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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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schaft die volle Größe des heroischen Stils. Poussin und Cicade Lorrain haben
nichts erhabeneres geniale. Die Landschaften aus seiner brabantischen Umgebung
belebte er mit vornehmen Kavalieren und ihren Damen in den reichen Trachten
seiner Zeit, häufiger jedoch mit Landleuten bei ihrer Arbeit, auf der Heimkehr
vom Felde, mit Rinderherden, mit Pferden, Gänsen, Enten und Schafen, mit
Hirten, Fischern und Holzfällern. An dieser Staffage fand er allmählich ein
solches Gefälle", daß er sie immer bedeutungsvoller und reicher entwickelte und
endlich so sehr in den Vordergrund schob, daß aus der Landschaft mit figür¬
licher Staffage ein Genrebild mit landschaftlichen Hintergründe wurde.

Auch wenn man die ersten niederländischen Bauernmaler nennt, muß
man Rubens in ihrer Reihe aufzählen und ihm sogar einen Ehrenplatz darin
einräumen. Dieser universelle Geist konnte eben alles angreifen, was er wollte,
und stets kam etwas zu stände, was einen Höhepunkt auf dem betreffenden
Knnstgebiete bezeichnet. Die ausgelassensten Banerntünze und Kirmcßbelusti-
gungen eines Teniers des Jüngern sind zahm und geziert im Vergleich mit der
urwüchsigen Derbheit und der ungestümen, echt vlcimischen Kraft, welche sich
in den beiden Baucrnfesten von Rubens offenbaren, die der Louvre in Paris
und das Museum zu Madrid besitzen. Ju der Anordnung der Figuren sind
diese Bilder von einander verschieden, sie gleichen sich aber hinsichtlich der Verve
und Heißblütigkeit der Darstellung und der leuchtenden Kraft des Kolorits,
beide noch bewunderungswürdiger dadurch, daß sie Rubens etwa um 163S,
also wenige Jahre vor seinem Tode, malte. Im Mai jenes Jahres hatte
Rubens das Landgut van Steen zwischen Mecheln und Vilvorde gekauft, und
hier brachte er fortan die Sommermonate zu. Jene ländlichen Festgelage sind
also aus der frischen Anschauung der Natur erwachsei,, und daraus erklärt sich
die Unmittelbarkeit der Schilderung, die überquellende Lebensfülle. Alle Toll¬
heiten und Rohheiten, die ganze brutale Lustigkeit und Ungezogenheit, welche
bei Kirmeßbclustiguugeu zum Ausbruch kamen, hat Rubens nach seinen Be¬
obachtungen in diesen Bildern geschildert, ganz wie er auf seinen mythologischen
Kompositionen die Ausgelassenheit der Lymphen und die Derbheit der Satyrn
mit voller Unbefangenheit, mir in der Absicht, die höchste dramatische Wirkung
zu erzielen, dargestellt hat. Es sind Bacchanalien in modernem Gewände, und
mit Recht sagt Max Nooses von diesen Bildern, daß Teniers daneben "ein
wahrer Höfling, Jan Steen ein Spaßmacher ist, der seine Witze giebt, und van
Ostades und Brouwers Helden Schuljungen sind, die bei ihrer ersten Pfeife
und ihrem ersten Glase unwohl und unanständig geworden sind."

Einen starken Gegensatz zu diesen beiden Vancrnstücken bildet die unter
dem Namen "Der Liebesgarten" bekannte Komposition, welche in mehreren
Exemplaren vorhanden ist, von denen das des Madrider Museums am meisten
Anspruch darauf hat, für das von Rubens eigenhändig ausgeführte Original ge¬
halten zu werden. Man darf hinter dieser Komposition keine symbolische oder


schaft die volle Größe des heroischen Stils. Poussin und Cicade Lorrain haben
nichts erhabeneres geniale. Die Landschaften aus seiner brabantischen Umgebung
belebte er mit vornehmen Kavalieren und ihren Damen in den reichen Trachten
seiner Zeit, häufiger jedoch mit Landleuten bei ihrer Arbeit, auf der Heimkehr
vom Felde, mit Rinderherden, mit Pferden, Gänsen, Enten und Schafen, mit
Hirten, Fischern und Holzfällern. An dieser Staffage fand er allmählich ein
solches Gefälle», daß er sie immer bedeutungsvoller und reicher entwickelte und
endlich so sehr in den Vordergrund schob, daß aus der Landschaft mit figür¬
licher Staffage ein Genrebild mit landschaftlichen Hintergründe wurde.

Auch wenn man die ersten niederländischen Bauernmaler nennt, muß
man Rubens in ihrer Reihe aufzählen und ihm sogar einen Ehrenplatz darin
einräumen. Dieser universelle Geist konnte eben alles angreifen, was er wollte,
und stets kam etwas zu stände, was einen Höhepunkt auf dem betreffenden
Knnstgebiete bezeichnet. Die ausgelassensten Banerntünze und Kirmcßbelusti-
gungen eines Teniers des Jüngern sind zahm und geziert im Vergleich mit der
urwüchsigen Derbheit und der ungestümen, echt vlcimischen Kraft, welche sich
in den beiden Baucrnfesten von Rubens offenbaren, die der Louvre in Paris
und das Museum zu Madrid besitzen. Ju der Anordnung der Figuren sind
diese Bilder von einander verschieden, sie gleichen sich aber hinsichtlich der Verve
und Heißblütigkeit der Darstellung und der leuchtenden Kraft des Kolorits,
beide noch bewunderungswürdiger dadurch, daß sie Rubens etwa um 163S,
also wenige Jahre vor seinem Tode, malte. Im Mai jenes Jahres hatte
Rubens das Landgut van Steen zwischen Mecheln und Vilvorde gekauft, und
hier brachte er fortan die Sommermonate zu. Jene ländlichen Festgelage sind
also aus der frischen Anschauung der Natur erwachsei,, und daraus erklärt sich
die Unmittelbarkeit der Schilderung, die überquellende Lebensfülle. Alle Toll¬
heiten und Rohheiten, die ganze brutale Lustigkeit und Ungezogenheit, welche
bei Kirmeßbclustiguugeu zum Ausbruch kamen, hat Rubens nach seinen Be¬
obachtungen in diesen Bildern geschildert, ganz wie er auf seinen mythologischen
Kompositionen die Ausgelassenheit der Lymphen und die Derbheit der Satyrn
mit voller Unbefangenheit, mir in der Absicht, die höchste dramatische Wirkung
zu erzielen, dargestellt hat. Es sind Bacchanalien in modernem Gewände, und
mit Recht sagt Max Nooses von diesen Bildern, daß Teniers daneben „ein
wahrer Höfling, Jan Steen ein Spaßmacher ist, der seine Witze giebt, und van
Ostades und Brouwers Helden Schuljungen sind, die bei ihrer ersten Pfeife
und ihrem ersten Glase unwohl und unanständig geworden sind."

Einen starken Gegensatz zu diesen beiden Vancrnstücken bildet die unter
dem Namen „Der Liebesgarten" bekannte Komposition, welche in mehreren
Exemplaren vorhanden ist, von denen das des Madrider Museums am meisten
Anspruch darauf hat, für das von Rubens eigenhändig ausgeführte Original ge¬
halten zu werden. Man darf hinter dieser Komposition keine symbolische oder


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[0691] schaft die volle Größe des heroischen Stils. Poussin und Cicade Lorrain haben nichts erhabeneres geniale. Die Landschaften aus seiner brabantischen Umgebung belebte er mit vornehmen Kavalieren und ihren Damen in den reichen Trachten seiner Zeit, häufiger jedoch mit Landleuten bei ihrer Arbeit, auf der Heimkehr vom Felde, mit Rinderherden, mit Pferden, Gänsen, Enten und Schafen, mit Hirten, Fischern und Holzfällern. An dieser Staffage fand er allmählich ein solches Gefälle», daß er sie immer bedeutungsvoller und reicher entwickelte und endlich so sehr in den Vordergrund schob, daß aus der Landschaft mit figür¬ licher Staffage ein Genrebild mit landschaftlichen Hintergründe wurde. Auch wenn man die ersten niederländischen Bauernmaler nennt, muß man Rubens in ihrer Reihe aufzählen und ihm sogar einen Ehrenplatz darin einräumen. Dieser universelle Geist konnte eben alles angreifen, was er wollte, und stets kam etwas zu stände, was einen Höhepunkt auf dem betreffenden Knnstgebiete bezeichnet. Die ausgelassensten Banerntünze und Kirmcßbelusti- gungen eines Teniers des Jüngern sind zahm und geziert im Vergleich mit der urwüchsigen Derbheit und der ungestümen, echt vlcimischen Kraft, welche sich in den beiden Baucrnfesten von Rubens offenbaren, die der Louvre in Paris und das Museum zu Madrid besitzen. Ju der Anordnung der Figuren sind diese Bilder von einander verschieden, sie gleichen sich aber hinsichtlich der Verve und Heißblütigkeit der Darstellung und der leuchtenden Kraft des Kolorits, beide noch bewunderungswürdiger dadurch, daß sie Rubens etwa um 163S, also wenige Jahre vor seinem Tode, malte. Im Mai jenes Jahres hatte Rubens das Landgut van Steen zwischen Mecheln und Vilvorde gekauft, und hier brachte er fortan die Sommermonate zu. Jene ländlichen Festgelage sind also aus der frischen Anschauung der Natur erwachsei,, und daraus erklärt sich die Unmittelbarkeit der Schilderung, die überquellende Lebensfülle. Alle Toll¬ heiten und Rohheiten, die ganze brutale Lustigkeit und Ungezogenheit, welche bei Kirmeßbclustiguugeu zum Ausbruch kamen, hat Rubens nach seinen Be¬ obachtungen in diesen Bildern geschildert, ganz wie er auf seinen mythologischen Kompositionen die Ausgelassenheit der Lymphen und die Derbheit der Satyrn mit voller Unbefangenheit, mir in der Absicht, die höchste dramatische Wirkung zu erzielen, dargestellt hat. Es sind Bacchanalien in modernem Gewände, und mit Recht sagt Max Nooses von diesen Bildern, daß Teniers daneben „ein wahrer Höfling, Jan Steen ein Spaßmacher ist, der seine Witze giebt, und van Ostades und Brouwers Helden Schuljungen sind, die bei ihrer ersten Pfeife und ihrem ersten Glase unwohl und unanständig geworden sind." Einen starken Gegensatz zu diesen beiden Vancrnstücken bildet die unter dem Namen „Der Liebesgarten" bekannte Komposition, welche in mehreren Exemplaren vorhanden ist, von denen das des Madrider Museums am meisten Anspruch darauf hat, für das von Rubens eigenhändig ausgeführte Original ge¬ halten zu werden. Man darf hinter dieser Komposition keine symbolische oder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/691>, abgerufen am 21.05.2024.