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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Beiträge zum Verständnis der mittelasiatischen Frage.

Ziel der Engländer war aber die Vernichtung der Baraksi-Herrschaften und die
Wiedererhebung Schah Schudschas, der allein als sicherer Nachbar an der
Nord- und Südwestgrenze und als zuverlässiger Bundesgenosse gegen die
Perser und Russen galt, auf den Thron Afghanistans, das mit ihm unter die
Oberherrlichkeit der Briten kommen sollte. Macuaghteu, der Sekretär im aus¬
wärtigen Amte der angloindischen Regierung, ging nach Lahore, um den Ma¬
haradscha Randschit zur Teilnahme an dem Feldzuge zu gewinnen, und der
letztere schloß, teils aus Haß gegen Dose Muhammed, teils aus Furcht vor der
britischen Übermacht, ein Offensiv- und Dcfeusivbüuduis mit England ab, nach
welchem er demselben ein Hilfskorps von 15 000 Sikhs zur Verfügung stellte,
ihm dagegen der Besitz aller seiner bisherigen Eroberungen, Kaschmirs, Pe-
schawers und Multans, verbürgt wurde. Als der betreffende Vertrag, an dem
sich auch Schah Schudscha durch Abgeordnete beteiligte, unterzeichnet war, begab
sich Maeucighten zu letzterem, der nach seiner Niederlage bei Kandahar in Lo-
dianah ein unthätiges Leben geführt hatte, und bewog ihn, damit der Erobe¬
rungszug gegen die Afghanen ein legitimes Aussehen erhielte, in seinem Namen
ein paar tausend Mann, die nnter englischen Offizieren stehen und aus Kal¬
kutta ihren Sold beziehe" sollten, zu dem britischen Heere stoßen zu lassen.

Bis zum Herbst 1839 waren die Vorbereitungen zum Kriegszuge gegen
die Baraksi-Fürsten und die Perser vor Herat vollendet. Das Heer der Ver¬
bündeten belief sich im ganzen auf etwa 54000 Manu. Die größere Hälfte
sollte unter General Keane durch den Botan-Paß nach Kandahar, die kleinere
unter General Wade durch deu Chaiber-Paß nach Kabul vorrücken. Es erging
jetzt eine Kriegserklärung, die den Fürsten Hindostans und zugleich dem Schah
Kamerau in Herat mitgeteilt wurde, und in der es unter anderen hieß, Dose
Muhammed habe deutlich gezeigt, daß er eine Gefahr für Britisch-Jndien und
dessen Nachbarländer sei, so lange er in Kabul herrsche. Dasselbe gelte von
den Brüdern des Emir, den Sirdars in Kandahar, die sich mit Persien gegen
die englische Nation verschworen hätten. Die letztere müsse an der Westgrenze
ihrer indischen Besitzungen einen zuverlässige" und allen Wirre" und Neuerungen
abgeneigten Nachbar haben, und da der Schah Schudscha während seiner frühern
Regierung den Beweis geliefert habe, daß er ein Freund Englands und ruhiger
Zustände sei, so habe man sich entschlossen, ihn bei seinem Versuche zur Wieder¬
erlangung seiner Rechte auf den Thron Afghanistans zu unterstützen. Nachdem
er seine Absichten erreicht, werde die britische Armee aus dem Lande abziehen,
da man nichts andres vor Augen habe, als Wiederherstellung der Einheit und
Wohlfahrt des afghanischen Staates. In Wahrheit aber bezweckte man das
Gegenteil. "Wir haben, so sagt ein Schreiben des Vizckönigs Lord Ellen-
borough vom 16. Mai 1842, Kabul bekriegt, weil wir einen einsichtsvollen
Herrscher beseitigen wollten, der es verstand, die Stämme zu vereinigen, ein
Heer zu schaffen und Ordnung herzustellen."


Beiträge zum Verständnis der mittelasiatischen Frage.

Ziel der Engländer war aber die Vernichtung der Baraksi-Herrschaften und die
Wiedererhebung Schah Schudschas, der allein als sicherer Nachbar an der
Nord- und Südwestgrenze und als zuverlässiger Bundesgenosse gegen die
Perser und Russen galt, auf den Thron Afghanistans, das mit ihm unter die
Oberherrlichkeit der Briten kommen sollte. Macuaghteu, der Sekretär im aus¬
wärtigen Amte der angloindischen Regierung, ging nach Lahore, um den Ma¬
haradscha Randschit zur Teilnahme an dem Feldzuge zu gewinnen, und der
letztere schloß, teils aus Haß gegen Dose Muhammed, teils aus Furcht vor der
britischen Übermacht, ein Offensiv- und Dcfeusivbüuduis mit England ab, nach
welchem er demselben ein Hilfskorps von 15 000 Sikhs zur Verfügung stellte,
ihm dagegen der Besitz aller seiner bisherigen Eroberungen, Kaschmirs, Pe-
schawers und Multans, verbürgt wurde. Als der betreffende Vertrag, an dem
sich auch Schah Schudscha durch Abgeordnete beteiligte, unterzeichnet war, begab
sich Maeucighten zu letzterem, der nach seiner Niederlage bei Kandahar in Lo-
dianah ein unthätiges Leben geführt hatte, und bewog ihn, damit der Erobe¬
rungszug gegen die Afghanen ein legitimes Aussehen erhielte, in seinem Namen
ein paar tausend Mann, die nnter englischen Offizieren stehen und aus Kal¬
kutta ihren Sold beziehe« sollten, zu dem britischen Heere stoßen zu lassen.

Bis zum Herbst 1839 waren die Vorbereitungen zum Kriegszuge gegen
die Baraksi-Fürsten und die Perser vor Herat vollendet. Das Heer der Ver¬
bündeten belief sich im ganzen auf etwa 54000 Manu. Die größere Hälfte
sollte unter General Keane durch den Botan-Paß nach Kandahar, die kleinere
unter General Wade durch deu Chaiber-Paß nach Kabul vorrücken. Es erging
jetzt eine Kriegserklärung, die den Fürsten Hindostans und zugleich dem Schah
Kamerau in Herat mitgeteilt wurde, und in der es unter anderen hieß, Dose
Muhammed habe deutlich gezeigt, daß er eine Gefahr für Britisch-Jndien und
dessen Nachbarländer sei, so lange er in Kabul herrsche. Dasselbe gelte von
den Brüdern des Emir, den Sirdars in Kandahar, die sich mit Persien gegen
die englische Nation verschworen hätten. Die letztere müsse an der Westgrenze
ihrer indischen Besitzungen einen zuverlässige« und allen Wirre» und Neuerungen
abgeneigten Nachbar haben, und da der Schah Schudscha während seiner frühern
Regierung den Beweis geliefert habe, daß er ein Freund Englands und ruhiger
Zustände sei, so habe man sich entschlossen, ihn bei seinem Versuche zur Wieder¬
erlangung seiner Rechte auf den Thron Afghanistans zu unterstützen. Nachdem
er seine Absichten erreicht, werde die britische Armee aus dem Lande abziehen,
da man nichts andres vor Augen habe, als Wiederherstellung der Einheit und
Wohlfahrt des afghanischen Staates. In Wahrheit aber bezweckte man das
Gegenteil. „Wir haben, so sagt ein Schreiben des Vizckönigs Lord Ellen-
borough vom 16. Mai 1842, Kabul bekriegt, weil wir einen einsichtsvollen
Herrscher beseitigen wollten, der es verstand, die Stämme zu vereinigen, ein
Heer zu schaffen und Ordnung herzustellen."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/66>, abgerufen am 21.05.2024.