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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Die österreichischen jvcihlen.

und durch Selbstberäucherung die Aufmerksamkeit von dieser unangenehmen That¬
sache ablenken zu können, so wird sie damit ebensowenig erreichen, wie mit dem Ver¬
schweigen aller ihr unangenehmen politischen Persönlichkeiten. Bei einigen Mata¬
doren der alten Verfassungspartci scheint wohl die Erkenntnis aufzudämmern, daß
diese Partei durch nichts so geschädigt worden ist und noch fortwährend ge¬
schädigt wird, als durch ihre innige Verbindung mit einer Presse, welche keinen
Gott kennt neben dem Kapital, den ihr stets aufs neue entgegcngeschlendcrtcn
Vorwurf der Korruption mit lächelnder Verachtung straft und jeden Anders¬
denkenden zu terroristren sucht. Wohl mancher fühlt sich in dieser Gemeinschaft
so wohl wie Götz von Berlichingen als Vauernhauptmann, traut sich aber nicht
die eiserne Faust zu, um jeden großmäuliger Metzler niederzuschlagen. In
Wahrheit wäre jedoch nur etwas mehr moralischer Mut vonnötcn. Die Klein¬
bürger der südlichen Vorstädte Wiens haben ihn bewiesen; in aller Stille (was
ihnen auch zum Vorwürfe gemacht wird!) hatten sie sich geeinigt, für Männer
ihres Vertrauens zu stimmen, und nun lassen sie ruhig die Flut von Schimpf¬
wörtern über sich ergehen. Nicht einmal mehr das Stigma "Antisemit" fürchten
sie, und das hat ausdrücklich die Presse bewirkt.

Denn diese beurteilt den Menschen nur noch nach seiner Stellung zur
Judenfrage. Genießt er nicht den Vorzug, wenigstens von Juden abzustammen
oder mit Juden verschwägert zu sein, und kann er sich nicht als Philvsemit
legitimiren, so ist er ein Antisemit, d. h. ein Feind "der Humanität, der Zivili-
sation. der Freiheit," so ist er vogelfrei und muß mit allen Mitteln überall
verfolgt werden. Anfangs ließen die Deutschöstcrreichcr, denen in ihrer großen
Mehrzahl religiöse Intoleranz gänzlich fernliegt, sich dadurch schrecken. Allein
die maßlose Anwendung des Mittels schwächte dessen Wirkung ab, man sah
Personen, an deren wahrhaft humaner Denkart nicht zu zweifeln ist, nnter die
Ketzer geworfen, und die Frechheit einer geduldeten Rasse, sich zum Richter
über die Mehrheit aufzuwerfen und Urteile ausschließlich von ihrem Ncisscn-
standvunkte aus zu fällen, reizte nach und uach auch die Langmütigen. Der
ausgesprochne Antisemitismus ist jetzt allerdings sehr im Wachsen in allen
Schichten der Bevölkerung, ohne Hinzurechnung aller jener, welche mindestens
nicht die Leitung aller allgemeinen Angelegenheiten in jüdischen Händen wissen
möchten. Übrigens ist auch jetzt, nachdem es einige Mandate eingebüßt hat,
das jüdische Element im Neichsrat weit über das entsprechende Prozent der
Bevölkerung vertreten; Wien allein stellt zwei jüdische Abgeordnete, von welchen
einer zwar plötzlich entdeckt hat, er sei ein Landpfarrerssohn; mehrere kommen
aus den sogenannten Vororten. Dagegen wird nunmehr Herr von schönerer
an der Spitze einer kleinen Gruppe stehen.

Ob dieser Gruppe sich die "Demokraten" anschließen werden, ist mehr als
zweifelhaft. Sie nehmen einen ähnlichen Standpunkt ein wie die deutsche
"Volkspartei," haben kosmopolitische Neigungen und zeichnen sich, soweit sie


Die österreichischen jvcihlen.

und durch Selbstberäucherung die Aufmerksamkeit von dieser unangenehmen That¬
sache ablenken zu können, so wird sie damit ebensowenig erreichen, wie mit dem Ver¬
schweigen aller ihr unangenehmen politischen Persönlichkeiten. Bei einigen Mata¬
doren der alten Verfassungspartci scheint wohl die Erkenntnis aufzudämmern, daß
diese Partei durch nichts so geschädigt worden ist und noch fortwährend ge¬
schädigt wird, als durch ihre innige Verbindung mit einer Presse, welche keinen
Gott kennt neben dem Kapital, den ihr stets aufs neue entgegcngeschlendcrtcn
Vorwurf der Korruption mit lächelnder Verachtung straft und jeden Anders¬
denkenden zu terroristren sucht. Wohl mancher fühlt sich in dieser Gemeinschaft
so wohl wie Götz von Berlichingen als Vauernhauptmann, traut sich aber nicht
die eiserne Faust zu, um jeden großmäuliger Metzler niederzuschlagen. In
Wahrheit wäre jedoch nur etwas mehr moralischer Mut vonnötcn. Die Klein¬
bürger der südlichen Vorstädte Wiens haben ihn bewiesen; in aller Stille (was
ihnen auch zum Vorwürfe gemacht wird!) hatten sie sich geeinigt, für Männer
ihres Vertrauens zu stimmen, und nun lassen sie ruhig die Flut von Schimpf¬
wörtern über sich ergehen. Nicht einmal mehr das Stigma „Antisemit" fürchten
sie, und das hat ausdrücklich die Presse bewirkt.

Denn diese beurteilt den Menschen nur noch nach seiner Stellung zur
Judenfrage. Genießt er nicht den Vorzug, wenigstens von Juden abzustammen
oder mit Juden verschwägert zu sein, und kann er sich nicht als Philvsemit
legitimiren, so ist er ein Antisemit, d. h. ein Feind „der Humanität, der Zivili-
sation. der Freiheit," so ist er vogelfrei und muß mit allen Mitteln überall
verfolgt werden. Anfangs ließen die Deutschöstcrreichcr, denen in ihrer großen
Mehrzahl religiöse Intoleranz gänzlich fernliegt, sich dadurch schrecken. Allein
die maßlose Anwendung des Mittels schwächte dessen Wirkung ab, man sah
Personen, an deren wahrhaft humaner Denkart nicht zu zweifeln ist, nnter die
Ketzer geworfen, und die Frechheit einer geduldeten Rasse, sich zum Richter
über die Mehrheit aufzuwerfen und Urteile ausschließlich von ihrem Ncisscn-
standvunkte aus zu fällen, reizte nach und uach auch die Langmütigen. Der
ausgesprochne Antisemitismus ist jetzt allerdings sehr im Wachsen in allen
Schichten der Bevölkerung, ohne Hinzurechnung aller jener, welche mindestens
nicht die Leitung aller allgemeinen Angelegenheiten in jüdischen Händen wissen
möchten. Übrigens ist auch jetzt, nachdem es einige Mandate eingebüßt hat,
das jüdische Element im Neichsrat weit über das entsprechende Prozent der
Bevölkerung vertreten; Wien allein stellt zwei jüdische Abgeordnete, von welchen
einer zwar plötzlich entdeckt hat, er sei ein Landpfarrerssohn; mehrere kommen
aus den sogenannten Vororten. Dagegen wird nunmehr Herr von schönerer
an der Spitze einer kleinen Gruppe stehen.

Ob dieser Gruppe sich die „Demokraten" anschließen werden, ist mehr als
zweifelhaft. Sie nehmen einen ähnlichen Standpunkt ein wie die deutsche
„Volkspartei," haben kosmopolitische Neigungen und zeichnen sich, soweit sie


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[0639] Die österreichischen jvcihlen. und durch Selbstberäucherung die Aufmerksamkeit von dieser unangenehmen That¬ sache ablenken zu können, so wird sie damit ebensowenig erreichen, wie mit dem Ver¬ schweigen aller ihr unangenehmen politischen Persönlichkeiten. Bei einigen Mata¬ doren der alten Verfassungspartci scheint wohl die Erkenntnis aufzudämmern, daß diese Partei durch nichts so geschädigt worden ist und noch fortwährend ge¬ schädigt wird, als durch ihre innige Verbindung mit einer Presse, welche keinen Gott kennt neben dem Kapital, den ihr stets aufs neue entgegcngeschlendcrtcn Vorwurf der Korruption mit lächelnder Verachtung straft und jeden Anders¬ denkenden zu terroristren sucht. Wohl mancher fühlt sich in dieser Gemeinschaft so wohl wie Götz von Berlichingen als Vauernhauptmann, traut sich aber nicht die eiserne Faust zu, um jeden großmäuliger Metzler niederzuschlagen. In Wahrheit wäre jedoch nur etwas mehr moralischer Mut vonnötcn. Die Klein¬ bürger der südlichen Vorstädte Wiens haben ihn bewiesen; in aller Stille (was ihnen auch zum Vorwürfe gemacht wird!) hatten sie sich geeinigt, für Männer ihres Vertrauens zu stimmen, und nun lassen sie ruhig die Flut von Schimpf¬ wörtern über sich ergehen. Nicht einmal mehr das Stigma „Antisemit" fürchten sie, und das hat ausdrücklich die Presse bewirkt. Denn diese beurteilt den Menschen nur noch nach seiner Stellung zur Judenfrage. Genießt er nicht den Vorzug, wenigstens von Juden abzustammen oder mit Juden verschwägert zu sein, und kann er sich nicht als Philvsemit legitimiren, so ist er ein Antisemit, d. h. ein Feind „der Humanität, der Zivili- sation. der Freiheit," so ist er vogelfrei und muß mit allen Mitteln überall verfolgt werden. Anfangs ließen die Deutschöstcrreichcr, denen in ihrer großen Mehrzahl religiöse Intoleranz gänzlich fernliegt, sich dadurch schrecken. Allein die maßlose Anwendung des Mittels schwächte dessen Wirkung ab, man sah Personen, an deren wahrhaft humaner Denkart nicht zu zweifeln ist, nnter die Ketzer geworfen, und die Frechheit einer geduldeten Rasse, sich zum Richter über die Mehrheit aufzuwerfen und Urteile ausschließlich von ihrem Ncisscn- standvunkte aus zu fällen, reizte nach und uach auch die Langmütigen. Der ausgesprochne Antisemitismus ist jetzt allerdings sehr im Wachsen in allen Schichten der Bevölkerung, ohne Hinzurechnung aller jener, welche mindestens nicht die Leitung aller allgemeinen Angelegenheiten in jüdischen Händen wissen möchten. Übrigens ist auch jetzt, nachdem es einige Mandate eingebüßt hat, das jüdische Element im Neichsrat weit über das entsprechende Prozent der Bevölkerung vertreten; Wien allein stellt zwei jüdische Abgeordnete, von welchen einer zwar plötzlich entdeckt hat, er sei ein Landpfarrerssohn; mehrere kommen aus den sogenannten Vororten. Dagegen wird nunmehr Herr von schönerer an der Spitze einer kleinen Gruppe stehen. Ob dieser Gruppe sich die „Demokraten" anschließen werden, ist mehr als zweifelhaft. Sie nehmen einen ähnlichen Standpunkt ein wie die deutsche „Volkspartei," haben kosmopolitische Neigungen und zeichnen sich, soweit sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/639>, abgerufen am 22.05.2024.