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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Zwei fürstliche Frauen des achtzehnten Jahrhunderts.

Durch Grimm wurde die Landgräfin mit zwei andern Häuptern der Encyklo¬
pädie bekannt, mit Helvetius und Voltaire. Der letztere hatte für das Schicksal
der von der katholischen Geistlichkeit in Toulouse verfolgten protestantischen
Familie Sirven die Teilnahme der von der edelsten Toleranz erfüllten Land¬
gräfin gewonnen. Am 22. Juli 1706 schreibt er ihr von Ferney aus: "Ma¬
dame! Herr Grimm, der Ihrer Hoheit attachirt ist, kommt meiner Schüchtern¬
heit zu Hilfe; er teilt mir mit, daß ich mich ohne Scheu an Sie wenden und
"in Hilfe für eine Familie bitten dürfe, die ebenso unglücklich ist wie die Fa¬
milie Calas. Ich weiß, Madame, daß Sie die Vernunft gegen die Tyrannei
des Aberglaubens schützen. Der Fanatismus entehrt noch die französische Nation,
Deutschland muß sie belehren durch Wort und Beispiel. Eure Hoheit hat schon
das Beispiel des Mitleides und der Großmut gegeben, die Calas preisen Ihre
Wohlthaten, und die Weisen jauchzen ihnen Beifall. Die höchste Ehre werden
die haben, welche die Sirvcns verteidigen helfen. Wenn Ihre Hoheit sich ent¬
schließen kann, mir ein Zeichen Ihrer Güte und Ihres Mitleides für die Sirven
zukommen zu lassen, dann wird die Familie aufhören unglücklich zu sein. Je
mehr der Fanatismus Anstrengungen macht gegen die menschliche Natur, desto
mehr wird diese durch Ihre schöne Seele verteidigt sein. Niemals hat mau in
Frankreich Vernunft und Wahrheit mehr verfolgt als jetzt. Der Aberglaube
übt seine Qualen und Sie Ihre Wohlthaten; es ist der Kampf der Grazien
gegen Ungeheuer." Als dann die Landgräfin trotz der ihr knapp zugemessenen
Mittel der verfolgten Familie ihre Unterstützung hatte zuteil werden lassen,
schrieb ihr Voltaire: "Madame! Erlaube" Sie mir, Ihrer Hoheit den tief¬
gefühlten Dank der Familie Sirven und mit ihm mich selbst zu Füßen zu legen.
Die letzten Worte Ihres Briefes, mit dem Sie mich beehrt haben, haben meinem
Alter Trost gewährt und die hinschwindenden Neste meiner Seele erwärmt. Sie
verabscheuen die Tyrannei und den Aberglauben; pflanzen Sie diese edeln Ge¬
fühle allen denen ein, auf die ein Wort Ihres Mundes und ein Blick Ihrer
Rügen Eindruck macheu. Sie haben die Macht der Schönheit und der Philo¬
sophie; ach, daß es mir nicht vergönnt ist, ehe ich mein Leben beschließe, zu
Ihnen zu kommen, Ihnen meine Verehrung auszusprechen, Sie zu sehen, Sie
zu hören und den Himmel und die Natur zu segnen, die solche Wesen wie Sie
erschaffen haben zum Schutz gegen die Ungeheuer, welche die Erde betrüben."


Lhristian Meyer.


Zwei fürstliche Frauen des achtzehnten Jahrhunderts.

Durch Grimm wurde die Landgräfin mit zwei andern Häuptern der Encyklo¬
pädie bekannt, mit Helvetius und Voltaire. Der letztere hatte für das Schicksal
der von der katholischen Geistlichkeit in Toulouse verfolgten protestantischen
Familie Sirven die Teilnahme der von der edelsten Toleranz erfüllten Land¬
gräfin gewonnen. Am 22. Juli 1706 schreibt er ihr von Ferney aus: „Ma¬
dame! Herr Grimm, der Ihrer Hoheit attachirt ist, kommt meiner Schüchtern¬
heit zu Hilfe; er teilt mir mit, daß ich mich ohne Scheu an Sie wenden und
»in Hilfe für eine Familie bitten dürfe, die ebenso unglücklich ist wie die Fa¬
milie Calas. Ich weiß, Madame, daß Sie die Vernunft gegen die Tyrannei
des Aberglaubens schützen. Der Fanatismus entehrt noch die französische Nation,
Deutschland muß sie belehren durch Wort und Beispiel. Eure Hoheit hat schon
das Beispiel des Mitleides und der Großmut gegeben, die Calas preisen Ihre
Wohlthaten, und die Weisen jauchzen ihnen Beifall. Die höchste Ehre werden
die haben, welche die Sirvcns verteidigen helfen. Wenn Ihre Hoheit sich ent¬
schließen kann, mir ein Zeichen Ihrer Güte und Ihres Mitleides für die Sirven
zukommen zu lassen, dann wird die Familie aufhören unglücklich zu sein. Je
mehr der Fanatismus Anstrengungen macht gegen die menschliche Natur, desto
mehr wird diese durch Ihre schöne Seele verteidigt sein. Niemals hat mau in
Frankreich Vernunft und Wahrheit mehr verfolgt als jetzt. Der Aberglaube
übt seine Qualen und Sie Ihre Wohlthaten; es ist der Kampf der Grazien
gegen Ungeheuer." Als dann die Landgräfin trotz der ihr knapp zugemessenen
Mittel der verfolgten Familie ihre Unterstützung hatte zuteil werden lassen,
schrieb ihr Voltaire: „Madame! Erlaube» Sie mir, Ihrer Hoheit den tief¬
gefühlten Dank der Familie Sirven und mit ihm mich selbst zu Füßen zu legen.
Die letzten Worte Ihres Briefes, mit dem Sie mich beehrt haben, haben meinem
Alter Trost gewährt und die hinschwindenden Neste meiner Seele erwärmt. Sie
verabscheuen die Tyrannei und den Aberglauben; pflanzen Sie diese edeln Ge¬
fühle allen denen ein, auf die ein Wort Ihres Mundes und ein Blick Ihrer
Rügen Eindruck macheu. Sie haben die Macht der Schönheit und der Philo¬
sophie; ach, daß es mir nicht vergönnt ist, ehe ich mein Leben beschließe, zu
Ihnen zu kommen, Ihnen meine Verehrung auszusprechen, Sie zu sehen, Sie
zu hören und den Himmel und die Natur zu segnen, die solche Wesen wie Sie
erschaffen haben zum Schutz gegen die Ungeheuer, welche die Erde betrüben."


Lhristian Meyer.


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[0468] Zwei fürstliche Frauen des achtzehnten Jahrhunderts. Durch Grimm wurde die Landgräfin mit zwei andern Häuptern der Encyklo¬ pädie bekannt, mit Helvetius und Voltaire. Der letztere hatte für das Schicksal der von der katholischen Geistlichkeit in Toulouse verfolgten protestantischen Familie Sirven die Teilnahme der von der edelsten Toleranz erfüllten Land¬ gräfin gewonnen. Am 22. Juli 1706 schreibt er ihr von Ferney aus: „Ma¬ dame! Herr Grimm, der Ihrer Hoheit attachirt ist, kommt meiner Schüchtern¬ heit zu Hilfe; er teilt mir mit, daß ich mich ohne Scheu an Sie wenden und »in Hilfe für eine Familie bitten dürfe, die ebenso unglücklich ist wie die Fa¬ milie Calas. Ich weiß, Madame, daß Sie die Vernunft gegen die Tyrannei des Aberglaubens schützen. Der Fanatismus entehrt noch die französische Nation, Deutschland muß sie belehren durch Wort und Beispiel. Eure Hoheit hat schon das Beispiel des Mitleides und der Großmut gegeben, die Calas preisen Ihre Wohlthaten, und die Weisen jauchzen ihnen Beifall. Die höchste Ehre werden die haben, welche die Sirvcns verteidigen helfen. Wenn Ihre Hoheit sich ent¬ schließen kann, mir ein Zeichen Ihrer Güte und Ihres Mitleides für die Sirven zukommen zu lassen, dann wird die Familie aufhören unglücklich zu sein. Je mehr der Fanatismus Anstrengungen macht gegen die menschliche Natur, desto mehr wird diese durch Ihre schöne Seele verteidigt sein. Niemals hat mau in Frankreich Vernunft und Wahrheit mehr verfolgt als jetzt. Der Aberglaube übt seine Qualen und Sie Ihre Wohlthaten; es ist der Kampf der Grazien gegen Ungeheuer." Als dann die Landgräfin trotz der ihr knapp zugemessenen Mittel der verfolgten Familie ihre Unterstützung hatte zuteil werden lassen, schrieb ihr Voltaire: „Madame! Erlaube» Sie mir, Ihrer Hoheit den tief¬ gefühlten Dank der Familie Sirven und mit ihm mich selbst zu Füßen zu legen. Die letzten Worte Ihres Briefes, mit dem Sie mich beehrt haben, haben meinem Alter Trost gewährt und die hinschwindenden Neste meiner Seele erwärmt. Sie verabscheuen die Tyrannei und den Aberglauben; pflanzen Sie diese edeln Ge¬ fühle allen denen ein, auf die ein Wort Ihres Mundes und ein Blick Ihrer Rügen Eindruck macheu. Sie haben die Macht der Schönheit und der Philo¬ sophie; ach, daß es mir nicht vergönnt ist, ehe ich mein Leben beschließe, zu Ihnen zu kommen, Ihnen meine Verehrung auszusprechen, Sie zu sehen, Sie zu hören und den Himmel und die Natur zu segnen, die solche Wesen wie Sie erschaffen haben zum Schutz gegen die Ungeheuer, welche die Erde betrüben." Lhristian Meyer.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/468>, abgerufen am 21.05.2024.