühungen darum von dem
Deutschen nautischen Vereine aus, einer Körperschaft, welche, da sie die nautischen


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[0624] Kranken- und Unfallversicherung in der Seeschifffahrt. seiner nicht ausgebliebenen Überproduktion an Dampferraum in erster Linie auf die Lage der Seeleute sehr ungünstig eingewirkt, insofern dieser Übergang zunächst die Veranlassung geworden ist, daß ein Teil der erfahrensten und besten, noch ausschließlich der alten Schule der Segclschifffahrt angehörigen Seeleute aus unüberwindlicher Abneigung gegen den Dampfbetrieb in andre Mariner, besonders zahlreich in die Marine Nordamerikas übergetreten sind, welches selbst weniger eine seefahrende Bevölkerung besitzt, als auf die Heranziehung fremder See¬ leute angewiesen ist, und welches noch eine Schifffahrt mit ausschließlicher Segel- auwendung auf zahlreichen Linien betreibt. Sodann sind Nachteile dadurch ent¬ standen, daß an der Ostseeküste der hier besonders vorherrschenden Scgelschifsfahrt durch die Konkurrenz der Dampfschifffahrtsgesellschaften und Nhedereien von Ham¬ burg und Bremen einerseits und Kiel und Stettin andrerseits starker Abbruch gethan worden ist, der stellenweise zu einem Vollständiger Stillstande geführt hat. Be¬ sonders dadurch, daß namentlich in den kleineren Hafenstädten der holsteinischen, pommerschen, mecklenburgischen und preußischen Küste die Nhederei fast traditionell in deu Händen der Kapitäne der Schiffe als ihrer Besitzer liegt und diese teils ans Mangel an Verständnis für die wirtschaftliche Tragweite neuer Verkehrs- einrichtungen, teils auch aus Vermögenslosigkeit ihr Transportgewerbe dem Dampfbetriebe nicht dienstbar zu machen gewußt haben, hat die .Kalamität der Segclschifffahrt in den Ostseehäfen die gegenwärtige Höhe erreicht. Wo hin¬ gegen an der Ostseeküste der Schifffahrtsbetrieb kaufmännischen Rhedereien an¬ gehört, wie namentlich in Kiel, Flensburg und Stettin, da hat sich mit Hilfe des kaufmännischen Kapitals auch hier dieser Übergang einigermaßen überwinden lassen. Es liegt außerhalb des Nahmens dieser Darlegung, des näheren nachzu¬ weisen, wie auf Grund dieser veränderten Verhältnisse im technischen Betriebe unsrer Seeschisffnhrt die wirtschaftliche Lage unsrer Schiffsmannschaften nicht mehr die frühere lohnende und vorteilhafte geblieben ist. Die beiden Umstände, daß infolge der zunehmenden Dampfschifffahrt ein großer Teil der deutschen Segelflvtte zur Unthätigkeit gezwungen wird und daß der Dampfschifffahrts¬ betrieb den deutschen Seeleuten alten Schlages unter heimatlicher Flagge den Spielraum ihrer altgewohnten Thätigkeit beeinträchtigt, sind zwei thatsächliche Voraussetzungen dafür geworden, daß sich gewisse wirtschaftliche Notstände in der Lage unsrer Seemannschaften bemerkbar gemacht haben, deren Beseitigung oder deren Milderung wenigstens schlechterdings unabweisbar zu werden scheint. Die Frage der Sicherstellung unsrer Seeleute gegen die wirtschaftlichen Nach¬ teile der Gefahren ihres Berufslebens, welche schon seit längerer Zeit die deutschen Schifffahrtskreise beschäftigt hat, hat man mit Rücksicht hierauf aus ihren bisherigen theoretischen Erörterungen jetzt dein Stadium der praktischen Allsführung näher geführt, und zwar gehen die Bemühungen darum von dem Deutschen nautischen Vereine aus, einer Körperschaft, welche, da sie die nautischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/624>, abgerufen am 15.05.2024.