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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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sie zum Islam übergetreten sind, ein wildes Prätoricmertum (die Janitscharen
rekrutirten sich vorzugsweise von ihnen), haben sie sich jetzt durchweg den neuen
Verhältnissen anbequemt. Was nicht zum Christentume zurücktreten wollte,
ist über die Grenze gezogen. Dafür sind neue Ansiedler herübergekommen, und
nunmehr bilden die Albanesen eine ebenso seßhaft ruhige als fleißige, mit Acker¬
bau und Viehzucht beschäftigte Volksklasse. Die eigne Sprache, allerdings ein
Dialekt der slawischen, stirbt unter ihnen nach und nach aus. eine Schriftsprache
ist sie ohnedies nicht gewesen.

Die griechische Sprache kann nicht wie die lateinische eine tote genannt
werden. So vollkommen man die letztere verstehen mag, man wird dadurch von
der Erlernung der italienischen oder einer andern romanischen Sprache nicht
entbunden. Wer aber das Altgriechische versteht, wird sich im neugriechischen,
wie es die Gebildeten sprechen und wie es sich immer mehr reinigt und der
Klassizität nähert, bald zurechtfinden. Es macht nur geringe Schwierigkeit,
ein Buch, eine Zeitung zu lesen, da sich in den Werken des modernen Schrift¬
stellers fast alle Ausdrücke und Wendungen der antiken Sprache wiederfinden,
mit denen man uns ja in den Ghmnasien weidlich gequält hat. Wie wenige
sind freilich in der Lage, davon praktischen Gebrauch zu mache"! Oft genug
habe ich als Knabe diese griechische Servitut verwünscht, und welche Freude hat
es mir jetzt als altem Manne bereitet, auf dem Schauplatze selbst Homer und
Herodot im Original lesen zu können! Einige Not hat es allerdings mit dem
Sprechen, da, abgesehen von der außerordentlichen Zungenfertigkeit und Schnellig¬
keit, Accent und Aussprache unserm Ohre fremd klingen. Daß Herr Erasmus,
der, wie ich glaube, Professor in Holland war, besser wissen sollte, wie das
Griechische auszusprechen sei, als die Eingebornen, zumal da es bis zum Unter¬
gänge des oströmischen Reiches die Hofsprache war und sich in Schrift und Rede
auch nach der türkischen Eroberung erhielt, will mir nicht einleuchten, und ich
besitze leider nicht den nötigen Respekt vor dem gelehrten Dünkel, um blindlings
in vert)" maFistri zu schwören. Dieser theoretische Kram des Katheders wird
durch den offnen uneingenommenen Blick an Ort und Stelle nicht selten lügen¬
gestraft.

Seit das zeitgenössische Griechenland eine selbständige Politik einschlagen
kann und darf und mit unleugbaren Erfolg das Ziel einer geistigen Einheit
sämtlicher Griechenstämme anstrebt, hat das frühere Parteiwesen, wie es dnrch
die drei großen Schntzmcichte geschaffen wurde, ganz aufgehört. An Eiuheits-
gcfühl und patriotischer Opferbereitschaft steht kein andves Volk voran. Oppo¬
sition giebt eS nur noch zwischen Personen, nicht mehr zwischen Grundsätzen
und Tendenzen. Die Entthronnng König Ottos war der letzte Akt englischer
Intrigue und Brutalität, und man möchte sie gern ungeschehen machen, da man
bei dem Tausche schlecht genug gefahren ist. Aber der bairische Prinz konnte kein
Blut sehen und ließ sich geduldig wegführen. Hätte er seine Frau zur Seite


sie zum Islam übergetreten sind, ein wildes Prätoricmertum (die Janitscharen
rekrutirten sich vorzugsweise von ihnen), haben sie sich jetzt durchweg den neuen
Verhältnissen anbequemt. Was nicht zum Christentume zurücktreten wollte,
ist über die Grenze gezogen. Dafür sind neue Ansiedler herübergekommen, und
nunmehr bilden die Albanesen eine ebenso seßhaft ruhige als fleißige, mit Acker¬
bau und Viehzucht beschäftigte Volksklasse. Die eigne Sprache, allerdings ein
Dialekt der slawischen, stirbt unter ihnen nach und nach aus. eine Schriftsprache
ist sie ohnedies nicht gewesen.

Die griechische Sprache kann nicht wie die lateinische eine tote genannt
werden. So vollkommen man die letztere verstehen mag, man wird dadurch von
der Erlernung der italienischen oder einer andern romanischen Sprache nicht
entbunden. Wer aber das Altgriechische versteht, wird sich im neugriechischen,
wie es die Gebildeten sprechen und wie es sich immer mehr reinigt und der
Klassizität nähert, bald zurechtfinden. Es macht nur geringe Schwierigkeit,
ein Buch, eine Zeitung zu lesen, da sich in den Werken des modernen Schrift¬
stellers fast alle Ausdrücke und Wendungen der antiken Sprache wiederfinden,
mit denen man uns ja in den Ghmnasien weidlich gequält hat. Wie wenige
sind freilich in der Lage, davon praktischen Gebrauch zu mache»! Oft genug
habe ich als Knabe diese griechische Servitut verwünscht, und welche Freude hat
es mir jetzt als altem Manne bereitet, auf dem Schauplatze selbst Homer und
Herodot im Original lesen zu können! Einige Not hat es allerdings mit dem
Sprechen, da, abgesehen von der außerordentlichen Zungenfertigkeit und Schnellig¬
keit, Accent und Aussprache unserm Ohre fremd klingen. Daß Herr Erasmus,
der, wie ich glaube, Professor in Holland war, besser wissen sollte, wie das
Griechische auszusprechen sei, als die Eingebornen, zumal da es bis zum Unter¬
gänge des oströmischen Reiches die Hofsprache war und sich in Schrift und Rede
auch nach der türkischen Eroberung erhielt, will mir nicht einleuchten, und ich
besitze leider nicht den nötigen Respekt vor dem gelehrten Dünkel, um blindlings
in vert)» maFistri zu schwören. Dieser theoretische Kram des Katheders wird
durch den offnen uneingenommenen Blick an Ort und Stelle nicht selten lügen¬
gestraft.

Seit das zeitgenössische Griechenland eine selbständige Politik einschlagen
kann und darf und mit unleugbaren Erfolg das Ziel einer geistigen Einheit
sämtlicher Griechenstämme anstrebt, hat das frühere Parteiwesen, wie es dnrch
die drei großen Schntzmcichte geschaffen wurde, ganz aufgehört. An Eiuheits-
gcfühl und patriotischer Opferbereitschaft steht kein andves Volk voran. Oppo¬
sition giebt eS nur noch zwischen Personen, nicht mehr zwischen Grundsätzen
und Tendenzen. Die Entthronnng König Ottos war der letzte Akt englischer
Intrigue und Brutalität, und man möchte sie gern ungeschehen machen, da man
bei dem Tausche schlecht genug gefahren ist. Aber der bairische Prinz konnte kein
Blut sehen und ließ sich geduldig wegführen. Hätte er seine Frau zur Seite


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/318>, abgerufen am 10.06.2024.