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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Die erste Konstitution für Österreich.

Österreich hatte nur eine Verfassung auf dem Papier. Zur Ausführung kam
sie niemals. In wenigen Jahren hatte die Regierung sich wieder so vollständig
in die absolutistische Gewohnheit eingelebt, daß ihr jede öffentliche Kontrole
höchst unbequem geworden sein würde, und da das Volk eigentlich auch nie
einen Begriff von verfassungsmäßigen Zuständen bekommen, den Rausch von
1.848 ausgeschlafen hatte, konnte man es 1851 wagen, auch die oktroirte Ver¬
fassung von 1849 einfach aufzuheben. Der Staatsstreich Hütte sich rechtfertigen
lassen, wenn die alten Laudstmide wieder einberufen und im Einvernehmen mit
diesen eine neue Form der Gesamtverfassung gesucht worden wäre. Aber die
Scheu vor allem parlamentarischen Wesen, vor allen Wahlen u. s. w. war von
dem tollen Jahre her so groß, daß sogar das Mandat des Wiener Gemeinderates
ungesetzlicherweije unbegrenzte Dauer erhielt; und je mehr Bach und Genossen
inne wurden, daß trotz der verhängnisvollen Erfolge in der auswärtigen Politik
der gebildete Teil der Nation sich immer entschiedner von ihnen abwende, umso-
weniger wollten sie diesen Widerspruch zum Ausdruck kommen lassen. Wurden
doch die ungarischen Altkonservativen, welche nur um die Wiederherstellung der
alten Verfassung bitten wollten, verhindert, ihre Denkschrift zur Kenntnis des
Kaisers zu bringen. Und damals wäre auch das bescheidenste Zugeständnis von
Deutschen, Tschechen, Magyaren u. s. w. mit Dank angenommen worden, wären
Grundlagen für den ruhigen, gesetzlichen Fortbau zu gewinnen gewesen. Denn
selbst, als im "verstärkten Reichsrat" von 1860 der siebenbürger Maager sich
von Knranda hatte das Verlangen nach einer Repräsentativverfassung souffliren
lassen, verstand man in den niedern Schichten darunter nichts als eine Wieder¬
holung des Jahres 1848. Das Ministerium, aber glaubte die Wünsche der
Geduldigen und Bescheidnen ignoriren zu dürfen und holte sich lieber einen
Korb um deu andern von den Italienern.

Das Diplom vom 20. Oktober 1860 war abermals eine Oktroirung, eine
völlig neue Schöpfung; und als dessen Durchführung wesentlich durch den
Widerspruch der deutscheu liberalen Presse verhindert worden war, folgte im
Februar 1861 das Patent, angeblich die Vollziehung des Diploms, in der
That wiederum etwas Neues, wieder eine Oktroirung. Die Völkerschaften der
westlichen und nördlichen Reichshälfte nahmen das Patent an, wenn auch zum
Teil unter Verklciusulirungen; die Ungarn lehnten es in so barscher Form ab,
daß kaum etwas andres als die Auflösung des Landtages übrig blieb. Und
dieser Akt that für den Moment seine Wirkung. Was der (vor einigen Jahren
ermordete) Tavernikus Georg von Mailath in der letzten Sitzung des ungarischen
Oberhauses aussprach, das erkannte im Stillen jeder Verständige unter seinen
Landsleuten an: nämlich daß man unbesvnnenerweise die zur Versöhnung
gereichte Hand zurückgestoßen hatte. Hätte damals Schmerling gethan, was er
als seine Absicht verkündigen ließ, innerhalb der gesetzlichen Frist die Neuwahlen
ausgeschrieben und die Abgeordneten den Groll von zehn Jahren von der Leber


Die erste Konstitution für Österreich.

Österreich hatte nur eine Verfassung auf dem Papier. Zur Ausführung kam
sie niemals. In wenigen Jahren hatte die Regierung sich wieder so vollständig
in die absolutistische Gewohnheit eingelebt, daß ihr jede öffentliche Kontrole
höchst unbequem geworden sein würde, und da das Volk eigentlich auch nie
einen Begriff von verfassungsmäßigen Zuständen bekommen, den Rausch von
1.848 ausgeschlafen hatte, konnte man es 1851 wagen, auch die oktroirte Ver¬
fassung von 1849 einfach aufzuheben. Der Staatsstreich Hütte sich rechtfertigen
lassen, wenn die alten Laudstmide wieder einberufen und im Einvernehmen mit
diesen eine neue Form der Gesamtverfassung gesucht worden wäre. Aber die
Scheu vor allem parlamentarischen Wesen, vor allen Wahlen u. s. w. war von
dem tollen Jahre her so groß, daß sogar das Mandat des Wiener Gemeinderates
ungesetzlicherweije unbegrenzte Dauer erhielt; und je mehr Bach und Genossen
inne wurden, daß trotz der verhängnisvollen Erfolge in der auswärtigen Politik
der gebildete Teil der Nation sich immer entschiedner von ihnen abwende, umso-
weniger wollten sie diesen Widerspruch zum Ausdruck kommen lassen. Wurden
doch die ungarischen Altkonservativen, welche nur um die Wiederherstellung der
alten Verfassung bitten wollten, verhindert, ihre Denkschrift zur Kenntnis des
Kaisers zu bringen. Und damals wäre auch das bescheidenste Zugeständnis von
Deutschen, Tschechen, Magyaren u. s. w. mit Dank angenommen worden, wären
Grundlagen für den ruhigen, gesetzlichen Fortbau zu gewinnen gewesen. Denn
selbst, als im „verstärkten Reichsrat" von 1860 der siebenbürger Maager sich
von Knranda hatte das Verlangen nach einer Repräsentativverfassung souffliren
lassen, verstand man in den niedern Schichten darunter nichts als eine Wieder¬
holung des Jahres 1848. Das Ministerium, aber glaubte die Wünsche der
Geduldigen und Bescheidnen ignoriren zu dürfen und holte sich lieber einen
Korb um deu andern von den Italienern.

Das Diplom vom 20. Oktober 1860 war abermals eine Oktroirung, eine
völlig neue Schöpfung; und als dessen Durchführung wesentlich durch den
Widerspruch der deutscheu liberalen Presse verhindert worden war, folgte im
Februar 1861 das Patent, angeblich die Vollziehung des Diploms, in der
That wiederum etwas Neues, wieder eine Oktroirung. Die Völkerschaften der
westlichen und nördlichen Reichshälfte nahmen das Patent an, wenn auch zum
Teil unter Verklciusulirungen; die Ungarn lehnten es in so barscher Form ab,
daß kaum etwas andres als die Auflösung des Landtages übrig blieb. Und
dieser Akt that für den Moment seine Wirkung. Was der (vor einigen Jahren
ermordete) Tavernikus Georg von Mailath in der letzten Sitzung des ungarischen
Oberhauses aussprach, das erkannte im Stillen jeder Verständige unter seinen
Landsleuten an: nämlich daß man unbesvnnenerweise die zur Versöhnung
gereichte Hand zurückgestoßen hatte. Hätte damals Schmerling gethan, was er
als seine Absicht verkündigen ließ, innerhalb der gesetzlichen Frist die Neuwahlen
ausgeschrieben und die Abgeordneten den Groll von zehn Jahren von der Leber


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/442>, abgerufen am 21.05.2024.