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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Heinrich Leuthold.

wunderungswürdige Anzeige der Gedichte ab, welche Gottfried Keller, der sich
selbst an der Herausgabe des Nachlasses beteiligt hatte, veröffentlichte. Keller
bezeichnet Leuthold als einen Dichter ans der Schulz der Schlegel und Platen,
erklärt ihn aber auch für einen echten Lyriker; "wie vom Lebensglück, sind die
vorliegenden Lieder auch vom Stofflichen nicht beschwert"; er lasse bekannte
Töne und Weisen vernehmen, doch hätte er wohl auch nach freier Wahl seinen
Ton anschlagen und einen andern wählen können; die Gedichte hätten deshalb
einen etwas akademischen Charakter; doch boten sie etwas nagelneues: die durch¬
gehende Schönheit und Vollendung der Form. "Den Liebhabern sogenannter
"guter Sachen" können wir die Versicherung geben, daß hier ernstlich etwas
derartiges vorhanden ist. Sie finden verschiedne Anklänge und Gegensätze in
dem Buche, aber auch von jedem den Ausgleich: dein Ausbruche glühender
Lebenslust und Leidenschaft folgen Klage und Reue auf dem Fuße; Unmut und
Spott lösen sich in Töne weicher Wehmut, deren Wohllaut schon an sich eine
Versöhnung ist. Kurz, das Buch hat nicht nur ein Schicksal, sondern es stellt
ein Schicksal vor." Baechthold führt dann die ästhetische Würdigung Leutholds
weiter aus, die nicht eben zu dessen Gunsten ausfällt, ja es ist die strengste
Kritik, die über ihn geschrieben werden konnte. Wir müssen gestehe", daß wir
diesen Teil der Einleitung, der sich ja doch nur gegen unkritische Rezensenten
wendet, umso lieber missen würden, als die Parallelstellen, welche er zum Be¬
lege für die Anleihen anführt, die Leuthold bei andern Dichtern gemacht haben
soll, nichts weniger als überzeugend find. Mit dem Lebensabriß und der
bei aller Milde so wahrheitsstrengen Anzeige Kellers hätte es der Heraus¬
geber genug sein lassen können.

Vollen Dank des Lesers aber verdient die künstlerische Beilage, mit der
diese dritte Ausgabe der Gedichte geziert ist. Eigentlich sollte jede lyrische
Sammlung eines Dichters von größerm Wert mit seinem von Künstlerhand
gezeichneten Porträt ausgestattet sein. Denn was uns bei einem Lyriker fesselt,
daß wir sein Buch nicht bloß einmal lesen, um es dann für immer in den
Bücherschrank zu stellen, sondern daß wir gelegentlich wieder darnach greifen
und darin blättern, ist die Gesamtheit seiner Persönlichkeit, das poetisch ver¬
klärte Bild eines eigenartigen Individuums, welches bei der Lektüre als eine
organische Einheit vor unserm Geiste ersteht. Der gute Porträtist weiß nun
in einem Bilde die geistige Physiognomie des Originals zu fixiren, und er giebt
uns dadurch eine konkrete Unterlage für das immerhin blasse Bild, welches wir
aus dem rein geistigen Verkehr mit dem betreffenden Dichter gewonnen haben.
Ein solches Bild ist das von dem bekannten Historienmaler G. Papperitz gezeichnete
Porträt Lentholds, und wenn es auch die schon dnrch jene herb kritische Ein¬
leitung etwas abgekühlte Sympathie für den Dichter nicht eben zu erhöhen
vermag, so ist es doch aus den angeführten Gründen höchst schätzenswert. Um
ganz aufrichtig zu sein -- es ist ein wahres Mephistogestcht, dieses Leutholdsche


Heinrich Leuthold.

wunderungswürdige Anzeige der Gedichte ab, welche Gottfried Keller, der sich
selbst an der Herausgabe des Nachlasses beteiligt hatte, veröffentlichte. Keller
bezeichnet Leuthold als einen Dichter ans der Schulz der Schlegel und Platen,
erklärt ihn aber auch für einen echten Lyriker; „wie vom Lebensglück, sind die
vorliegenden Lieder auch vom Stofflichen nicht beschwert"; er lasse bekannte
Töne und Weisen vernehmen, doch hätte er wohl auch nach freier Wahl seinen
Ton anschlagen und einen andern wählen können; die Gedichte hätten deshalb
einen etwas akademischen Charakter; doch boten sie etwas nagelneues: die durch¬
gehende Schönheit und Vollendung der Form. „Den Liebhabern sogenannter
»guter Sachen« können wir die Versicherung geben, daß hier ernstlich etwas
derartiges vorhanden ist. Sie finden verschiedne Anklänge und Gegensätze in
dem Buche, aber auch von jedem den Ausgleich: dein Ausbruche glühender
Lebenslust und Leidenschaft folgen Klage und Reue auf dem Fuße; Unmut und
Spott lösen sich in Töne weicher Wehmut, deren Wohllaut schon an sich eine
Versöhnung ist. Kurz, das Buch hat nicht nur ein Schicksal, sondern es stellt
ein Schicksal vor." Baechthold führt dann die ästhetische Würdigung Leutholds
weiter aus, die nicht eben zu dessen Gunsten ausfällt, ja es ist die strengste
Kritik, die über ihn geschrieben werden konnte. Wir müssen gestehe», daß wir
diesen Teil der Einleitung, der sich ja doch nur gegen unkritische Rezensenten
wendet, umso lieber missen würden, als die Parallelstellen, welche er zum Be¬
lege für die Anleihen anführt, die Leuthold bei andern Dichtern gemacht haben
soll, nichts weniger als überzeugend find. Mit dem Lebensabriß und der
bei aller Milde so wahrheitsstrengen Anzeige Kellers hätte es der Heraus¬
geber genug sein lassen können.

Vollen Dank des Lesers aber verdient die künstlerische Beilage, mit der
diese dritte Ausgabe der Gedichte geziert ist. Eigentlich sollte jede lyrische
Sammlung eines Dichters von größerm Wert mit seinem von Künstlerhand
gezeichneten Porträt ausgestattet sein. Denn was uns bei einem Lyriker fesselt,
daß wir sein Buch nicht bloß einmal lesen, um es dann für immer in den
Bücherschrank zu stellen, sondern daß wir gelegentlich wieder darnach greifen
und darin blättern, ist die Gesamtheit seiner Persönlichkeit, das poetisch ver¬
klärte Bild eines eigenartigen Individuums, welches bei der Lektüre als eine
organische Einheit vor unserm Geiste ersteht. Der gute Porträtist weiß nun
in einem Bilde die geistige Physiognomie des Originals zu fixiren, und er giebt
uns dadurch eine konkrete Unterlage für das immerhin blasse Bild, welches wir
aus dem rein geistigen Verkehr mit dem betreffenden Dichter gewonnen haben.
Ein solches Bild ist das von dem bekannten Historienmaler G. Papperitz gezeichnete
Porträt Lentholds, und wenn es auch die schon dnrch jene herb kritische Ein¬
leitung etwas abgekühlte Sympathie für den Dichter nicht eben zu erhöhen
vermag, so ist es doch aus den angeführten Gründen höchst schätzenswert. Um
ganz aufrichtig zu sein — es ist ein wahres Mephistogestcht, dieses Leutholdsche


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[0224] Heinrich Leuthold. wunderungswürdige Anzeige der Gedichte ab, welche Gottfried Keller, der sich selbst an der Herausgabe des Nachlasses beteiligt hatte, veröffentlichte. Keller bezeichnet Leuthold als einen Dichter ans der Schulz der Schlegel und Platen, erklärt ihn aber auch für einen echten Lyriker; „wie vom Lebensglück, sind die vorliegenden Lieder auch vom Stofflichen nicht beschwert"; er lasse bekannte Töne und Weisen vernehmen, doch hätte er wohl auch nach freier Wahl seinen Ton anschlagen und einen andern wählen können; die Gedichte hätten deshalb einen etwas akademischen Charakter; doch boten sie etwas nagelneues: die durch¬ gehende Schönheit und Vollendung der Form. „Den Liebhabern sogenannter »guter Sachen« können wir die Versicherung geben, daß hier ernstlich etwas derartiges vorhanden ist. Sie finden verschiedne Anklänge und Gegensätze in dem Buche, aber auch von jedem den Ausgleich: dein Ausbruche glühender Lebenslust und Leidenschaft folgen Klage und Reue auf dem Fuße; Unmut und Spott lösen sich in Töne weicher Wehmut, deren Wohllaut schon an sich eine Versöhnung ist. Kurz, das Buch hat nicht nur ein Schicksal, sondern es stellt ein Schicksal vor." Baechthold führt dann die ästhetische Würdigung Leutholds weiter aus, die nicht eben zu dessen Gunsten ausfällt, ja es ist die strengste Kritik, die über ihn geschrieben werden konnte. Wir müssen gestehe», daß wir diesen Teil der Einleitung, der sich ja doch nur gegen unkritische Rezensenten wendet, umso lieber missen würden, als die Parallelstellen, welche er zum Be¬ lege für die Anleihen anführt, die Leuthold bei andern Dichtern gemacht haben soll, nichts weniger als überzeugend find. Mit dem Lebensabriß und der bei aller Milde so wahrheitsstrengen Anzeige Kellers hätte es der Heraus¬ geber genug sein lassen können. Vollen Dank des Lesers aber verdient die künstlerische Beilage, mit der diese dritte Ausgabe der Gedichte geziert ist. Eigentlich sollte jede lyrische Sammlung eines Dichters von größerm Wert mit seinem von Künstlerhand gezeichneten Porträt ausgestattet sein. Denn was uns bei einem Lyriker fesselt, daß wir sein Buch nicht bloß einmal lesen, um es dann für immer in den Bücherschrank zu stellen, sondern daß wir gelegentlich wieder darnach greifen und darin blättern, ist die Gesamtheit seiner Persönlichkeit, das poetisch ver¬ klärte Bild eines eigenartigen Individuums, welches bei der Lektüre als eine organische Einheit vor unserm Geiste ersteht. Der gute Porträtist weiß nun in einem Bilde die geistige Physiognomie des Originals zu fixiren, und er giebt uns dadurch eine konkrete Unterlage für das immerhin blasse Bild, welches wir aus dem rein geistigen Verkehr mit dem betreffenden Dichter gewonnen haben. Ein solches Bild ist das von dem bekannten Historienmaler G. Papperitz gezeichnete Porträt Lentholds, und wenn es auch die schon dnrch jene herb kritische Ein¬ leitung etwas abgekühlte Sympathie für den Dichter nicht eben zu erhöhen vermag, so ist es doch aus den angeführten Gründen höchst schätzenswert. Um ganz aufrichtig zu sein — es ist ein wahres Mephistogestcht, dieses Leutholdsche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/224>, abgerufen am 13.06.2024.