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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Beiträge zum Verständnis der mittelasiatischen Frage.

daß die beiden Generale endlich den Befehl erhielten, weiter vorzurücken. Nott
ging hierauf nach Ghasncch, das am 6. September genommen und durch Brand
und Sprengungen großenteils zerstört wurde. Während er nach Kabul weiter
zog, fetzte sich auch Pollock in Bewegung, schlug die Afghanen bei Gandamak
und bei Tesin, wo Akbar ihm mit 16 000 Mann entgegentrat, und rückte fast
zu gleicher Zeit mit Nott in Kabul ein, wo sich die Racheszenen von Ghasncch
wiederholten und u. a. der große, von Orcmgsib erbaute Bazar, sowie zwei Moscheen
in die Luft gesprengt wurden. Viele andre Orte teilten dieses Schicksal, selbst
Fruchtbäume und Getreidefelder wurden nicht verschont, und überall waren
Niedermetzelungen der Einwohner und zahlreiche Hinrichtungen an der Tages¬
ordnung. Die gefangen gehaltenen Frauen waren den Engländern inzwischen
ausgeliefert worden, und nun zog das vereinigte britische Heer sich durch den
Chaiber-Paß, diesmal ohne wesentliche Verluste zu erleiden, nach Peschnwer
zurück. Der Sieg in diesem Feldzuge war den Engländern wesentlich durch die
Uneinigkeit der Afghanen erleichtert worden. Der von ihnen erwählte neue
Schah Siman besaß nur geringe Macht, die Sirdars handelten nach Gutdünken.
Schudscha behauptete sich in der Burg von Kabul. Nach dem Abzüge der
Briten ließ er sich von den Baraksi aus seiner Beste locken und wurde ermordet.
Sein Sohn Fateh Dschcmg hielt sich einige Monate in der Burg, mußte
jedoch Akbar zum Wessir annehmen und entrann zuletzt mit genauer Not nach
Dschellalabad. Erst als Dose Muhammed, von Ellenborough aus der Gefangen¬
schaft entlassen, in das Land zurückkehrte, wurde wieder Ordnung hergestellt.
Bald aber bekamen auch die englischen Generale hier wieder zu thun. Die
Afghanen und die Sikhs überwanden in den nächsten Jahren ihren alten, haupt¬
sächlich in der Religion begründeten Haß gegen einander und vereinigten ihre
Kräfte gegen die gemeinsamen Gegner, die immer weiter um sich greifenden
Briten. Es kam zu einem blutigen Kriege der letzteren gegen die Sikhs, an
welchem sich Dose Muhammed mit 16000 Reitern beteiligte. Nach der Ent¬
scheidungsschlacht aber, die am 21. Februar 1849 bei Gutscherat stattfand,
überließ er die Verbündeten ihrem Schicksal, ging über den Indus und zog sich
durch den Chaiber-Paß in sein Land zurück. Die Sikhstaaten (des Pendschab)
wurden bald darauf mit dem anglvindischen Reiche vereinigt, und dann kam
die Reihe auch an die afghanischen Gebirgsstämme nordwestlich von Peschawer,
zunächst an die Jusofsi, dann, 1850, an die Afridi. Das übrige Afghanistan
überließ man bis auf weiteres sich selbst.

Dose Muhammed verstand es, sich zunächst im Nordosten, in Kabul, dann
auch in Bates, der Provinz jenseits des Hindukuh, durch welche er sich den
Weg nach Bucharah öffnete, allgemeines Ansehen zu verschaffen. Dann wendete
er seine Blicke nach Südwesten, nach Kandahar, wo Kohcmdil Chan als der
mächtigste afghanische Fürst neben ihm gebot, und vereinigte dessen Land, nach¬
dem er ihn besiegt hatte, mit seinen bisherigen Besitzungen. Beim Ausbruche des


Beiträge zum Verständnis der mittelasiatischen Frage.

daß die beiden Generale endlich den Befehl erhielten, weiter vorzurücken. Nott
ging hierauf nach Ghasncch, das am 6. September genommen und durch Brand
und Sprengungen großenteils zerstört wurde. Während er nach Kabul weiter
zog, fetzte sich auch Pollock in Bewegung, schlug die Afghanen bei Gandamak
und bei Tesin, wo Akbar ihm mit 16 000 Mann entgegentrat, und rückte fast
zu gleicher Zeit mit Nott in Kabul ein, wo sich die Racheszenen von Ghasncch
wiederholten und u. a. der große, von Orcmgsib erbaute Bazar, sowie zwei Moscheen
in die Luft gesprengt wurden. Viele andre Orte teilten dieses Schicksal, selbst
Fruchtbäume und Getreidefelder wurden nicht verschont, und überall waren
Niedermetzelungen der Einwohner und zahlreiche Hinrichtungen an der Tages¬
ordnung. Die gefangen gehaltenen Frauen waren den Engländern inzwischen
ausgeliefert worden, und nun zog das vereinigte britische Heer sich durch den
Chaiber-Paß, diesmal ohne wesentliche Verluste zu erleiden, nach Peschnwer
zurück. Der Sieg in diesem Feldzuge war den Engländern wesentlich durch die
Uneinigkeit der Afghanen erleichtert worden. Der von ihnen erwählte neue
Schah Siman besaß nur geringe Macht, die Sirdars handelten nach Gutdünken.
Schudscha behauptete sich in der Burg von Kabul. Nach dem Abzüge der
Briten ließ er sich von den Baraksi aus seiner Beste locken und wurde ermordet.
Sein Sohn Fateh Dschcmg hielt sich einige Monate in der Burg, mußte
jedoch Akbar zum Wessir annehmen und entrann zuletzt mit genauer Not nach
Dschellalabad. Erst als Dose Muhammed, von Ellenborough aus der Gefangen¬
schaft entlassen, in das Land zurückkehrte, wurde wieder Ordnung hergestellt.
Bald aber bekamen auch die englischen Generale hier wieder zu thun. Die
Afghanen und die Sikhs überwanden in den nächsten Jahren ihren alten, haupt¬
sächlich in der Religion begründeten Haß gegen einander und vereinigten ihre
Kräfte gegen die gemeinsamen Gegner, die immer weiter um sich greifenden
Briten. Es kam zu einem blutigen Kriege der letzteren gegen die Sikhs, an
welchem sich Dose Muhammed mit 16000 Reitern beteiligte. Nach der Ent¬
scheidungsschlacht aber, die am 21. Februar 1849 bei Gutscherat stattfand,
überließ er die Verbündeten ihrem Schicksal, ging über den Indus und zog sich
durch den Chaiber-Paß in sein Land zurück. Die Sikhstaaten (des Pendschab)
wurden bald darauf mit dem anglvindischen Reiche vereinigt, und dann kam
die Reihe auch an die afghanischen Gebirgsstämme nordwestlich von Peschawer,
zunächst an die Jusofsi, dann, 1850, an die Afridi. Das übrige Afghanistan
überließ man bis auf weiteres sich selbst.

Dose Muhammed verstand es, sich zunächst im Nordosten, in Kabul, dann
auch in Bates, der Provinz jenseits des Hindukuh, durch welche er sich den
Weg nach Bucharah öffnete, allgemeines Ansehen zu verschaffen. Dann wendete
er seine Blicke nach Südwesten, nach Kandahar, wo Kohcmdil Chan als der
mächtigste afghanische Fürst neben ihm gebot, und vereinigte dessen Land, nach¬
dem er ihn besiegt hatte, mit seinen bisherigen Besitzungen. Beim Ausbruche des


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[0073] Beiträge zum Verständnis der mittelasiatischen Frage. daß die beiden Generale endlich den Befehl erhielten, weiter vorzurücken. Nott ging hierauf nach Ghasncch, das am 6. September genommen und durch Brand und Sprengungen großenteils zerstört wurde. Während er nach Kabul weiter zog, fetzte sich auch Pollock in Bewegung, schlug die Afghanen bei Gandamak und bei Tesin, wo Akbar ihm mit 16 000 Mann entgegentrat, und rückte fast zu gleicher Zeit mit Nott in Kabul ein, wo sich die Racheszenen von Ghasncch wiederholten und u. a. der große, von Orcmgsib erbaute Bazar, sowie zwei Moscheen in die Luft gesprengt wurden. Viele andre Orte teilten dieses Schicksal, selbst Fruchtbäume und Getreidefelder wurden nicht verschont, und überall waren Niedermetzelungen der Einwohner und zahlreiche Hinrichtungen an der Tages¬ ordnung. Die gefangen gehaltenen Frauen waren den Engländern inzwischen ausgeliefert worden, und nun zog das vereinigte britische Heer sich durch den Chaiber-Paß, diesmal ohne wesentliche Verluste zu erleiden, nach Peschnwer zurück. Der Sieg in diesem Feldzuge war den Engländern wesentlich durch die Uneinigkeit der Afghanen erleichtert worden. Der von ihnen erwählte neue Schah Siman besaß nur geringe Macht, die Sirdars handelten nach Gutdünken. Schudscha behauptete sich in der Burg von Kabul. Nach dem Abzüge der Briten ließ er sich von den Baraksi aus seiner Beste locken und wurde ermordet. Sein Sohn Fateh Dschcmg hielt sich einige Monate in der Burg, mußte jedoch Akbar zum Wessir annehmen und entrann zuletzt mit genauer Not nach Dschellalabad. Erst als Dose Muhammed, von Ellenborough aus der Gefangen¬ schaft entlassen, in das Land zurückkehrte, wurde wieder Ordnung hergestellt. Bald aber bekamen auch die englischen Generale hier wieder zu thun. Die Afghanen und die Sikhs überwanden in den nächsten Jahren ihren alten, haupt¬ sächlich in der Religion begründeten Haß gegen einander und vereinigten ihre Kräfte gegen die gemeinsamen Gegner, die immer weiter um sich greifenden Briten. Es kam zu einem blutigen Kriege der letzteren gegen die Sikhs, an welchem sich Dose Muhammed mit 16000 Reitern beteiligte. Nach der Ent¬ scheidungsschlacht aber, die am 21. Februar 1849 bei Gutscherat stattfand, überließ er die Verbündeten ihrem Schicksal, ging über den Indus und zog sich durch den Chaiber-Paß in sein Land zurück. Die Sikhstaaten (des Pendschab) wurden bald darauf mit dem anglvindischen Reiche vereinigt, und dann kam die Reihe auch an die afghanischen Gebirgsstämme nordwestlich von Peschawer, zunächst an die Jusofsi, dann, 1850, an die Afridi. Das übrige Afghanistan überließ man bis auf weiteres sich selbst. Dose Muhammed verstand es, sich zunächst im Nordosten, in Kabul, dann auch in Bates, der Provinz jenseits des Hindukuh, durch welche er sich den Weg nach Bucharah öffnete, allgemeines Ansehen zu verschaffen. Dann wendete er seine Blicke nach Südwesten, nach Kandahar, wo Kohcmdil Chan als der mächtigste afghanische Fürst neben ihm gebot, und vereinigte dessen Land, nach¬ dem er ihn besiegt hatte, mit seinen bisherigen Besitzungen. Beim Ausbruche des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/73>, abgerufen am 22.05.2024.