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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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<Lin zukünftiger Kriegsschauplatz.

schütze der Batterie von vier auf acht zu bringen ist, viele Pferde. Der Reich¬
tum des Landes an solchen ist sehr groß, doch ist der Schlag bei den schweren
Kalibern der Russen meist zu leicht, und es sind daher starke Pferdetransporte
durch die Eisenbahn erforderlich. Die Organisation der Trains ist schwerfällig,
ihre Mobilmachung wird viel Zeit in Anspruch nehmen. Im allgemeinen ist
zu bemerken, daß alle Vorarbeiten für eine Mobilisirnng in Rußland weit mehr
zentralisirr, die untern Instanzen viel unselbständiger sind als anderwärts, was
bei der großen Ausdehnung des Reiches besonders bedenklich ist. Endlich ist
nicht außer Acht zu lassen, daß die russische Armee ihren Übergang vom Friedens¬
fuße auf die Kriegsstärke bisher immer nur stückweise, nicht sofort als Ganzes
vollzogen hat. Besonders drastisch trat diese Thatsache im letzten Kriege mit
den Türken hervor. Der ganze Winter von 1876/77 verlief über der Vor¬
bereitung desselben, und siehe da, zuletzt standen nur sechs Armeekorps bereit,
über die Donau zu gehen. Erst als diese sich unzureichend erwiesen hatten,
wurden weitere Korps herangezogen.

Was den Aufmarsch der russischen Armee betrifft, so ist er hauptsächlich
vou den Bahnlinien abhängig, die nach der Westgrenze führen. Darnach werden
sich die Truppen an folgenden Punkten sammeln:

1. zwischen Kvwno und Wilna . . 14 Infanterie-, 5 Kavalleriedivisionen,
2. bei Bialystvk bez. Goniondz > , 3 " 1 "
3. zwischen Warschau und Brest . , 21 " 6V-
4. in Volhynien....... 12 " 4 "

Das links von der Weichsel gelegene Land sowie der Strich zwischen diesem
Flusse, dem Narcw und der ostpreußischen Grenze ist als von Truppen entblößt
zu denken. Die hier stehenden Garnisonen werden sich wahrscheinlich vor dem
erheblich schneller kriegsbereiten Gegner hinter die genannten Flüsse zurückziehen,
um dort mobilisirt zu werden. Dafür spricht das neuerdings angelegte oder
verstärkte System der polnischen Festungen, welches sich durchweg den Fluß-
linien Weichsel-Narew-Bohr anschließt. Wollte man sich links von der Weichsel
oder nördlich vom Narew schlagen, so hätte man in diesen Gebieten Stützpunkte
angelegt. Auf die Ansammlung einer größern Truppenmacht in Volhhnien
weist die russische Südwestbahn und die Aussicht auf das von Truppe" fast
entblößt zu denkende Osigalizien hin, wo sich der Aufmarsch der österreichisch-
ungarischen Armee nur unter Schwierigkeiten bewerkstelligen läßt. Unwahr¬
scheinlich ist eine Heranziehung der russischen südwestlichen Korps an die
Weichsel, da deren Bahntransport an der galizischen Grenze unter steter Ge¬
fährdung vor sich gehen würde. Die beiden kaukasischen Armeekorps, sechs In¬
fanterie-, drei Kavalleriedivisionen und zahlreiche Kosnkeuformationeu, werden
auf dem polnischen Kriegsschauplatze nicht zu verwenden sein, da vermutlich türkische
Bedrohung und Aufstände im Kaukasus sie in Asien festhalten werden. Das siebente
Armeekorps wird voraussichtlich zum Schutze der Küsten des Schwarzen Meeres


<Lin zukünftiger Kriegsschauplatz.

schütze der Batterie von vier auf acht zu bringen ist, viele Pferde. Der Reich¬
tum des Landes an solchen ist sehr groß, doch ist der Schlag bei den schweren
Kalibern der Russen meist zu leicht, und es sind daher starke Pferdetransporte
durch die Eisenbahn erforderlich. Die Organisation der Trains ist schwerfällig,
ihre Mobilmachung wird viel Zeit in Anspruch nehmen. Im allgemeinen ist
zu bemerken, daß alle Vorarbeiten für eine Mobilisirnng in Rußland weit mehr
zentralisirr, die untern Instanzen viel unselbständiger sind als anderwärts, was
bei der großen Ausdehnung des Reiches besonders bedenklich ist. Endlich ist
nicht außer Acht zu lassen, daß die russische Armee ihren Übergang vom Friedens¬
fuße auf die Kriegsstärke bisher immer nur stückweise, nicht sofort als Ganzes
vollzogen hat. Besonders drastisch trat diese Thatsache im letzten Kriege mit
den Türken hervor. Der ganze Winter von 1876/77 verlief über der Vor¬
bereitung desselben, und siehe da, zuletzt standen nur sechs Armeekorps bereit,
über die Donau zu gehen. Erst als diese sich unzureichend erwiesen hatten,
wurden weitere Korps herangezogen.

Was den Aufmarsch der russischen Armee betrifft, so ist er hauptsächlich
vou den Bahnlinien abhängig, die nach der Westgrenze führen. Darnach werden
sich die Truppen an folgenden Punkten sammeln:

1. zwischen Kvwno und Wilna . . 14 Infanterie-, 5 Kavalleriedivisionen,
2. bei Bialystvk bez. Goniondz > , 3 » 1 »
3. zwischen Warschau und Brest . , 21 » 6V-
4. in Volhynien....... 12 » 4 »

Das links von der Weichsel gelegene Land sowie der Strich zwischen diesem
Flusse, dem Narcw und der ostpreußischen Grenze ist als von Truppen entblößt
zu denken. Die hier stehenden Garnisonen werden sich wahrscheinlich vor dem
erheblich schneller kriegsbereiten Gegner hinter die genannten Flüsse zurückziehen,
um dort mobilisirt zu werden. Dafür spricht das neuerdings angelegte oder
verstärkte System der polnischen Festungen, welches sich durchweg den Fluß-
linien Weichsel-Narew-Bohr anschließt. Wollte man sich links von der Weichsel
oder nördlich vom Narew schlagen, so hätte man in diesen Gebieten Stützpunkte
angelegt. Auf die Ansammlung einer größern Truppenmacht in Volhhnien
weist die russische Südwestbahn und die Aussicht auf das von Truppe» fast
entblößt zu denkende Osigalizien hin, wo sich der Aufmarsch der österreichisch-
ungarischen Armee nur unter Schwierigkeiten bewerkstelligen läßt. Unwahr¬
scheinlich ist eine Heranziehung der russischen südwestlichen Korps an die
Weichsel, da deren Bahntransport an der galizischen Grenze unter steter Ge¬
fährdung vor sich gehen würde. Die beiden kaukasischen Armeekorps, sechs In¬
fanterie-, drei Kavalleriedivisionen und zahlreiche Kosnkeuformationeu, werden
auf dem polnischen Kriegsschauplatze nicht zu verwenden sein, da vermutlich türkische
Bedrohung und Aufstände im Kaukasus sie in Asien festhalten werden. Das siebente
Armeekorps wird voraussichtlich zum Schutze der Küsten des Schwarzen Meeres


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[0442] <Lin zukünftiger Kriegsschauplatz. schütze der Batterie von vier auf acht zu bringen ist, viele Pferde. Der Reich¬ tum des Landes an solchen ist sehr groß, doch ist der Schlag bei den schweren Kalibern der Russen meist zu leicht, und es sind daher starke Pferdetransporte durch die Eisenbahn erforderlich. Die Organisation der Trains ist schwerfällig, ihre Mobilmachung wird viel Zeit in Anspruch nehmen. Im allgemeinen ist zu bemerken, daß alle Vorarbeiten für eine Mobilisirnng in Rußland weit mehr zentralisirr, die untern Instanzen viel unselbständiger sind als anderwärts, was bei der großen Ausdehnung des Reiches besonders bedenklich ist. Endlich ist nicht außer Acht zu lassen, daß die russische Armee ihren Übergang vom Friedens¬ fuße auf die Kriegsstärke bisher immer nur stückweise, nicht sofort als Ganzes vollzogen hat. Besonders drastisch trat diese Thatsache im letzten Kriege mit den Türken hervor. Der ganze Winter von 1876/77 verlief über der Vor¬ bereitung desselben, und siehe da, zuletzt standen nur sechs Armeekorps bereit, über die Donau zu gehen. Erst als diese sich unzureichend erwiesen hatten, wurden weitere Korps herangezogen. Was den Aufmarsch der russischen Armee betrifft, so ist er hauptsächlich vou den Bahnlinien abhängig, die nach der Westgrenze führen. Darnach werden sich die Truppen an folgenden Punkten sammeln: 1. zwischen Kvwno und Wilna . . 14 Infanterie-, 5 Kavalleriedivisionen, 2. bei Bialystvk bez. Goniondz > , 3 » 1 » 3. zwischen Warschau und Brest . , 21 » 6V- 4. in Volhynien....... 12 » 4 » Das links von der Weichsel gelegene Land sowie der Strich zwischen diesem Flusse, dem Narcw und der ostpreußischen Grenze ist als von Truppen entblößt zu denken. Die hier stehenden Garnisonen werden sich wahrscheinlich vor dem erheblich schneller kriegsbereiten Gegner hinter die genannten Flüsse zurückziehen, um dort mobilisirt zu werden. Dafür spricht das neuerdings angelegte oder verstärkte System der polnischen Festungen, welches sich durchweg den Fluß- linien Weichsel-Narew-Bohr anschließt. Wollte man sich links von der Weichsel oder nördlich vom Narew schlagen, so hätte man in diesen Gebieten Stützpunkte angelegt. Auf die Ansammlung einer größern Truppenmacht in Volhhnien weist die russische Südwestbahn und die Aussicht auf das von Truppe» fast entblößt zu denkende Osigalizien hin, wo sich der Aufmarsch der österreichisch- ungarischen Armee nur unter Schwierigkeiten bewerkstelligen läßt. Unwahr¬ scheinlich ist eine Heranziehung der russischen südwestlichen Korps an die Weichsel, da deren Bahntransport an der galizischen Grenze unter steter Ge¬ fährdung vor sich gehen würde. Die beiden kaukasischen Armeekorps, sechs In¬ fanterie-, drei Kavalleriedivisionen und zahlreiche Kosnkeuformationeu, werden auf dem polnischen Kriegsschauplatze nicht zu verwenden sein, da vermutlich türkische Bedrohung und Aufstände im Kaukasus sie in Asien festhalten werden. Das siebente Armeekorps wird voraussichtlich zum Schutze der Küsten des Schwarzen Meeres

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/442>, abgerufen am 22.05.2024.