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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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"Freiheiten" behaupten können, wenn nicht den schwächeren Klassen die persön¬
liche Freiheit verbürgt wird. Alle Kämpfe nehmen fortan die Richtung auf
sichere Schranken gegen die persönliche Regierung, und solange der Streit sich
darum dreht, stehen Geistlichkeit und Volk fortwährend zum Adel. Um die
N^MA Olmrw zu sichern, wurde beständig das Verlangen laut, daß sie bei
jedem Anlaß bestätigt werde, und es ist dies bis zum Ende des Mittelalters
auch achtunddreißigmal geschehen. Unter Heinrich III., der 1216 erst ein neun¬
jähriges Kind war, folgen nun die "Concilien" rasch aufeinander, Reichsver-
scnnmluugen, wie sie Heinrich II. im Kirchenstreite wieder berufen hatte, um sich
gegenüber dem Papste mehr Rückhalt zu schaffen, so wurde zu Bristol, wie
erwähnt, der Artikel 61 vom Concilium gestrichen, 1227 der König zu Oxford
für großjährig erklärt. Eine große Versammlung zu London vom Jahre 1246
wird von den Geschichtschreibern zuerst als xsilminenwin bezeichnet, und von
da an wird dieser Ausdruck immer häusiger gebraucht, ohne daß aber die älteren
Bezeichnungen oonoiiiuw,, Kolloquium, <;uriii verdrängt würden. Am 11. Juni 1268
ladet Heinrich III. selbst zu einem MrliMiöirtum nach Oxford ein, wo die Prä¬
laten, Grafen und "nahezu hundert Barone" erschienen. In den Wirren der
nächsten Zeit geschah es zuerst im Januar 1265 auf Antreiben des Grafen
Simon von Montfort, daß nicht bloß Prälaten, Grafen und Bnrone, sondern
auch zwei Ritter aus jeder Grafschaft, aus einigen Städten je zwei Bürger
nud aus den fünf Höfen je vier Männer zur Neichsverscnnmlung geladen wurden,
alle im Namen des Königs, durch Ausstellung von Geleitsbriefen (vritg). Der
Zweck ihrer Beteiligung war mit den Worten: Uodiseum traetÄturi ol suxor
xraowissis Mxilwm irnxonsuro noch vieldeutig ausgedrückt, und es war mich
noch leine Rede davon, daß man diese einmalige Berufung von Rittern und
Bürgern ius x^rliainsriturn. als einen Vorgang von bleibender Bedeutung an¬
gesehen hätte. Aber gleichwohl ist er dies geworden. Die Krone selbst erkannte,
daß gegenüber der immer trotziger und selbstbewußter auftretenden Baronie es
notwendig war, die besitzenden Klassen zur Reichsstandschaft zuzulassen, wenn das
königliche Regiment sich behaupten wollte; und so hat sich in England eben jene
Einheit der Interessen von Königtum und Bürgertum gezeigt, welche wohl auch
in der deutschen, aber noch vielmehr in der französischen Geschichte hervortritt.
In dem Parlamente von 1265 läßt sich bereits das sich allmählich gestaltende
Iiouss ol vmrurwns erkennen, wenn auch erst in schwachen Umrissen; auch der
Großadel mußte begreifen, daß er allein durch seine Beteiligung an der Re¬
gierung kein Gleichgewicht der Gewalten zustande brachte und die Parlaments¬
verfassung nur durch Aufnahme der Mittelstände, der <zourmunitiito8, Halt und
Gleichgewicht erlangte.

Unter den drei Eduarden hat die angelsächsische Monarchie wieder ein auf¬
steigendes Zeitalter gehabt; der Initiative dieser Monarchen, von denen Eduard!,
der größte war, welcher nur mit König Alfred verglichen werden kann, ver-


Grcnzlwtm IV. 1836. S

„Freiheiten" behaupten können, wenn nicht den schwächeren Klassen die persön¬
liche Freiheit verbürgt wird. Alle Kämpfe nehmen fortan die Richtung auf
sichere Schranken gegen die persönliche Regierung, und solange der Streit sich
darum dreht, stehen Geistlichkeit und Volk fortwährend zum Adel. Um die
N^MA Olmrw zu sichern, wurde beständig das Verlangen laut, daß sie bei
jedem Anlaß bestätigt werde, und es ist dies bis zum Ende des Mittelalters
auch achtunddreißigmal geschehen. Unter Heinrich III., der 1216 erst ein neun¬
jähriges Kind war, folgen nun die „Concilien" rasch aufeinander, Reichsver-
scnnmluugen, wie sie Heinrich II. im Kirchenstreite wieder berufen hatte, um sich
gegenüber dem Papste mehr Rückhalt zu schaffen, so wurde zu Bristol, wie
erwähnt, der Artikel 61 vom Concilium gestrichen, 1227 der König zu Oxford
für großjährig erklärt. Eine große Versammlung zu London vom Jahre 1246
wird von den Geschichtschreibern zuerst als xsilminenwin bezeichnet, und von
da an wird dieser Ausdruck immer häusiger gebraucht, ohne daß aber die älteren
Bezeichnungen oonoiiiuw,, Kolloquium, <;uriii verdrängt würden. Am 11. Juni 1268
ladet Heinrich III. selbst zu einem MrliMiöirtum nach Oxford ein, wo die Prä¬
laten, Grafen und „nahezu hundert Barone" erschienen. In den Wirren der
nächsten Zeit geschah es zuerst im Januar 1265 auf Antreiben des Grafen
Simon von Montfort, daß nicht bloß Prälaten, Grafen und Bnrone, sondern
auch zwei Ritter aus jeder Grafschaft, aus einigen Städten je zwei Bürger
nud aus den fünf Höfen je vier Männer zur Neichsverscnnmlung geladen wurden,
alle im Namen des Königs, durch Ausstellung von Geleitsbriefen (vritg). Der
Zweck ihrer Beteiligung war mit den Worten: Uodiseum traetÄturi ol suxor
xraowissis Mxilwm irnxonsuro noch vieldeutig ausgedrückt, und es war mich
noch leine Rede davon, daß man diese einmalige Berufung von Rittern und
Bürgern ius x^rliainsriturn. als einen Vorgang von bleibender Bedeutung an¬
gesehen hätte. Aber gleichwohl ist er dies geworden. Die Krone selbst erkannte,
daß gegenüber der immer trotziger und selbstbewußter auftretenden Baronie es
notwendig war, die besitzenden Klassen zur Reichsstandschaft zuzulassen, wenn das
königliche Regiment sich behaupten wollte; und so hat sich in England eben jene
Einheit der Interessen von Königtum und Bürgertum gezeigt, welche wohl auch
in der deutschen, aber noch vielmehr in der französischen Geschichte hervortritt.
In dem Parlamente von 1265 läßt sich bereits das sich allmählich gestaltende
Iiouss ol vmrurwns erkennen, wenn auch erst in schwachen Umrissen; auch der
Großadel mußte begreifen, daß er allein durch seine Beteiligung an der Re¬
gierung kein Gleichgewicht der Gewalten zustande brachte und die Parlaments¬
verfassung nur durch Aufnahme der Mittelstände, der <zourmunitiito8, Halt und
Gleichgewicht erlangte.

Unter den drei Eduarden hat die angelsächsische Monarchie wieder ein auf¬
steigendes Zeitalter gehabt; der Initiative dieser Monarchen, von denen Eduard!,
der größte war, welcher nur mit König Alfred verglichen werden kann, ver-


Grcnzlwtm IV. 1836. S
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[0025] „Freiheiten" behaupten können, wenn nicht den schwächeren Klassen die persön¬ liche Freiheit verbürgt wird. Alle Kämpfe nehmen fortan die Richtung auf sichere Schranken gegen die persönliche Regierung, und solange der Streit sich darum dreht, stehen Geistlichkeit und Volk fortwährend zum Adel. Um die N^MA Olmrw zu sichern, wurde beständig das Verlangen laut, daß sie bei jedem Anlaß bestätigt werde, und es ist dies bis zum Ende des Mittelalters auch achtunddreißigmal geschehen. Unter Heinrich III., der 1216 erst ein neun¬ jähriges Kind war, folgen nun die „Concilien" rasch aufeinander, Reichsver- scnnmluugen, wie sie Heinrich II. im Kirchenstreite wieder berufen hatte, um sich gegenüber dem Papste mehr Rückhalt zu schaffen, so wurde zu Bristol, wie erwähnt, der Artikel 61 vom Concilium gestrichen, 1227 der König zu Oxford für großjährig erklärt. Eine große Versammlung zu London vom Jahre 1246 wird von den Geschichtschreibern zuerst als xsilminenwin bezeichnet, und von da an wird dieser Ausdruck immer häusiger gebraucht, ohne daß aber die älteren Bezeichnungen oonoiiiuw,, Kolloquium, <;uriii verdrängt würden. Am 11. Juni 1268 ladet Heinrich III. selbst zu einem MrliMiöirtum nach Oxford ein, wo die Prä¬ laten, Grafen und „nahezu hundert Barone" erschienen. In den Wirren der nächsten Zeit geschah es zuerst im Januar 1265 auf Antreiben des Grafen Simon von Montfort, daß nicht bloß Prälaten, Grafen und Bnrone, sondern auch zwei Ritter aus jeder Grafschaft, aus einigen Städten je zwei Bürger nud aus den fünf Höfen je vier Männer zur Neichsverscnnmlung geladen wurden, alle im Namen des Königs, durch Ausstellung von Geleitsbriefen (vritg). Der Zweck ihrer Beteiligung war mit den Worten: Uodiseum traetÄturi ol suxor xraowissis Mxilwm irnxonsuro noch vieldeutig ausgedrückt, und es war mich noch leine Rede davon, daß man diese einmalige Berufung von Rittern und Bürgern ius x^rliainsriturn. als einen Vorgang von bleibender Bedeutung an¬ gesehen hätte. Aber gleichwohl ist er dies geworden. Die Krone selbst erkannte, daß gegenüber der immer trotziger und selbstbewußter auftretenden Baronie es notwendig war, die besitzenden Klassen zur Reichsstandschaft zuzulassen, wenn das königliche Regiment sich behaupten wollte; und so hat sich in England eben jene Einheit der Interessen von Königtum und Bürgertum gezeigt, welche wohl auch in der deutschen, aber noch vielmehr in der französischen Geschichte hervortritt. In dem Parlamente von 1265 läßt sich bereits das sich allmählich gestaltende Iiouss ol vmrurwns erkennen, wenn auch erst in schwachen Umrissen; auch der Großadel mußte begreifen, daß er allein durch seine Beteiligung an der Re¬ gierung kein Gleichgewicht der Gewalten zustande brachte und die Parlaments¬ verfassung nur durch Aufnahme der Mittelstände, der <zourmunitiito8, Halt und Gleichgewicht erlangte. Unter den drei Eduarden hat die angelsächsische Monarchie wieder ein auf¬ steigendes Zeitalter gehabt; der Initiative dieser Monarchen, von denen Eduard!, der größte war, welcher nur mit König Alfred verglichen werden kann, ver- Grcnzlwtm IV. 1836. S

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/25>, abgerufen am 16.05.2024.