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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Zur deutschen und zur österreichischen Frage.

weniger den, daß ein slavisirtes Österreich ein Schutz gegen den Panslavismus
sei. Allein mehr politischer Verstand scheint uns doch in den Hcirtmannschen
Spekulationen zu stecken, als in den Brinzschen Gegenbemerknngen. Achtzehn
Jahre lang mühte man sich damit ub, ein gesundes Verhältnis herzustellen
zwischen den rein- oder weitüberwiegenddeutscheu Ländern einerseits und einem
Staate, in welchem die deutsche Bevölkerung die Minderheit bildet, nichts wurde
unversucht gelassen, bis endlich die Aufgabe als unlösbar erkannt werden mußte.
Als die Trennung erfolgte, war man geneigt, daß einzige Hindernis einer andern
Lösung in dem Nebeneinander zweier Großmächte, einer deutschen und einer nur
zum Teil deutschen, zu sehen. Seitdem haben wir einsehen lernen, daß eine
wohl ebenso große Schwierigkeit in der Zusammensetzung Österreichs - selbst
bestand. Als nicht mehr der außerdeutsche Besitzstand der Krone mit seinem
Gewichte die deutschen Ansprüche Österreichs zu rechtfertigen hatte, begannen die
inneren Kämpfe mit erneuter Gewalt, trat an die Stelle der deutschen die
österreichische Frage, auf welche auch die letzten achtzehn Jahre noch keine Antwort
gebracht haben. Und auch da ist nichts unversucht geblieben. Wenn nun ein
deutscher Patriot sagt: Ich gebe die Hoffnung auf. daß dieser Knäuel zum
Vorteil der deutschen Nationalität in Österreich entwirrt werden könne; auf
keinen Fall darf das kostbare Gut der Einigung der außerösterreichischen
deutschen Länder wieder gefährdet werden, eher sollen die Deutschösterrcicher
von den Slaven aufgezehrt werden: dann kann dagegen mancherlei eingewandt
werden, allein es ist doch ein Standpunkt. Aber der Politiker Brinz hat gar
keinen Boden unter den Füßen. Fürst Schwarzenberg und Schmerling träumten
einen österreichischen Einheitsstaat, der zugleich die Führung in Deutschland
haben sollte -- wie diese Doppelstellung möglich zu machen wäre, darüber zer¬
brachen sich wohl beide nicht sonderlich den Kopf; die Eventualität, daß Preußen
sich nicht gutwillig auf die Stufe der Mittclstaaten hinabdrücken lassen könne,
faßte man lieber nicht ins Auge, so wenig wie die Frankfurter Kaisermacher den
Fall der Nichtannahme der Krone in Erwägung gezogen hatten; wozu berechnen,
was ja hoffentlich nicht eintreten wird? das Ungewünschte kommt immer noch
früh genug, und dann ist es Zeit, Entschlüsse zu fassen. Mit der Demütigung
Preußens ist es jetzt nichts. Vielmehr müßten die "Großdeutschen" sich nun
fragen, was sie mit Österreich beginnen wollen, wenn dessen deutsche Länder dem
Reiche einverleibt werden sollen. Wollen sie Österreich zerschlagen? Galizien,
Ungarn, Dalmatien u. s. w. sich selbst überlassen und dem deutschen Reiche eine
Menge von neuen Elementen zuführen, welche nationale oder religiöse Antipathie
oder beide mitbringen, die zentrifugalen und antinationalen Kräfte erheblich ver¬
stärken würden? Wollen sie, um dieses Ziel zu erreichen, einen neuen Krieg
entzünden? Oder glauben sie mit Zeitungsartikeln den Kaiser von Österreich
zum Abtreten seiner deutschen Besitzungen bewegen zu können? Oder wenn sie
nicht so weit denken, wie soll dann den Deutschen in Österreich genützt werden?


Grenzboten I. 188S. 86
Zur deutschen und zur österreichischen Frage.

weniger den, daß ein slavisirtes Österreich ein Schutz gegen den Panslavismus
sei. Allein mehr politischer Verstand scheint uns doch in den Hcirtmannschen
Spekulationen zu stecken, als in den Brinzschen Gegenbemerknngen. Achtzehn
Jahre lang mühte man sich damit ub, ein gesundes Verhältnis herzustellen
zwischen den rein- oder weitüberwiegenddeutscheu Ländern einerseits und einem
Staate, in welchem die deutsche Bevölkerung die Minderheit bildet, nichts wurde
unversucht gelassen, bis endlich die Aufgabe als unlösbar erkannt werden mußte.
Als die Trennung erfolgte, war man geneigt, daß einzige Hindernis einer andern
Lösung in dem Nebeneinander zweier Großmächte, einer deutschen und einer nur
zum Teil deutschen, zu sehen. Seitdem haben wir einsehen lernen, daß eine
wohl ebenso große Schwierigkeit in der Zusammensetzung Österreichs - selbst
bestand. Als nicht mehr der außerdeutsche Besitzstand der Krone mit seinem
Gewichte die deutschen Ansprüche Österreichs zu rechtfertigen hatte, begannen die
inneren Kämpfe mit erneuter Gewalt, trat an die Stelle der deutschen die
österreichische Frage, auf welche auch die letzten achtzehn Jahre noch keine Antwort
gebracht haben. Und auch da ist nichts unversucht geblieben. Wenn nun ein
deutscher Patriot sagt: Ich gebe die Hoffnung auf. daß dieser Knäuel zum
Vorteil der deutschen Nationalität in Österreich entwirrt werden könne; auf
keinen Fall darf das kostbare Gut der Einigung der außerösterreichischen
deutschen Länder wieder gefährdet werden, eher sollen die Deutschösterrcicher
von den Slaven aufgezehrt werden: dann kann dagegen mancherlei eingewandt
werden, allein es ist doch ein Standpunkt. Aber der Politiker Brinz hat gar
keinen Boden unter den Füßen. Fürst Schwarzenberg und Schmerling träumten
einen österreichischen Einheitsstaat, der zugleich die Führung in Deutschland
haben sollte — wie diese Doppelstellung möglich zu machen wäre, darüber zer¬
brachen sich wohl beide nicht sonderlich den Kopf; die Eventualität, daß Preußen
sich nicht gutwillig auf die Stufe der Mittclstaaten hinabdrücken lassen könne,
faßte man lieber nicht ins Auge, so wenig wie die Frankfurter Kaisermacher den
Fall der Nichtannahme der Krone in Erwägung gezogen hatten; wozu berechnen,
was ja hoffentlich nicht eintreten wird? das Ungewünschte kommt immer noch
früh genug, und dann ist es Zeit, Entschlüsse zu fassen. Mit der Demütigung
Preußens ist es jetzt nichts. Vielmehr müßten die „Großdeutschen" sich nun
fragen, was sie mit Österreich beginnen wollen, wenn dessen deutsche Länder dem
Reiche einverleibt werden sollen. Wollen sie Österreich zerschlagen? Galizien,
Ungarn, Dalmatien u. s. w. sich selbst überlassen und dem deutschen Reiche eine
Menge von neuen Elementen zuführen, welche nationale oder religiöse Antipathie
oder beide mitbringen, die zentrifugalen und antinationalen Kräfte erheblich ver¬
stärken würden? Wollen sie, um dieses Ziel zu erreichen, einen neuen Krieg
entzünden? Oder glauben sie mit Zeitungsartikeln den Kaiser von Österreich
zum Abtreten seiner deutschen Besitzungen bewegen zu können? Oder wenn sie
nicht so weit denken, wie soll dann den Deutschen in Österreich genützt werden?


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[0693] Zur deutschen und zur österreichischen Frage. weniger den, daß ein slavisirtes Österreich ein Schutz gegen den Panslavismus sei. Allein mehr politischer Verstand scheint uns doch in den Hcirtmannschen Spekulationen zu stecken, als in den Brinzschen Gegenbemerknngen. Achtzehn Jahre lang mühte man sich damit ub, ein gesundes Verhältnis herzustellen zwischen den rein- oder weitüberwiegenddeutscheu Ländern einerseits und einem Staate, in welchem die deutsche Bevölkerung die Minderheit bildet, nichts wurde unversucht gelassen, bis endlich die Aufgabe als unlösbar erkannt werden mußte. Als die Trennung erfolgte, war man geneigt, daß einzige Hindernis einer andern Lösung in dem Nebeneinander zweier Großmächte, einer deutschen und einer nur zum Teil deutschen, zu sehen. Seitdem haben wir einsehen lernen, daß eine wohl ebenso große Schwierigkeit in der Zusammensetzung Österreichs - selbst bestand. Als nicht mehr der außerdeutsche Besitzstand der Krone mit seinem Gewichte die deutschen Ansprüche Österreichs zu rechtfertigen hatte, begannen die inneren Kämpfe mit erneuter Gewalt, trat an die Stelle der deutschen die österreichische Frage, auf welche auch die letzten achtzehn Jahre noch keine Antwort gebracht haben. Und auch da ist nichts unversucht geblieben. Wenn nun ein deutscher Patriot sagt: Ich gebe die Hoffnung auf. daß dieser Knäuel zum Vorteil der deutschen Nationalität in Österreich entwirrt werden könne; auf keinen Fall darf das kostbare Gut der Einigung der außerösterreichischen deutschen Länder wieder gefährdet werden, eher sollen die Deutschösterrcicher von den Slaven aufgezehrt werden: dann kann dagegen mancherlei eingewandt werden, allein es ist doch ein Standpunkt. Aber der Politiker Brinz hat gar keinen Boden unter den Füßen. Fürst Schwarzenberg und Schmerling träumten einen österreichischen Einheitsstaat, der zugleich die Führung in Deutschland haben sollte — wie diese Doppelstellung möglich zu machen wäre, darüber zer¬ brachen sich wohl beide nicht sonderlich den Kopf; die Eventualität, daß Preußen sich nicht gutwillig auf die Stufe der Mittclstaaten hinabdrücken lassen könne, faßte man lieber nicht ins Auge, so wenig wie die Frankfurter Kaisermacher den Fall der Nichtannahme der Krone in Erwägung gezogen hatten; wozu berechnen, was ja hoffentlich nicht eintreten wird? das Ungewünschte kommt immer noch früh genug, und dann ist es Zeit, Entschlüsse zu fassen. Mit der Demütigung Preußens ist es jetzt nichts. Vielmehr müßten die „Großdeutschen" sich nun fragen, was sie mit Österreich beginnen wollen, wenn dessen deutsche Länder dem Reiche einverleibt werden sollen. Wollen sie Österreich zerschlagen? Galizien, Ungarn, Dalmatien u. s. w. sich selbst überlassen und dem deutschen Reiche eine Menge von neuen Elementen zuführen, welche nationale oder religiöse Antipathie oder beide mitbringen, die zentrifugalen und antinationalen Kräfte erheblich ver¬ stärken würden? Wollen sie, um dieses Ziel zu erreichen, einen neuen Krieg entzünden? Oder glauben sie mit Zeitungsartikeln den Kaiser von Österreich zum Abtreten seiner deutschen Besitzungen bewegen zu können? Oder wenn sie nicht so weit denken, wie soll dann den Deutschen in Österreich genützt werden? Grenzboten I. 188S. 86

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/693>, abgerufen am 22.05.2024.