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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Aus den letzten Tagen des Frankfurter Parlaments.

hat. Eine Möglichkeit ist die, daß die preußische und bairische Regierung die
Deputirten ihrer Länder von Frankfurt abberufen. Ich vermute, daß viele doch
gehorchen würden, und dann ist eine Fortdauer des Parlaments nur denkbar,
wenn die Entschiednen sich auf den Boon der Revolution stellen und dem
Bestehenden offen den Krieg erklären. (Was ich in diesem Falle thäte, ist uicht
nötig zu sagen). Leicht könnte es geschehen, daß die Nationalversammlung mit
einem Protest an das deutsche Volk sich auflöste. In letzterm Falle wäre vor¬
läufig das große Drama zu Ende, aber auch nur vorläufig. Doch einstweilen
genug. In einer halben Stunde muß ich in die Paulskirche, die schon wieder
mit Neugierigen sich füllt."

Das Haus begann diese Sitzung (30. April) unter heftiger Aufregung über
die während der letzten Tage eingelaufenen Nachrichten und nahm deshalb den
ausführlichen Bericht des Reichsministers Duckwitz über den Stand der Marine-
augelegenhciten "mit hartem Undank," d. h. mit großer Unaufmerksamkeit auf,
denn nähere Sorgen drängten. Um das Fortbestehen des Parlaments gegen
etwaige Sprengungsversuche zu sichern, beschloß die Mehrheit nach den auch
vou N. mit unterstützten Anträgen von Simon (Trier) und Goltz (Brieg), das
Präsidium zu ermächtigen, zu jeder Zeit und an jedem Orte Sitzungen anzu¬
setzen, es zu verpflichten, eine außerordentliche Sitzung zu veranstalten, wenn
hundert Mitglieder es beantragten, und die zur Beschlußfähigkeit notwendige Zahl
auf hundert herabzusetzen. Weiter fand der Antrag Ziegerts und Kierulffs, das Haus
möge seine Mißbilligung der Kammerauflösungen in Hannover und Berlin aus-
sprechen und durch die Zentralgewalt beide Regierungen zur sofortigen Aus-
schreibung von Neuwahlen auffordern, ohne Debatte Genehmigung.

Diese Beschlüsse bewiesen, daß die Versammlung ihre gefährdete Lage
erkannte, aber helfen konnten sie nichts mehr. Auch der von N. mit gestellte
Spezialantrag der sächsischen Abgeordneten, die auf die am 1. Mai eingetroffene
Nachricht von der Auflösung der sächsischen Kammern sich am Vormittage des
zweitfolgenden Tages im Sarasinschen Hanse sich zur Beratung darüber ver¬
sammelt hatten, die Nationalversammlung möge ihre Mißbilligung erklären, die
sächsische Negierung zur ungesäumten Ausschreibung von Neuwahlen anhalten
und die noch bestehenden gesetzlichen Organe des sächsischen Volkes zum Ein¬
treten für die Reichsverfassung auffordern, hätte nichts gefruchtet, selbst wenn
das Haus nicht darüber zur motivirten Tagesordnung übergegangen wäre. "Den
Fall der Kammern, schreibt N. darüber, beklage ich an sich nicht, aber unter
den gegenwärtigen Verhältnissen ist er bedenklich, weil er zeigt, daß die größeren
Regierungen in ihrem Auftreten gegen die Reichsverfassung durch nichts sich
wollen hindern lassen." Eine (gesetzliche) Erhebung in Sachsen zu gunsten derselben
erwartete er übrigens uicht. "In Sachsen ist der Parteigeist zu geschäftig und
in seinem Walten zu unsinnig. Die Rüstigen sind in kläglicher Weise unter sich
zerfallen, die Indolenten werden auch in dieser entscheidenden Zeit indolent bleiben."


Aus den letzten Tagen des Frankfurter Parlaments.

hat. Eine Möglichkeit ist die, daß die preußische und bairische Regierung die
Deputirten ihrer Länder von Frankfurt abberufen. Ich vermute, daß viele doch
gehorchen würden, und dann ist eine Fortdauer des Parlaments nur denkbar,
wenn die Entschiednen sich auf den Boon der Revolution stellen und dem
Bestehenden offen den Krieg erklären. (Was ich in diesem Falle thäte, ist uicht
nötig zu sagen). Leicht könnte es geschehen, daß die Nationalversammlung mit
einem Protest an das deutsche Volk sich auflöste. In letzterm Falle wäre vor¬
läufig das große Drama zu Ende, aber auch nur vorläufig. Doch einstweilen
genug. In einer halben Stunde muß ich in die Paulskirche, die schon wieder
mit Neugierigen sich füllt."

Das Haus begann diese Sitzung (30. April) unter heftiger Aufregung über
die während der letzten Tage eingelaufenen Nachrichten und nahm deshalb den
ausführlichen Bericht des Reichsministers Duckwitz über den Stand der Marine-
augelegenhciten „mit hartem Undank," d. h. mit großer Unaufmerksamkeit auf,
denn nähere Sorgen drängten. Um das Fortbestehen des Parlaments gegen
etwaige Sprengungsversuche zu sichern, beschloß die Mehrheit nach den auch
vou N. mit unterstützten Anträgen von Simon (Trier) und Goltz (Brieg), das
Präsidium zu ermächtigen, zu jeder Zeit und an jedem Orte Sitzungen anzu¬
setzen, es zu verpflichten, eine außerordentliche Sitzung zu veranstalten, wenn
hundert Mitglieder es beantragten, und die zur Beschlußfähigkeit notwendige Zahl
auf hundert herabzusetzen. Weiter fand der Antrag Ziegerts und Kierulffs, das Haus
möge seine Mißbilligung der Kammerauflösungen in Hannover und Berlin aus-
sprechen und durch die Zentralgewalt beide Regierungen zur sofortigen Aus-
schreibung von Neuwahlen auffordern, ohne Debatte Genehmigung.

Diese Beschlüsse bewiesen, daß die Versammlung ihre gefährdete Lage
erkannte, aber helfen konnten sie nichts mehr. Auch der von N. mit gestellte
Spezialantrag der sächsischen Abgeordneten, die auf die am 1. Mai eingetroffene
Nachricht von der Auflösung der sächsischen Kammern sich am Vormittage des
zweitfolgenden Tages im Sarasinschen Hanse sich zur Beratung darüber ver¬
sammelt hatten, die Nationalversammlung möge ihre Mißbilligung erklären, die
sächsische Negierung zur ungesäumten Ausschreibung von Neuwahlen anhalten
und die noch bestehenden gesetzlichen Organe des sächsischen Volkes zum Ein¬
treten für die Reichsverfassung auffordern, hätte nichts gefruchtet, selbst wenn
das Haus nicht darüber zur motivirten Tagesordnung übergegangen wäre. „Den
Fall der Kammern, schreibt N. darüber, beklage ich an sich nicht, aber unter
den gegenwärtigen Verhältnissen ist er bedenklich, weil er zeigt, daß die größeren
Regierungen in ihrem Auftreten gegen die Reichsverfassung durch nichts sich
wollen hindern lassen." Eine (gesetzliche) Erhebung in Sachsen zu gunsten derselben
erwartete er übrigens uicht. „In Sachsen ist der Parteigeist zu geschäftig und
in seinem Walten zu unsinnig. Die Rüstigen sind in kläglicher Weise unter sich
zerfallen, die Indolenten werden auch in dieser entscheidenden Zeit indolent bleiben."


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[0298] Aus den letzten Tagen des Frankfurter Parlaments. hat. Eine Möglichkeit ist die, daß die preußische und bairische Regierung die Deputirten ihrer Länder von Frankfurt abberufen. Ich vermute, daß viele doch gehorchen würden, und dann ist eine Fortdauer des Parlaments nur denkbar, wenn die Entschiednen sich auf den Boon der Revolution stellen und dem Bestehenden offen den Krieg erklären. (Was ich in diesem Falle thäte, ist uicht nötig zu sagen). Leicht könnte es geschehen, daß die Nationalversammlung mit einem Protest an das deutsche Volk sich auflöste. In letzterm Falle wäre vor¬ läufig das große Drama zu Ende, aber auch nur vorläufig. Doch einstweilen genug. In einer halben Stunde muß ich in die Paulskirche, die schon wieder mit Neugierigen sich füllt." Das Haus begann diese Sitzung (30. April) unter heftiger Aufregung über die während der letzten Tage eingelaufenen Nachrichten und nahm deshalb den ausführlichen Bericht des Reichsministers Duckwitz über den Stand der Marine- augelegenhciten „mit hartem Undank," d. h. mit großer Unaufmerksamkeit auf, denn nähere Sorgen drängten. Um das Fortbestehen des Parlaments gegen etwaige Sprengungsversuche zu sichern, beschloß die Mehrheit nach den auch vou N. mit unterstützten Anträgen von Simon (Trier) und Goltz (Brieg), das Präsidium zu ermächtigen, zu jeder Zeit und an jedem Orte Sitzungen anzu¬ setzen, es zu verpflichten, eine außerordentliche Sitzung zu veranstalten, wenn hundert Mitglieder es beantragten, und die zur Beschlußfähigkeit notwendige Zahl auf hundert herabzusetzen. Weiter fand der Antrag Ziegerts und Kierulffs, das Haus möge seine Mißbilligung der Kammerauflösungen in Hannover und Berlin aus- sprechen und durch die Zentralgewalt beide Regierungen zur sofortigen Aus- schreibung von Neuwahlen auffordern, ohne Debatte Genehmigung. Diese Beschlüsse bewiesen, daß die Versammlung ihre gefährdete Lage erkannte, aber helfen konnten sie nichts mehr. Auch der von N. mit gestellte Spezialantrag der sächsischen Abgeordneten, die auf die am 1. Mai eingetroffene Nachricht von der Auflösung der sächsischen Kammern sich am Vormittage des zweitfolgenden Tages im Sarasinschen Hanse sich zur Beratung darüber ver¬ sammelt hatten, die Nationalversammlung möge ihre Mißbilligung erklären, die sächsische Negierung zur ungesäumten Ausschreibung von Neuwahlen anhalten und die noch bestehenden gesetzlichen Organe des sächsischen Volkes zum Ein¬ treten für die Reichsverfassung auffordern, hätte nichts gefruchtet, selbst wenn das Haus nicht darüber zur motivirten Tagesordnung übergegangen wäre. „Den Fall der Kammern, schreibt N. darüber, beklage ich an sich nicht, aber unter den gegenwärtigen Verhältnissen ist er bedenklich, weil er zeigt, daß die größeren Regierungen in ihrem Auftreten gegen die Reichsverfassung durch nichts sich wollen hindern lassen." Eine (gesetzliche) Erhebung in Sachsen zu gunsten derselben erwartete er übrigens uicht. „In Sachsen ist der Parteigeist zu geschäftig und in seinem Walten zu unsinnig. Die Rüstigen sind in kläglicher Weise unter sich zerfallen, die Indolenten werden auch in dieser entscheidenden Zeit indolent bleiben."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/298>, abgerufen am 22.05.2024.