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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Die Verwaltungsgerichtsbarkeit in Preußen.

dem Rechte der Eroberung beruhenden und in derselben Weise durch die
Belehrung auf die Territorialherren übergegangenen Hoheitsrechte, welche
jetzt noch im allgemeinen Landrechte aufgezählt werden, waren durch die Mit¬
wirkung der Staude bei der Ausübung dieser Rechte stark beeinträchtigt und
verdunkelt worden, sodaß sie den Anforderungen der bewegten Zeit nicht mehr
genügten und der Monarch sich genötigt sah, das Steuer des Stnatsschiffes
selbst und ohne Mitwirkung der Stände mit kräftiger Hand zu ergreifen, wenn
dasselbe nicht sinken und die Bemannung nicht rettungslos verderben sollte.
Es war mithin ein hohes Verdienst um das der Gefahr des Unterganges aus¬
gesetzte Vaterland und ein Akt der Notwehr im Interesse des allgemeinen
Wohles, wenn der Landesherr in die Befugnisse der lediglich in seinem Namen
und in seinem Auftrage arbeitenden Richter eingriff, da diese ihre einmal ein¬
gelernte Wissenschaft mit den Forderungen der Zeit nicht in Übereinstimmung
zu bringen vermochten und als gewissenhafte Gelehrte auch nicht Wohl konnten.
Es war ein tragischer Konflikt, in welchen die damaligen Gerichte, denen auch
ständische, d. h. von den Ständen erwählte Beisitzer angehörten, gerieten, wenn
sie in Sachen des öffentlichen Rechtes ein Urteil sprechen sollten; denn wollten
sie nach dem bestehenden Rechte urteilen, so konnten sie den Anforderungen des
monarchischen Prinzips nicht Rechnung tragen, wollten sie aber das letztere,
so verletzten sie wieder das auf der ständischen Verfassung beruhende Recht.
Unter diesen Umständen blieb garnichts weiter übrig, als für die Angelegen¬
heiten des öffentlichen Rechtes besondre Gerichtshöfe einzusetzen, wobei auch deu
ordentlichen Gerichten keinerlei wohlerworbene Rechte entzogen wurden. Während
die französischen Evolutionen sich als Gewaltakte und Willkürlichkeiten darstellten,
fehlte es in Brandenburg-Preußen zur Substantiirung einer gleichen Anklage
an dem objektiven Thatbestände, weil nichts vorhanden war, was zu "rauben"
gewesen wäre. Dem Landesherrn allein gebührte die Einsetzung der Richter
und die Bestimmung der Zuständigkeiten derselben, und es war ihm nach dem
geltenden Staatsrechte unbenommen, für gewisse Rechtsgebiete auch besondre
Richter und Gerichtshöfe zu bestimmen. Während die französischen Evokationen
lediglich die Erweiterung der königlichen Macht bezweckten und zur Unterdrückung
des Volkes führen mußten, hatten die ähnlichen Maßnahmen der brandenburgisch-
preußischen Monarchen, in direktem Gegensatze dazu, nur das Wohl des Volkes,
die Befreiung desselben von dem unleidlich gewordenen Drucke der Stände zum
Ziele. Während in Frankreich das Volk mit Furcht und Grauen auf die könig¬
lichen Ausnahmegerichte blickte und sich nach dem Ausspruche des gesetzlich allein
berechtigten Richters sehnte, flüchtete das hartbedrängte brandenburgisch-preußische
Volk mit Freuden und mit berechtigtem Vertrauen unter die Fittige des mäch¬
tigen Adlers, um gegen die Verfolgungen kleiner, selbstsüchtiger und liebloser
Tyrannen Schutz zu finden.


Die Verwaltungsgerichtsbarkeit in Preußen.

dem Rechte der Eroberung beruhenden und in derselben Weise durch die
Belehrung auf die Territorialherren übergegangenen Hoheitsrechte, welche
jetzt noch im allgemeinen Landrechte aufgezählt werden, waren durch die Mit¬
wirkung der Staude bei der Ausübung dieser Rechte stark beeinträchtigt und
verdunkelt worden, sodaß sie den Anforderungen der bewegten Zeit nicht mehr
genügten und der Monarch sich genötigt sah, das Steuer des Stnatsschiffes
selbst und ohne Mitwirkung der Stände mit kräftiger Hand zu ergreifen, wenn
dasselbe nicht sinken und die Bemannung nicht rettungslos verderben sollte.
Es war mithin ein hohes Verdienst um das der Gefahr des Unterganges aus¬
gesetzte Vaterland und ein Akt der Notwehr im Interesse des allgemeinen
Wohles, wenn der Landesherr in die Befugnisse der lediglich in seinem Namen
und in seinem Auftrage arbeitenden Richter eingriff, da diese ihre einmal ein¬
gelernte Wissenschaft mit den Forderungen der Zeit nicht in Übereinstimmung
zu bringen vermochten und als gewissenhafte Gelehrte auch nicht Wohl konnten.
Es war ein tragischer Konflikt, in welchen die damaligen Gerichte, denen auch
ständische, d. h. von den Ständen erwählte Beisitzer angehörten, gerieten, wenn
sie in Sachen des öffentlichen Rechtes ein Urteil sprechen sollten; denn wollten
sie nach dem bestehenden Rechte urteilen, so konnten sie den Anforderungen des
monarchischen Prinzips nicht Rechnung tragen, wollten sie aber das letztere,
so verletzten sie wieder das auf der ständischen Verfassung beruhende Recht.
Unter diesen Umständen blieb garnichts weiter übrig, als für die Angelegen¬
heiten des öffentlichen Rechtes besondre Gerichtshöfe einzusetzen, wobei auch deu
ordentlichen Gerichten keinerlei wohlerworbene Rechte entzogen wurden. Während
die französischen Evolutionen sich als Gewaltakte und Willkürlichkeiten darstellten,
fehlte es in Brandenburg-Preußen zur Substantiirung einer gleichen Anklage
an dem objektiven Thatbestände, weil nichts vorhanden war, was zu „rauben"
gewesen wäre. Dem Landesherrn allein gebührte die Einsetzung der Richter
und die Bestimmung der Zuständigkeiten derselben, und es war ihm nach dem
geltenden Staatsrechte unbenommen, für gewisse Rechtsgebiete auch besondre
Richter und Gerichtshöfe zu bestimmen. Während die französischen Evokationen
lediglich die Erweiterung der königlichen Macht bezweckten und zur Unterdrückung
des Volkes führen mußten, hatten die ähnlichen Maßnahmen der brandenburgisch-
preußischen Monarchen, in direktem Gegensatze dazu, nur das Wohl des Volkes,
die Befreiung desselben von dem unleidlich gewordenen Drucke der Stände zum
Ziele. Während in Frankreich das Volk mit Furcht und Grauen auf die könig¬
lichen Ausnahmegerichte blickte und sich nach dem Ausspruche des gesetzlich allein
berechtigten Richters sehnte, flüchtete das hartbedrängte brandenburgisch-preußische
Volk mit Freuden und mit berechtigtem Vertrauen unter die Fittige des mäch¬
tigen Adlers, um gegen die Verfolgungen kleiner, selbstsüchtiger und liebloser
Tyrannen Schutz zu finden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/90>, abgerufen am 14.06.2024.