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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Um eine perle.

Haltungen zu finden, zu dem Käfige der Torre della Gaddir und zu der un¬
glücklichen Luigia Berlotti.

Ihr seid keine Bäuerin, Signora, sagte er, und ich sage Euch also wohl
nichts neues, aber manche vornehme Dame hat schon, mit Respekt zu sagen,
die bloße Neugier hierhcrgetrieben, ich meine: wegen der Lnigia Berlotti, die
einen Kaiser haben konnte, und statt seiner einen Edelknappeu nahm, und hat
es doch aus feinem Anstande nicht über sich vermocht, geradeswegs zu fragen:
Ist es denn wirklich wahr, Signor Giolfino -- denn so heiße ich, Signora, Euch
seh ich heut zum erstenmale, nicht daß ich Euch ausfragen will -- ist es denn
wirklich wahr, Signor Giolfino, daß sie, die schöne Lnigia, und ihr Liebster,
der Edelknappc, dort oben im Käfig haben verhungern müssen, und daß der
alte Conte Berlotti geschworen hat, solange noch ein Stein seines Palastes
existire, solange solle das Paar dort oben im Käfig vor dem Regen und dem
Sturme und dem Sonnenbrande keinen Schutz finden? -- Nun, Signora,
wenn Ihr mich so fragtet, was sollte ich antworten? Man möchte doch nie¬
mandes Ansichten zu nahe treten. Wahr ist ja freilich die grausige Begeben¬
heit. Aber sollte ich sagen, der alte Berlotti war ein Rabenvater? Wer hängt
sein eigen Fleisch und Blut so hoch in die Luft und macht in so ruchloser
Weise mit seiner Schande Staat?

Was sagtet Ihr? fuhr Florida empor, durch das Wort Schande aus ihrem
Starren aufgestört, denn oft in diesen Tagen hatten hartherzige Weiber ihr mit
dem Rufe: VörMFniU das Blut ans den Wangen gejagt.

Da seht Ihr, wie mir's geht, beschwichtigte sie der Scrivano; das wollt
Ihr nnn nicht gelten lassen, und im Grunde habt Ihr ja Recht. Wenn ein
Kaiser -- ich weiß nicht, hieß er Ottonc oder Enrico --, wenn ein Kaiser sein
Ange auf ein Mädchen geworfen hat, und der Vater des Mädchens soll also
den Kaiser künftig "mein Herr Schwiegersohn" nennen dürfen, da darf das
Mädchen ihrem Vater ein so hohes Glück nicht verschütten, wie man etwa
einen Tänzer stehen läßt und sich einen andern nimmt, weil der andre etwas
geschmeidigere Beine hat als der eine. Habe ich Recht oder Unrecht, beste
Signora?

Florida hatte sich von ihrem Sitze erhoben. Sie ließ ihr Ange mit wirrem
Ausdrucke an dem Käfig hangen und sagte tonlos: Einem Vater zuliebe muß
man alles können. Seid Ihr mit Eurer Arbeit fertig?

Hier ist sie, beste Siguorn.

Sehr gut, sagte sie, indem sie mit zitternder Hand ihren Namen unter
das Schriftstück mehr malte als schrieb.

Laßt mich das Weitere selbst machen, bat der Serivano; hier ist der
Streusand.

Sie zog mit thränendem Ange einen Duecito aus ihrem Geldtäschchen, und
der über das Geschenk erstaunte Alte riß sein Käppchen vom Kopfe, indem er


Um eine perle.

Haltungen zu finden, zu dem Käfige der Torre della Gaddir und zu der un¬
glücklichen Luigia Berlotti.

Ihr seid keine Bäuerin, Signora, sagte er, und ich sage Euch also wohl
nichts neues, aber manche vornehme Dame hat schon, mit Respekt zu sagen,
die bloße Neugier hierhcrgetrieben, ich meine: wegen der Lnigia Berlotti, die
einen Kaiser haben konnte, und statt seiner einen Edelknappeu nahm, und hat
es doch aus feinem Anstande nicht über sich vermocht, geradeswegs zu fragen:
Ist es denn wirklich wahr, Signor Giolfino — denn so heiße ich, Signora, Euch
seh ich heut zum erstenmale, nicht daß ich Euch ausfragen will — ist es denn
wirklich wahr, Signor Giolfino, daß sie, die schöne Lnigia, und ihr Liebster,
der Edelknappc, dort oben im Käfig haben verhungern müssen, und daß der
alte Conte Berlotti geschworen hat, solange noch ein Stein seines Palastes
existire, solange solle das Paar dort oben im Käfig vor dem Regen und dem
Sturme und dem Sonnenbrande keinen Schutz finden? — Nun, Signora,
wenn Ihr mich so fragtet, was sollte ich antworten? Man möchte doch nie¬
mandes Ansichten zu nahe treten. Wahr ist ja freilich die grausige Begeben¬
heit. Aber sollte ich sagen, der alte Berlotti war ein Rabenvater? Wer hängt
sein eigen Fleisch und Blut so hoch in die Luft und macht in so ruchloser
Weise mit seiner Schande Staat?

Was sagtet Ihr? fuhr Florida empor, durch das Wort Schande aus ihrem
Starren aufgestört, denn oft in diesen Tagen hatten hartherzige Weiber ihr mit
dem Rufe: VörMFniU das Blut ans den Wangen gejagt.

Da seht Ihr, wie mir's geht, beschwichtigte sie der Scrivano; das wollt
Ihr nnn nicht gelten lassen, und im Grunde habt Ihr ja Recht. Wenn ein
Kaiser — ich weiß nicht, hieß er Ottonc oder Enrico —, wenn ein Kaiser sein
Ange auf ein Mädchen geworfen hat, und der Vater des Mädchens soll also
den Kaiser künftig „mein Herr Schwiegersohn" nennen dürfen, da darf das
Mädchen ihrem Vater ein so hohes Glück nicht verschütten, wie man etwa
einen Tänzer stehen läßt und sich einen andern nimmt, weil der andre etwas
geschmeidigere Beine hat als der eine. Habe ich Recht oder Unrecht, beste
Signora?

Florida hatte sich von ihrem Sitze erhoben. Sie ließ ihr Ange mit wirrem
Ausdrucke an dem Käfig hangen und sagte tonlos: Einem Vater zuliebe muß
man alles können. Seid Ihr mit Eurer Arbeit fertig?

Hier ist sie, beste Siguorn.

Sehr gut, sagte sie, indem sie mit zitternder Hand ihren Namen unter
das Schriftstück mehr malte als schrieb.

Laßt mich das Weitere selbst machen, bat der Serivano; hier ist der
Streusand.

Sie zog mit thränendem Ange einen Duecito aus ihrem Geldtäschchen, und
der über das Geschenk erstaunte Alte riß sein Käppchen vom Kopfe, indem er


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[0384] Um eine perle. Haltungen zu finden, zu dem Käfige der Torre della Gaddir und zu der un¬ glücklichen Luigia Berlotti. Ihr seid keine Bäuerin, Signora, sagte er, und ich sage Euch also wohl nichts neues, aber manche vornehme Dame hat schon, mit Respekt zu sagen, die bloße Neugier hierhcrgetrieben, ich meine: wegen der Lnigia Berlotti, die einen Kaiser haben konnte, und statt seiner einen Edelknappeu nahm, und hat es doch aus feinem Anstande nicht über sich vermocht, geradeswegs zu fragen: Ist es denn wirklich wahr, Signor Giolfino — denn so heiße ich, Signora, Euch seh ich heut zum erstenmale, nicht daß ich Euch ausfragen will — ist es denn wirklich wahr, Signor Giolfino, daß sie, die schöne Lnigia, und ihr Liebster, der Edelknappc, dort oben im Käfig haben verhungern müssen, und daß der alte Conte Berlotti geschworen hat, solange noch ein Stein seines Palastes existire, solange solle das Paar dort oben im Käfig vor dem Regen und dem Sturme und dem Sonnenbrande keinen Schutz finden? — Nun, Signora, wenn Ihr mich so fragtet, was sollte ich antworten? Man möchte doch nie¬ mandes Ansichten zu nahe treten. Wahr ist ja freilich die grausige Begeben¬ heit. Aber sollte ich sagen, der alte Berlotti war ein Rabenvater? Wer hängt sein eigen Fleisch und Blut so hoch in die Luft und macht in so ruchloser Weise mit seiner Schande Staat? Was sagtet Ihr? fuhr Florida empor, durch das Wort Schande aus ihrem Starren aufgestört, denn oft in diesen Tagen hatten hartherzige Weiber ihr mit dem Rufe: VörMFniU das Blut ans den Wangen gejagt. Da seht Ihr, wie mir's geht, beschwichtigte sie der Scrivano; das wollt Ihr nnn nicht gelten lassen, und im Grunde habt Ihr ja Recht. Wenn ein Kaiser — ich weiß nicht, hieß er Ottonc oder Enrico —, wenn ein Kaiser sein Ange auf ein Mädchen geworfen hat, und der Vater des Mädchens soll also den Kaiser künftig „mein Herr Schwiegersohn" nennen dürfen, da darf das Mädchen ihrem Vater ein so hohes Glück nicht verschütten, wie man etwa einen Tänzer stehen läßt und sich einen andern nimmt, weil der andre etwas geschmeidigere Beine hat als der eine. Habe ich Recht oder Unrecht, beste Signora? Florida hatte sich von ihrem Sitze erhoben. Sie ließ ihr Ange mit wirrem Ausdrucke an dem Käfig hangen und sagte tonlos: Einem Vater zuliebe muß man alles können. Seid Ihr mit Eurer Arbeit fertig? Hier ist sie, beste Siguorn. Sehr gut, sagte sie, indem sie mit zitternder Hand ihren Namen unter das Schriftstück mehr malte als schrieb. Laßt mich das Weitere selbst machen, bat der Serivano; hier ist der Streusand. Sie zog mit thränendem Ange einen Duecito aus ihrem Geldtäschchen, und der über das Geschenk erstaunte Alte riß sein Käppchen vom Kopfe, indem er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/384>, abgerufen am 21.05.2024.