Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
phcmtasiearmnt und Illustrationswut.

Aber euch hier giebt es ein Zuviel. Ist es wirklich der Phantasie des Schülers
zu viel zugemutet, wenn man ihm sagt, der Gebirgszug ^. sei im Durchschnitt
2500 Meter hoch, das Gebirge L 1260 Meter, das Gebirge v 625 Meter,
und von ihm verlangt, er solle sich um das Verhältnis der Höhen 4:2:1
vorstellen? Muß man wirklich, seiner Phantasie zu Hilfe kommen durch das
in demselben Verhältnisse dunkler werdende Braun, dessen mau sich auf den
neuern physikalischen Wandkarten ausschliesslich bedient? Auf einer physikalischen
Wandkarte der Schweiz oder des Himalaya einen Namen zu erkennen, ist in
der Regel ganz unmöglich, Sie bieten nichts als ein Gewirr dunkelbrauner
Flecken, aus denen nur manchmal, dem milden Auge zum Glück, das ver¬
söhnende Weiß der Gletscher hervorleuchtet. Aber auch das war noch nicht
genug; die Gebirgszüge mußten plastisch dargelegt werden, und so entstanden
die sogenannten Reliefkarten. Glücklicherweise hört man heute nicht viel mehr
davon. Es giebt eine Grenze, jenseits deren die übertriebene Deutlichkeit geradezu
Unwahrheit wird. Eine deutsche kartographische Anstalt ließ kürzlich Karten
drucken, auf denen die blau gemalte" Flüsse eine Breite hatten, die dem Ma߬
stabe zufolge auf eine thatsächliche Breite von drei bis sechs deutschen Meilen
schließen ließ!

Mit diesen Auschauungsmittelu begnügt sich aber die Geographie nicht
mehr, sie bedient sich außerdem sogenannter "typischer Bilder" von Völkerrasscu,
Landschaften und Städten, um auch dadurch die Phantasie des Schülers in
die rechten Bahnen zu lenken. Gegen diese typischen Bilder läßt sich nicht viel
sagen, sie füllen die Seele des Schülers mit einer Reihe von Gestalten und
Erscheinungen und beleben somit auch seine Phantasie. Daß aber eine bildliche
Darstelluttg der geographischen Grundbegriffe, wie sie jetzt in den geographischen
Lehrbüchern geboten wird, nötig sei, ist doch fraglich. Giebt es wirklich einen
Sextaner, dem man erst durch ein Idealbild klar macheu müßte, was ein
Berg ist? Oder genügt zur Erklärung des Begriffes Landzunge wirklich die
gebräuchliche Bestimmung desselben nicht mehr?

Aber selbst die Geschichte möchte man heutzutage zur Anschauuugswisseu-
schaft machen. Idealbilder hatten wir hier schon lange. Die nach den
Schilderungen mehr oder minder guter Gewährsmänner ausgeführtem Jdeal-
porträts deutscher Kaiser erweckten unsre jugendliche Ehrfurcht: wir begeisterte,?
uns an der Darstellung der Uugaruschlacht bei Merseburg, in welcher der
Schimmel des Königs Heinrich beinahe den ganzen Vordergrund einnahm.
Solche Bilder schadeten nichts, sie regten die Phantasie an; wenn wir von der
zweiten Uugaruschlacht hörten, schufen wir uns selbst ein Bild. Es giebt auch
eine Reihe von Bildersammlungen zur deutscheu Geschichte, die von künstlerischem
Standpunkte ans alle Anerkennung verdienen; aber sie werden nicht gekauft,
ans dem einfachen Grnnde. weil die sogenannten "authentischen," das soll heißen
die gleichzeitig entstandenen Abbildungen, modern geworden sind. Solche


phcmtasiearmnt und Illustrationswut.

Aber euch hier giebt es ein Zuviel. Ist es wirklich der Phantasie des Schülers
zu viel zugemutet, wenn man ihm sagt, der Gebirgszug ^. sei im Durchschnitt
2500 Meter hoch, das Gebirge L 1260 Meter, das Gebirge v 625 Meter,
und von ihm verlangt, er solle sich um das Verhältnis der Höhen 4:2:1
vorstellen? Muß man wirklich, seiner Phantasie zu Hilfe kommen durch das
in demselben Verhältnisse dunkler werdende Braun, dessen mau sich auf den
neuern physikalischen Wandkarten ausschliesslich bedient? Auf einer physikalischen
Wandkarte der Schweiz oder des Himalaya einen Namen zu erkennen, ist in
der Regel ganz unmöglich, Sie bieten nichts als ein Gewirr dunkelbrauner
Flecken, aus denen nur manchmal, dem milden Auge zum Glück, das ver¬
söhnende Weiß der Gletscher hervorleuchtet. Aber auch das war noch nicht
genug; die Gebirgszüge mußten plastisch dargelegt werden, und so entstanden
die sogenannten Reliefkarten. Glücklicherweise hört man heute nicht viel mehr
davon. Es giebt eine Grenze, jenseits deren die übertriebene Deutlichkeit geradezu
Unwahrheit wird. Eine deutsche kartographische Anstalt ließ kürzlich Karten
drucken, auf denen die blau gemalte» Flüsse eine Breite hatten, die dem Ma߬
stabe zufolge auf eine thatsächliche Breite von drei bis sechs deutschen Meilen
schließen ließ!

Mit diesen Auschauungsmittelu begnügt sich aber die Geographie nicht
mehr, sie bedient sich außerdem sogenannter „typischer Bilder" von Völkerrasscu,
Landschaften und Städten, um auch dadurch die Phantasie des Schülers in
die rechten Bahnen zu lenken. Gegen diese typischen Bilder läßt sich nicht viel
sagen, sie füllen die Seele des Schülers mit einer Reihe von Gestalten und
Erscheinungen und beleben somit auch seine Phantasie. Daß aber eine bildliche
Darstelluttg der geographischen Grundbegriffe, wie sie jetzt in den geographischen
Lehrbüchern geboten wird, nötig sei, ist doch fraglich. Giebt es wirklich einen
Sextaner, dem man erst durch ein Idealbild klar macheu müßte, was ein
Berg ist? Oder genügt zur Erklärung des Begriffes Landzunge wirklich die
gebräuchliche Bestimmung desselben nicht mehr?

Aber selbst die Geschichte möchte man heutzutage zur Anschauuugswisseu-
schaft machen. Idealbilder hatten wir hier schon lange. Die nach den
Schilderungen mehr oder minder guter Gewährsmänner ausgeführtem Jdeal-
porträts deutscher Kaiser erweckten unsre jugendliche Ehrfurcht: wir begeisterte,?
uns an der Darstellung der Uugaruschlacht bei Merseburg, in welcher der
Schimmel des Königs Heinrich beinahe den ganzen Vordergrund einnahm.
Solche Bilder schadeten nichts, sie regten die Phantasie an; wenn wir von der
zweiten Uugaruschlacht hörten, schufen wir uns selbst ein Bild. Es giebt auch
eine Reihe von Bildersammlungen zur deutscheu Geschichte, die von künstlerischem
Standpunkte ans alle Anerkennung verdienen; aber sie werden nicht gekauft,
ans dem einfachen Grnnde. weil die sogenannten „authentischen," das soll heißen
die gleichzeitig entstandenen Abbildungen, modern geworden sind. Solche


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0493" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/199847"/>
          <fw type="header" place="top"> phcmtasiearmnt und Illustrationswut.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2074" prev="#ID_2073"> Aber euch hier giebt es ein Zuviel. Ist es wirklich der Phantasie des Schülers<lb/>
zu viel zugemutet, wenn man ihm sagt, der Gebirgszug ^. sei im Durchschnitt<lb/>
2500 Meter hoch, das Gebirge L 1260 Meter, das Gebirge v 625 Meter,<lb/>
und von ihm verlangt, er solle sich um das Verhältnis der Höhen 4:2:1<lb/>
vorstellen? Muß man wirklich, seiner Phantasie zu Hilfe kommen durch das<lb/>
in demselben Verhältnisse dunkler werdende Braun, dessen mau sich auf den<lb/>
neuern physikalischen Wandkarten ausschliesslich bedient? Auf einer physikalischen<lb/>
Wandkarte der Schweiz oder des Himalaya einen Namen zu erkennen, ist in<lb/>
der Regel ganz unmöglich, Sie bieten nichts als ein Gewirr dunkelbrauner<lb/>
Flecken, aus denen nur manchmal, dem milden Auge zum Glück, das ver¬<lb/>
söhnende Weiß der Gletscher hervorleuchtet. Aber auch das war noch nicht<lb/>
genug; die Gebirgszüge mußten plastisch dargelegt werden, und so entstanden<lb/>
die sogenannten Reliefkarten. Glücklicherweise hört man heute nicht viel mehr<lb/>
davon. Es giebt eine Grenze, jenseits deren die übertriebene Deutlichkeit geradezu<lb/>
Unwahrheit wird. Eine deutsche kartographische Anstalt ließ kürzlich Karten<lb/>
drucken, auf denen die blau gemalte» Flüsse eine Breite hatten, die dem Ma߬<lb/>
stabe zufolge auf eine thatsächliche Breite von drei bis sechs deutschen Meilen<lb/>
schließen ließ!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2075"> Mit diesen Auschauungsmittelu begnügt sich aber die Geographie nicht<lb/>
mehr, sie bedient sich außerdem sogenannter &#x201E;typischer Bilder" von Völkerrasscu,<lb/>
Landschaften und Städten, um auch dadurch die Phantasie des Schülers in<lb/>
die rechten Bahnen zu lenken. Gegen diese typischen Bilder läßt sich nicht viel<lb/>
sagen, sie füllen die Seele des Schülers mit einer Reihe von Gestalten und<lb/>
Erscheinungen und beleben somit auch seine Phantasie. Daß aber eine bildliche<lb/>
Darstelluttg der geographischen Grundbegriffe, wie sie jetzt in den geographischen<lb/>
Lehrbüchern geboten wird, nötig sei, ist doch fraglich. Giebt es wirklich einen<lb/>
Sextaner, dem man erst durch ein Idealbild klar macheu müßte, was ein<lb/>
Berg ist? Oder genügt zur Erklärung des Begriffes Landzunge wirklich die<lb/>
gebräuchliche Bestimmung desselben nicht mehr?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2076" next="#ID_2077"> Aber selbst die Geschichte möchte man heutzutage zur Anschauuugswisseu-<lb/>
schaft machen. Idealbilder hatten wir hier schon lange. Die nach den<lb/>
Schilderungen mehr oder minder guter Gewährsmänner ausgeführtem Jdeal-<lb/>
porträts deutscher Kaiser erweckten unsre jugendliche Ehrfurcht: wir begeisterte,?<lb/>
uns an der Darstellung der Uugaruschlacht bei Merseburg, in welcher der<lb/>
Schimmel des Königs Heinrich beinahe den ganzen Vordergrund einnahm.<lb/>
Solche Bilder schadeten nichts, sie regten die Phantasie an; wenn wir von der<lb/>
zweiten Uugaruschlacht hörten, schufen wir uns selbst ein Bild. Es giebt auch<lb/>
eine Reihe von Bildersammlungen zur deutscheu Geschichte, die von künstlerischem<lb/>
Standpunkte ans alle Anerkennung verdienen; aber sie werden nicht gekauft,<lb/>
ans dem einfachen Grnnde. weil die sogenannten &#x201E;authentischen," das soll heißen<lb/>
die gleichzeitig entstandenen Abbildungen, modern geworden sind. Solche</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0493] phcmtasiearmnt und Illustrationswut. Aber euch hier giebt es ein Zuviel. Ist es wirklich der Phantasie des Schülers zu viel zugemutet, wenn man ihm sagt, der Gebirgszug ^. sei im Durchschnitt 2500 Meter hoch, das Gebirge L 1260 Meter, das Gebirge v 625 Meter, und von ihm verlangt, er solle sich um das Verhältnis der Höhen 4:2:1 vorstellen? Muß man wirklich, seiner Phantasie zu Hilfe kommen durch das in demselben Verhältnisse dunkler werdende Braun, dessen mau sich auf den neuern physikalischen Wandkarten ausschliesslich bedient? Auf einer physikalischen Wandkarte der Schweiz oder des Himalaya einen Namen zu erkennen, ist in der Regel ganz unmöglich, Sie bieten nichts als ein Gewirr dunkelbrauner Flecken, aus denen nur manchmal, dem milden Auge zum Glück, das ver¬ söhnende Weiß der Gletscher hervorleuchtet. Aber auch das war noch nicht genug; die Gebirgszüge mußten plastisch dargelegt werden, und so entstanden die sogenannten Reliefkarten. Glücklicherweise hört man heute nicht viel mehr davon. Es giebt eine Grenze, jenseits deren die übertriebene Deutlichkeit geradezu Unwahrheit wird. Eine deutsche kartographische Anstalt ließ kürzlich Karten drucken, auf denen die blau gemalte» Flüsse eine Breite hatten, die dem Ma߬ stabe zufolge auf eine thatsächliche Breite von drei bis sechs deutschen Meilen schließen ließ! Mit diesen Auschauungsmittelu begnügt sich aber die Geographie nicht mehr, sie bedient sich außerdem sogenannter „typischer Bilder" von Völkerrasscu, Landschaften und Städten, um auch dadurch die Phantasie des Schülers in die rechten Bahnen zu lenken. Gegen diese typischen Bilder läßt sich nicht viel sagen, sie füllen die Seele des Schülers mit einer Reihe von Gestalten und Erscheinungen und beleben somit auch seine Phantasie. Daß aber eine bildliche Darstelluttg der geographischen Grundbegriffe, wie sie jetzt in den geographischen Lehrbüchern geboten wird, nötig sei, ist doch fraglich. Giebt es wirklich einen Sextaner, dem man erst durch ein Idealbild klar macheu müßte, was ein Berg ist? Oder genügt zur Erklärung des Begriffes Landzunge wirklich die gebräuchliche Bestimmung desselben nicht mehr? Aber selbst die Geschichte möchte man heutzutage zur Anschauuugswisseu- schaft machen. Idealbilder hatten wir hier schon lange. Die nach den Schilderungen mehr oder minder guter Gewährsmänner ausgeführtem Jdeal- porträts deutscher Kaiser erweckten unsre jugendliche Ehrfurcht: wir begeisterte,? uns an der Darstellung der Uugaruschlacht bei Merseburg, in welcher der Schimmel des Königs Heinrich beinahe den ganzen Vordergrund einnahm. Solche Bilder schadeten nichts, sie regten die Phantasie an; wenn wir von der zweiten Uugaruschlacht hörten, schufen wir uns selbst ein Bild. Es giebt auch eine Reihe von Bildersammlungen zur deutscheu Geschichte, die von künstlerischem Standpunkte ans alle Anerkennung verdienen; aber sie werden nicht gekauft, ans dem einfachen Grnnde. weil die sogenannten „authentischen," das soll heißen die gleichzeitig entstandenen Abbildungen, modern geworden sind. Solche

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/493
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/493>, abgerufen am 16.05.2024.