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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Ber Lid vor Gericht.

wiegende Bedeutung des Pcirteicneides hat dann auch dahin geführt, daß in dem
wichtigsten Falle, nämlich in dem Falle des zugeschobenen Schiedseides, die Frage,
welche Partei den Eid zu leisten habe, nicht von richterlicher Willkür abhängt,
sondern von bestimmten Regeln.

Diese Regeln stehen in genauer Verbindung mit der Frage der Beweislast.
Diejenige Partei, welcher die Beweislast obliegt, kann nicht verlangen, daß, bei
dein Mangel aller übrigen Beweismittel, durch ihren eignen Eid über ihr Recht
entschieden werde, sondern sie muß in erster Linie es geschehen lassen, daß der
Gegner ihre Behauptung abschwöre. Nur wenn dieser nicht schwören will, muß
auf dessen Verlangen die bcweispflichtige Partei selbst die Wahrheit ihrer Be¬
hauptung beschwören, wodurch dann sich die Beweisfrage zu ihren Gunsten ent¬
scheidet. Wenn also z. B. A wider B ein diesem angeblich gegebenes Darlehn
einklagt, B aber ein solches empfangen zu haben leugnet, so liegt es in der
Natur der Sache, daß A beweisen muß, das Darlehn an B gegeben zu haben.
Zu diesem Zwecke darf er aber nicht sagen: "Ich will beschwören, daß ich das
Darlehn an B gegeben habe." Sonst wäre ja jeder dem Eide jedes gewissen¬
losen Menschen, der gegen ihn einen Prozeß erhöbe und bereit wäre, die Wahrheit
seiner Behauptungen eidlich zu erhärten, preisgegeben. Vielmehr muß A zunnächst
dem B "den Eid zuschieben," d. h. geschehen lassen, daß B schwört, das Darlehn
nicht empfangen zu haben. Schwört er dies, dann wird A abgewiesen. Will
aber B den Eid nicht schwören, dann kann er ihn dem A "zurückschieben," und
dann muß A schwören, daß er das Darlehn gegeben habe. Schwört er dies,
so wird B verurteilt. Diese gesetzliche Regelung hat dann auch die weitere
Folge, daß immer nur eine Partei zum Eid über eine Thatsache zugelassen wird,
nud daß es nicht zu dem widerlichen Schauspiel kommen kann, daß beide Parteien
sich mit ihren Eiden einander gegenüberstehen.

Neben diesen festen Regeln, welche über die schwurberechtigte Partei Be¬
stimmung treffen, bestehen in unsern Prozcßgcsetzen noch weitere Vorschriften in
der Richtung, daß auf den Eid der Parteien immer erst im äußersten Notfalle,
d. h. wenn alle übrigen Beweismittel versagt haben, dann aber uuter genauer
Erwägung, was und wieviel zu beschwören sei, und unter einer dem ent¬
sprechend genauen Formulirung des zu leistenden Eides erkannt wird. Den
Parteien wird dieses Erkenntnis zeitig mitgeteilt, sodaß die schwurpflichtige
Partei sich genugsam überlegen kann, ob sie den Eid schwören könne und wolle.
Gegen das auf Eid lautende Erkenntnis dürfen die Parteien Rechtsmittel er¬
heben und so die Frage, ob der Eid richtig regulirt sei, zur Entscheidung der
höhern Instanz bringen. So ist in allen Richtungen dafür gesorgt, daß nicht
unnötigerweise Parteieneide gefordert werden, und daß die Partei nur dasjenige
zu beschwören braucht, worauf es wirklich im Prozeß ankommt.

Wenn man nun vorschlägt, statt des solchergestalt in genaue Regeln ge¬
bannten Parteieneides "die Vernehmung der Parteien als Zeugen" zu setzen,


GrmzbvKm IV. 1L8L. ^
Ber Lid vor Gericht.

wiegende Bedeutung des Pcirteicneides hat dann auch dahin geführt, daß in dem
wichtigsten Falle, nämlich in dem Falle des zugeschobenen Schiedseides, die Frage,
welche Partei den Eid zu leisten habe, nicht von richterlicher Willkür abhängt,
sondern von bestimmten Regeln.

Diese Regeln stehen in genauer Verbindung mit der Frage der Beweislast.
Diejenige Partei, welcher die Beweislast obliegt, kann nicht verlangen, daß, bei
dein Mangel aller übrigen Beweismittel, durch ihren eignen Eid über ihr Recht
entschieden werde, sondern sie muß in erster Linie es geschehen lassen, daß der
Gegner ihre Behauptung abschwöre. Nur wenn dieser nicht schwören will, muß
auf dessen Verlangen die bcweispflichtige Partei selbst die Wahrheit ihrer Be¬
hauptung beschwören, wodurch dann sich die Beweisfrage zu ihren Gunsten ent¬
scheidet. Wenn also z. B. A wider B ein diesem angeblich gegebenes Darlehn
einklagt, B aber ein solches empfangen zu haben leugnet, so liegt es in der
Natur der Sache, daß A beweisen muß, das Darlehn an B gegeben zu haben.
Zu diesem Zwecke darf er aber nicht sagen: „Ich will beschwören, daß ich das
Darlehn an B gegeben habe." Sonst wäre ja jeder dem Eide jedes gewissen¬
losen Menschen, der gegen ihn einen Prozeß erhöbe und bereit wäre, die Wahrheit
seiner Behauptungen eidlich zu erhärten, preisgegeben. Vielmehr muß A zunnächst
dem B „den Eid zuschieben," d. h. geschehen lassen, daß B schwört, das Darlehn
nicht empfangen zu haben. Schwört er dies, dann wird A abgewiesen. Will
aber B den Eid nicht schwören, dann kann er ihn dem A „zurückschieben," und
dann muß A schwören, daß er das Darlehn gegeben habe. Schwört er dies,
so wird B verurteilt. Diese gesetzliche Regelung hat dann auch die weitere
Folge, daß immer nur eine Partei zum Eid über eine Thatsache zugelassen wird,
nud daß es nicht zu dem widerlichen Schauspiel kommen kann, daß beide Parteien
sich mit ihren Eiden einander gegenüberstehen.

Neben diesen festen Regeln, welche über die schwurberechtigte Partei Be¬
stimmung treffen, bestehen in unsern Prozcßgcsetzen noch weitere Vorschriften in
der Richtung, daß auf den Eid der Parteien immer erst im äußersten Notfalle,
d. h. wenn alle übrigen Beweismittel versagt haben, dann aber uuter genauer
Erwägung, was und wieviel zu beschwören sei, und unter einer dem ent¬
sprechend genauen Formulirung des zu leistenden Eides erkannt wird. Den
Parteien wird dieses Erkenntnis zeitig mitgeteilt, sodaß die schwurpflichtige
Partei sich genugsam überlegen kann, ob sie den Eid schwören könne und wolle.
Gegen das auf Eid lautende Erkenntnis dürfen die Parteien Rechtsmittel er¬
heben und so die Frage, ob der Eid richtig regulirt sei, zur Entscheidung der
höhern Instanz bringen. So ist in allen Richtungen dafür gesorgt, daß nicht
unnötigerweise Parteieneide gefordert werden, und daß die Partei nur dasjenige
zu beschwören braucht, worauf es wirklich im Prozeß ankommt.

Wenn man nun vorschlägt, statt des solchergestalt in genaue Regeln ge¬
bannten Parteieneides „die Vernehmung der Parteien als Zeugen" zu setzen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/17>, abgerufen am 16.05.2024.