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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Die afghanische Episode.

sein, wenn die Gerüchte, daß England beabsichtigte, Herat zu besetzen, sich be¬
stätigten sollten, was wir für die nächste Zeit noch nicht fürchten. Jene
Gerüchte haben in dein persischen Blatte "Scheins" (die Sonne) Ausdruck
für die westliche Welt gefunden. Es heißt da unter anderm: "Infolge eines
Befehls des Emirs Abdnrrachman wird die alte Heerstraße von Herat nach
Pcschnwer, die über Kabul führt, der sogenannte Köuigsweg, in aller Eile und
Beschleunigung ausgebessert, und eine Erneuerung der hölzernen Brücken der¬
selben ist im Gange. Man erzählt, nächstens werde eine Abteilung anglo-
indischer Truppen auf derselben hier (in Herat) eintreffen, was wohl nur eine
Verwechslung von afghanischen Truppen, die zur Verstärkung der Garnison
Herats abmarschirt sein mögen, mit anglo-indischen Streitkräften sein wird... Die
Heratis, welche gleich den Turkmenen Sunniten sind, aber ihrer Nationalität
und Sprache nach suur in der Mehrzahl zu den Persern gehören, sind ebenso¬
wenig den Engländern als den Russen zugeneigt. Sie wollen auch nichts
von dem beabsichtigte" Bau einer Eisenbahn von Maro nach ihrer Stadt
hören, weil die Russen dann die letztere und die ganze Umgegend mit ihren
Waaren überschwemmen würden, was unsern Kaufleuten, welche sich jetzt fast
ausschließlich von Indien her mit Vorräten versorgen, sehr empfindlichen
Schaden zufügen würde. Schon ist der Handel zwischen Herat und Merw,
der noch vor zwei Jahren blühte, seit der Besitznahme des letzteren durch
Nußland beinahe ans nichts herabgegangen."

Herat ist der Mittelpunkt des wirtschaftlichen und kommerziellen Verkehrs
mit Chorassan und dem Gebiete der Turkmenen. Wenn ferner den Engländer"?
gestattet würde, sich in Herat festzusetzen, so würde die Stellung der Russen in
den transkaspischen Ländern eine schwierige werden, und so kann die russische
Negierung zwar sonst mancherlei Zugeständnisse machen, in dieser Frage aber
nicht; sie kann auch in eine etwaige Verstärkung der jetzigen afghanischen
Garnison der Stadt durch Truppen des Emirs Abdnrrachman nicht willigen;
denn dieser handelt im Interesse und nach dem Rate Englands, seines politischen
Vormundes.

Während wir diese Betrachtung nochmals überblicken, treffen Mitteilungen
der offiziösen v-ni^ "co8 ein, ans denen man schließen darf, daß die afgha¬
nische "Episode" noch nicht ausgespielt hat. Es heißt da, das "bloß zeit¬
weilige Abkommen," nach welchem das Vorrücken der russischen Vorposten ein¬
gestellt werden sollte, berühre durchaus nicht die Hauptfrage, die in der Forderung
Englands gipfele, daß Nußland alle Stellungen zwischen Margab und Herirud
aufgebe, welche es seit der Ernennung der zur Regelung der afghanischen Nord-
westgrenze abgeordneten Kommission eingenommen habe. Die eigentliche eng¬
lische Note, die sich mit der Streitfrage sehr eingehend beschäftigt, soll in sehr
festem Ton abgefaßt und erst in diesen letzten Tagen nach Petersburg abge¬
gangen sein, sodaß sie noch nicht beantwortet sein kann.


Die afghanische Episode.

sein, wenn die Gerüchte, daß England beabsichtigte, Herat zu besetzen, sich be¬
stätigten sollten, was wir für die nächste Zeit noch nicht fürchten. Jene
Gerüchte haben in dein persischen Blatte „Scheins" (die Sonne) Ausdruck
für die westliche Welt gefunden. Es heißt da unter anderm: „Infolge eines
Befehls des Emirs Abdnrrachman wird die alte Heerstraße von Herat nach
Pcschnwer, die über Kabul führt, der sogenannte Köuigsweg, in aller Eile und
Beschleunigung ausgebessert, und eine Erneuerung der hölzernen Brücken der¬
selben ist im Gange. Man erzählt, nächstens werde eine Abteilung anglo-
indischer Truppen auf derselben hier (in Herat) eintreffen, was wohl nur eine
Verwechslung von afghanischen Truppen, die zur Verstärkung der Garnison
Herats abmarschirt sein mögen, mit anglo-indischen Streitkräften sein wird... Die
Heratis, welche gleich den Turkmenen Sunniten sind, aber ihrer Nationalität
und Sprache nach suur in der Mehrzahl zu den Persern gehören, sind ebenso¬
wenig den Engländern als den Russen zugeneigt. Sie wollen auch nichts
von dem beabsichtigte» Bau einer Eisenbahn von Maro nach ihrer Stadt
hören, weil die Russen dann die letztere und die ganze Umgegend mit ihren
Waaren überschwemmen würden, was unsern Kaufleuten, welche sich jetzt fast
ausschließlich von Indien her mit Vorräten versorgen, sehr empfindlichen
Schaden zufügen würde. Schon ist der Handel zwischen Herat und Merw,
der noch vor zwei Jahren blühte, seit der Besitznahme des letzteren durch
Nußland beinahe ans nichts herabgegangen."

Herat ist der Mittelpunkt des wirtschaftlichen und kommerziellen Verkehrs
mit Chorassan und dem Gebiete der Turkmenen. Wenn ferner den Engländer«?
gestattet würde, sich in Herat festzusetzen, so würde die Stellung der Russen in
den transkaspischen Ländern eine schwierige werden, und so kann die russische
Negierung zwar sonst mancherlei Zugeständnisse machen, in dieser Frage aber
nicht; sie kann auch in eine etwaige Verstärkung der jetzigen afghanischen
Garnison der Stadt durch Truppen des Emirs Abdnrrachman nicht willigen;
denn dieser handelt im Interesse und nach dem Rate Englands, seines politischen
Vormundes.

Während wir diese Betrachtung nochmals überblicken, treffen Mitteilungen
der offiziösen v-ni^ «co8 ein, ans denen man schließen darf, daß die afgha¬
nische „Episode" noch nicht ausgespielt hat. Es heißt da, das „bloß zeit¬
weilige Abkommen," nach welchem das Vorrücken der russischen Vorposten ein¬
gestellt werden sollte, berühre durchaus nicht die Hauptfrage, die in der Forderung
Englands gipfele, daß Nußland alle Stellungen zwischen Margab und Herirud
aufgebe, welche es seit der Ernennung der zur Regelung der afghanischen Nord-
westgrenze abgeordneten Kommission eingenommen habe. Die eigentliche eng¬
lische Note, die sich mit der Streitfrage sehr eingehend beschäftigt, soll in sehr
festem Ton abgefaßt und erst in diesen letzten Tagen nach Petersburg abge¬
gangen sein, sodaß sie noch nicht beantwortet sein kann.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/667>, abgerufen am 21.05.2024.