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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Um eine Perle.

es ist Täuschung, beste Signora. Heiter kann nur die feste Zuversicht machen.
Die fehlt ihm und, olriinö! mir fehlt sie ja leider auch! Er wird nicht wieder
sehend werden. Und würde er es selbst -- o da ist schon viel Kummer und
Seufzen in das Mehl des heiligen Petrus mit vermahlen worden. Wie heißt's
in der heiligen Schrift? Und Petrus ging hinaus und weinte bitterlich. Bitter¬
lich! Nun ja, der heilige Petras weinte gewiß aus Herzensgrunde; aber es ging
bald vorüber, denn er wußte, der Herr hatte ihn zu Großem ausersehen. Da
mußte der heilige Maun seine Augen schonen. Aber mein armer Gervasio,
was lag ihm an der Welt, wenn seine Cesarina fort war? Und sie kommt ja
nicht wieder; darin, beste Signora, bin ich eine arge Ketzerin, wie wenig mein
armer Gervasio es auch wissen darf. Oder würdet Ihr anders urteilen? Denn
höret nur -- aber ich rede immer, als hätte ich weder Essen noch Trinken im Brot¬
schranke; ist mir selbst doch von dem vielen Knieen und Beten ganz flau geworden.

Und sie tummelte sich, den saubern Ahorntisch mit allerlei guten Dingen
zu bestellen, und ließ, als es geschehen war, nicht mit Bitten und Nötigen
nach, bis die beim Anblicke des Aufgetischten mit ihren Gedanken zu dem
Kerker-Wasserkrüge ihres Vaters hinüberschwcifende wenigstens dem Anscheine
nach zugriff, ohne freilich anders als auf Augenblicke sich bewußt zu werden,
wo sie war und wovon die brave Alte sie so zutraulich unterhielt.

Dies aber war es, was die Müllern erzählte.

Cesarina hatte Gervasio geliebt und Gervasio Cesarina. Die Alte war
schwach genug gewesen, nicht zeitig Wasser in das Feuer der beideu jungen
Herzen zu gießen, obgleich sie sich sagen konnte, daß die Tochter eines Colo-
nello von der Zitadelle nicht ihre Schwiegertochter werden konnte. So war
die Sache denn, zwar in Ehren, aber ohne Wissen des Colonello, zwei Jahre
laug weiter und immer weiter gediehen, bis endlich eines Tages Gervasio und
Cesarina gemeinsam sich dem Colonello zu Füßen geworfen und um seinen
Segen gebeten hatten. Damit war das Luftschloß der Liebenden in Nebel
zerflossen. Auf der Stelle hatte der zornentbrannte Kriegsmann seine Tochter
aus Mantua fortgeschafft und einem weltentlegenen Carmeliterinnen-Kloster
übergeben, wo sie schon nach Jahresfrist gestorben war. Gervasio aber, vor
Aufregung und langem Weinen um sein Augenlicht gekommen, lebte seitdem
kaum uoch im Zusammenhange mit den Dingen, wie sie waren. Er hatte
immer ein weltabgelchrtes Dasein geführt und war oft halbe Jahre lang kaum
auf Stunden von feiner Mühle fortgekommen. Jetzt ging er zwar hänfig
ungeführt bis ganz nach Mantua hinein, am liebsten zu nächtlicher Stunde, wo
seinem tastenden Stecken kein Menschengedränge das Geschäft des Suchens und
Orientircns erschwerte; aber wenn er heimkam und traurig nur die Worte vor
sich hinredete: Noch immer nicht! da wollte der Matrone allemal, wie sie
versicherte, schier das Herz brechen, denn sie wußte, wem er noch immer nicht
wiederbegegnet war.


Um eine Perle.

es ist Täuschung, beste Signora. Heiter kann nur die feste Zuversicht machen.
Die fehlt ihm und, olriinö! mir fehlt sie ja leider auch! Er wird nicht wieder
sehend werden. Und würde er es selbst — o da ist schon viel Kummer und
Seufzen in das Mehl des heiligen Petrus mit vermahlen worden. Wie heißt's
in der heiligen Schrift? Und Petrus ging hinaus und weinte bitterlich. Bitter¬
lich! Nun ja, der heilige Petras weinte gewiß aus Herzensgrunde; aber es ging
bald vorüber, denn er wußte, der Herr hatte ihn zu Großem ausersehen. Da
mußte der heilige Maun seine Augen schonen. Aber mein armer Gervasio,
was lag ihm an der Welt, wenn seine Cesarina fort war? Und sie kommt ja
nicht wieder; darin, beste Signora, bin ich eine arge Ketzerin, wie wenig mein
armer Gervasio es auch wissen darf. Oder würdet Ihr anders urteilen? Denn
höret nur — aber ich rede immer, als hätte ich weder Essen noch Trinken im Brot¬
schranke; ist mir selbst doch von dem vielen Knieen und Beten ganz flau geworden.

Und sie tummelte sich, den saubern Ahorntisch mit allerlei guten Dingen
zu bestellen, und ließ, als es geschehen war, nicht mit Bitten und Nötigen
nach, bis die beim Anblicke des Aufgetischten mit ihren Gedanken zu dem
Kerker-Wasserkrüge ihres Vaters hinüberschwcifende wenigstens dem Anscheine
nach zugriff, ohne freilich anders als auf Augenblicke sich bewußt zu werden,
wo sie war und wovon die brave Alte sie so zutraulich unterhielt.

Dies aber war es, was die Müllern erzählte.

Cesarina hatte Gervasio geliebt und Gervasio Cesarina. Die Alte war
schwach genug gewesen, nicht zeitig Wasser in das Feuer der beideu jungen
Herzen zu gießen, obgleich sie sich sagen konnte, daß die Tochter eines Colo-
nello von der Zitadelle nicht ihre Schwiegertochter werden konnte. So war
die Sache denn, zwar in Ehren, aber ohne Wissen des Colonello, zwei Jahre
laug weiter und immer weiter gediehen, bis endlich eines Tages Gervasio und
Cesarina gemeinsam sich dem Colonello zu Füßen geworfen und um seinen
Segen gebeten hatten. Damit war das Luftschloß der Liebenden in Nebel
zerflossen. Auf der Stelle hatte der zornentbrannte Kriegsmann seine Tochter
aus Mantua fortgeschafft und einem weltentlegenen Carmeliterinnen-Kloster
übergeben, wo sie schon nach Jahresfrist gestorben war. Gervasio aber, vor
Aufregung und langem Weinen um sein Augenlicht gekommen, lebte seitdem
kaum uoch im Zusammenhange mit den Dingen, wie sie waren. Er hatte
immer ein weltabgelchrtes Dasein geführt und war oft halbe Jahre lang kaum
auf Stunden von feiner Mühle fortgekommen. Jetzt ging er zwar hänfig
ungeführt bis ganz nach Mantua hinein, am liebsten zu nächtlicher Stunde, wo
seinem tastenden Stecken kein Menschengedränge das Geschäft des Suchens und
Orientircns erschwerte; aber wenn er heimkam und traurig nur die Worte vor
sich hinredete: Noch immer nicht! da wollte der Matrone allemal, wie sie
versicherte, schier das Herz brechen, denn sie wußte, wem er noch immer nicht
wiederbegegnet war.


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[0489] Um eine Perle. es ist Täuschung, beste Signora. Heiter kann nur die feste Zuversicht machen. Die fehlt ihm und, olriinö! mir fehlt sie ja leider auch! Er wird nicht wieder sehend werden. Und würde er es selbst — o da ist schon viel Kummer und Seufzen in das Mehl des heiligen Petrus mit vermahlen worden. Wie heißt's in der heiligen Schrift? Und Petrus ging hinaus und weinte bitterlich. Bitter¬ lich! Nun ja, der heilige Petras weinte gewiß aus Herzensgrunde; aber es ging bald vorüber, denn er wußte, der Herr hatte ihn zu Großem ausersehen. Da mußte der heilige Maun seine Augen schonen. Aber mein armer Gervasio, was lag ihm an der Welt, wenn seine Cesarina fort war? Und sie kommt ja nicht wieder; darin, beste Signora, bin ich eine arge Ketzerin, wie wenig mein armer Gervasio es auch wissen darf. Oder würdet Ihr anders urteilen? Denn höret nur — aber ich rede immer, als hätte ich weder Essen noch Trinken im Brot¬ schranke; ist mir selbst doch von dem vielen Knieen und Beten ganz flau geworden. Und sie tummelte sich, den saubern Ahorntisch mit allerlei guten Dingen zu bestellen, und ließ, als es geschehen war, nicht mit Bitten und Nötigen nach, bis die beim Anblicke des Aufgetischten mit ihren Gedanken zu dem Kerker-Wasserkrüge ihres Vaters hinüberschwcifende wenigstens dem Anscheine nach zugriff, ohne freilich anders als auf Augenblicke sich bewußt zu werden, wo sie war und wovon die brave Alte sie so zutraulich unterhielt. Dies aber war es, was die Müllern erzählte. Cesarina hatte Gervasio geliebt und Gervasio Cesarina. Die Alte war schwach genug gewesen, nicht zeitig Wasser in das Feuer der beideu jungen Herzen zu gießen, obgleich sie sich sagen konnte, daß die Tochter eines Colo- nello von der Zitadelle nicht ihre Schwiegertochter werden konnte. So war die Sache denn, zwar in Ehren, aber ohne Wissen des Colonello, zwei Jahre laug weiter und immer weiter gediehen, bis endlich eines Tages Gervasio und Cesarina gemeinsam sich dem Colonello zu Füßen geworfen und um seinen Segen gebeten hatten. Damit war das Luftschloß der Liebenden in Nebel zerflossen. Auf der Stelle hatte der zornentbrannte Kriegsmann seine Tochter aus Mantua fortgeschafft und einem weltentlegenen Carmeliterinnen-Kloster übergeben, wo sie schon nach Jahresfrist gestorben war. Gervasio aber, vor Aufregung und langem Weinen um sein Augenlicht gekommen, lebte seitdem kaum uoch im Zusammenhange mit den Dingen, wie sie waren. Er hatte immer ein weltabgelchrtes Dasein geführt und war oft halbe Jahre lang kaum auf Stunden von feiner Mühle fortgekommen. Jetzt ging er zwar hänfig ungeführt bis ganz nach Mantua hinein, am liebsten zu nächtlicher Stunde, wo seinem tastenden Stecken kein Menschengedränge das Geschäft des Suchens und Orientircns erschwerte; aber wenn er heimkam und traurig nur die Worte vor sich hinredete: Noch immer nicht! da wollte der Matrone allemal, wie sie versicherte, schier das Herz brechen, denn sie wußte, wem er noch immer nicht wiederbegegnet war.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/489>, abgerufen am 21.05.2024.