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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Um eine Perle.

unterbrachten, den diese barmherzigen Samariter mit sich führten. Sie selbst
gingen aber schwarz oder braun oder grau vermummt, sodaß nur ihre Augen
und ihre Hände uicht bedeckt waren, ganz wie solche freiwillige Genossenschaften
noch heute in einigen Städten Italiens ihrem Liebeswerke obliegen, und diese
ihre unheimlich düstere Erscheinung war uicht geeignet, die geängstigten Seelen
zu beruhigen.

Freundlicher muteten die mit brennenden Kerzen daherkommenden singenden
Prozessionen an, denen sich denn auch die halbe Bevölkerung Mantuas ange¬
schlossen hatte. Sie trugen Standarten, schön geputzte Madonnen, Heilige mit
einem, zwei und auch drei Goldglorienscheinen um das Haupt, gläserne Kasten
mit Reliquien und glänzende Baldachine, unter welchen letzteren hohe kirchliche
Würdenträger mit der Monstranz einherschrittcn, sodaß in der That, wo sie sich
zeigten, der Gedanke an die Hilfe der himmlischen Fürbitter manche gefurchte
Stirn cntrunzelte.

Die Sonne stand im hohen Mittag und die Luft hatte schon wieder den
nämlichen Hitzegrad wie vor dem gestrigen Gewitter erreicht, als Florida mit
stürmischen Schritten, von der atemlos ihr nachkeuchenden Friaulerin gefolgt,
dem herzoglichen Palaste zueilte. Sie war barhaupt, und alle Beschwörungen
Eufcmias, wenigstens das weiße Kopftuch, das sie ihr nachtrug, als Schutz gegen
die Sonnenstrahlen überzutyun, hatten sie nicht vermocht, sich auch uur den
kleinsten Aufenthalt zu gönnen.

Aber inmitten der allgemeinen Wirrnisse und des fortwährend durch das
Leuten der Scuchcglocke gesteigerten Drängens und Flüchtens erkannten die
wenigsten der ihr Begegnenden in der schönen goldblonden Jungfrau, die sich
rückhaltlos durch die dichtesten Prozessionen ihren Weg bahnte, die vornehme
Florida Bnonacolsi.

Endlich war das Hauptthor des Schlosses erreicht.

Michel Zollikofer hatte es schließen lassen, und die davor postirtcn schweizer
Hellebardire schüttelten den Kopf, als Florida eingelassen zu werden verlangte.

Mit allen ihr nur irgeud sich darbietenden Gründen bewies die von keinem
Aufschub wissenwollende den bärtigen Marssöhnen, daß sie zu'Wo, xrosto den
Herzog sprechen müsse; aber weder verstanden die so bestürmten die Landes¬
sprache genugsam, um über die Notwendigkeit des Dranßenbleibens ihr Rede
stehen zu köunen, noch gelang es der inzwischen herangekommenen Friaulerin,
sich in das Kauderwelsch der fremden Gebirgssöhnc hineinzufinden. Zuletzt
stelzte der alte Knasterbart Zollikofer selbst herbei, und nun kam heraus, daß
sich das Schloß gegen die Stadt absperre, ganz so, wie die Stadt sich gegen
das Schloß absperren müsse, weil ja doch, wie männiglich bekannt, die schwarzen
Pocken, die verwünschten welschen VÄMo1<z, drinnen wie toll wüteten.

Eufemia glaubte, ihre letzte Stunde habe geschlagen. Oio räh 110 ^rmräi !
Gott behüte mich davor! rief sie einmal über das andre, und da ihre Herrin


Um eine Perle.

unterbrachten, den diese barmherzigen Samariter mit sich führten. Sie selbst
gingen aber schwarz oder braun oder grau vermummt, sodaß nur ihre Augen
und ihre Hände uicht bedeckt waren, ganz wie solche freiwillige Genossenschaften
noch heute in einigen Städten Italiens ihrem Liebeswerke obliegen, und diese
ihre unheimlich düstere Erscheinung war uicht geeignet, die geängstigten Seelen
zu beruhigen.

Freundlicher muteten die mit brennenden Kerzen daherkommenden singenden
Prozessionen an, denen sich denn auch die halbe Bevölkerung Mantuas ange¬
schlossen hatte. Sie trugen Standarten, schön geputzte Madonnen, Heilige mit
einem, zwei und auch drei Goldglorienscheinen um das Haupt, gläserne Kasten
mit Reliquien und glänzende Baldachine, unter welchen letzteren hohe kirchliche
Würdenträger mit der Monstranz einherschrittcn, sodaß in der That, wo sie sich
zeigten, der Gedanke an die Hilfe der himmlischen Fürbitter manche gefurchte
Stirn cntrunzelte.

Die Sonne stand im hohen Mittag und die Luft hatte schon wieder den
nämlichen Hitzegrad wie vor dem gestrigen Gewitter erreicht, als Florida mit
stürmischen Schritten, von der atemlos ihr nachkeuchenden Friaulerin gefolgt,
dem herzoglichen Palaste zueilte. Sie war barhaupt, und alle Beschwörungen
Eufcmias, wenigstens das weiße Kopftuch, das sie ihr nachtrug, als Schutz gegen
die Sonnenstrahlen überzutyun, hatten sie nicht vermocht, sich auch uur den
kleinsten Aufenthalt zu gönnen.

Aber inmitten der allgemeinen Wirrnisse und des fortwährend durch das
Leuten der Scuchcglocke gesteigerten Drängens und Flüchtens erkannten die
wenigsten der ihr Begegnenden in der schönen goldblonden Jungfrau, die sich
rückhaltlos durch die dichtesten Prozessionen ihren Weg bahnte, die vornehme
Florida Bnonacolsi.

Endlich war das Hauptthor des Schlosses erreicht.

Michel Zollikofer hatte es schließen lassen, und die davor postirtcn schweizer
Hellebardire schüttelten den Kopf, als Florida eingelassen zu werden verlangte.

Mit allen ihr nur irgeud sich darbietenden Gründen bewies die von keinem
Aufschub wissenwollende den bärtigen Marssöhnen, daß sie zu'Wo, xrosto den
Herzog sprechen müsse; aber weder verstanden die so bestürmten die Landes¬
sprache genugsam, um über die Notwendigkeit des Dranßenbleibens ihr Rede
stehen zu köunen, noch gelang es der inzwischen herangekommenen Friaulerin,
sich in das Kauderwelsch der fremden Gebirgssöhnc hineinzufinden. Zuletzt
stelzte der alte Knasterbart Zollikofer selbst herbei, und nun kam heraus, daß
sich das Schloß gegen die Stadt absperre, ganz so, wie die Stadt sich gegen
das Schloß absperren müsse, weil ja doch, wie männiglich bekannt, die schwarzen
Pocken, die verwünschten welschen VÄMo1<z, drinnen wie toll wüteten.

Eufemia glaubte, ihre letzte Stunde habe geschlagen. Oio räh 110 ^rmräi !
Gott behüte mich davor! rief sie einmal über das andre, und da ihre Herrin


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/290>, abgerufen am 20.05.2024.