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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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phantasiearmut und Illustrationswut.

Illustrationen finden. Es ist nicht anzunehmen, daß die Mehrheit der Leser
diese Geschmacklosigkeit nicht merken sollte; aber das Publikum läßt sich in dieser
nud mancher andern Beziehung unendlich viel bieten, wenn es uur dafür durch
etwas "Packendes," ein Gänseliesel oder einen Romantiker auf dem Königsthrone,
wieder entschädigt wird.

Aber selbst in das Gebiet der Lyrik ist die Jllnstrationskunst eingedrungen!
Daß Stimmungen und Gefühle nur nachempfunden werden, ist ein veralteter
Standpunkt, sie werden jetzt abgebildet. Zunächst boten Chamissos Lieder, beson¬
ders der Cyklus: "Frauenliebe und -Leben," dem fruchtbaren Illustrator Thumann
ein schätzenswertes Objekt. Man hat die dazu entworfenen Bilder wegen ihrer
"Sinnigkeit" und "Zartheit" in den Himmel gehoben; und es läßt sich nicht
leugnen, daß die meisten derselben so "zart" sind, daß man sich kaum einen
Mann als ihren Schöpfer denken kann. Aber kann man es etwa auch zart und
sinnig nennen, wenn der Maler das illustrirt, was die junge Gattin dem Gatten
ins Ohr flüstert? Durch das Bild wird dem Gedanken alle Zartheit abgestreift;
denn der Maler mußte doch, wenn auch noch so bescheiden, das andeuten, was
dem Gatten ins Ohr geflüstert wird.

Was bei Chamisso möglich war, mußte natürlich auch bei Goethe und
Heine möglich sein. So bekamen denn anch ihre Lieder ihre Bilder und Bildchen;
und wir sehen nun das regungslose Meer und den träumenden Fichtenbaum
neben der trauernden Palme w imwra, vor uns. Selbst Heines Traumbilder
mußten illustrirt werden. Die Jungfrau, die er im Traume sieht, wie sie seinen
Sarg zimmert, trat uns mit wuchtiger Axt einen respektabel" Baum fallend
entgegen.

Wir leben schnell! Wie lauge wirds währen, so haben wir eine illustrirte
Geschichte der Theologie, einen illustrirten " Cato Major"; wie lange wirds
währen, so malen uus unsre Künstler das Dunkel, das auf der Seele lastet, und
den Morgenschein der Hoffnung. "Alles muß verillnstriret sein!"




phantasiearmut und Illustrationswut.

Illustrationen finden. Es ist nicht anzunehmen, daß die Mehrheit der Leser
diese Geschmacklosigkeit nicht merken sollte; aber das Publikum läßt sich in dieser
nud mancher andern Beziehung unendlich viel bieten, wenn es uur dafür durch
etwas „Packendes," ein Gänseliesel oder einen Romantiker auf dem Königsthrone,
wieder entschädigt wird.

Aber selbst in das Gebiet der Lyrik ist die Jllnstrationskunst eingedrungen!
Daß Stimmungen und Gefühle nur nachempfunden werden, ist ein veralteter
Standpunkt, sie werden jetzt abgebildet. Zunächst boten Chamissos Lieder, beson¬
ders der Cyklus: „Frauenliebe und -Leben," dem fruchtbaren Illustrator Thumann
ein schätzenswertes Objekt. Man hat die dazu entworfenen Bilder wegen ihrer
„Sinnigkeit" und „Zartheit" in den Himmel gehoben; und es läßt sich nicht
leugnen, daß die meisten derselben so „zart" sind, daß man sich kaum einen
Mann als ihren Schöpfer denken kann. Aber kann man es etwa auch zart und
sinnig nennen, wenn der Maler das illustrirt, was die junge Gattin dem Gatten
ins Ohr flüstert? Durch das Bild wird dem Gedanken alle Zartheit abgestreift;
denn der Maler mußte doch, wenn auch noch so bescheiden, das andeuten, was
dem Gatten ins Ohr geflüstert wird.

Was bei Chamisso möglich war, mußte natürlich auch bei Goethe und
Heine möglich sein. So bekamen denn anch ihre Lieder ihre Bilder und Bildchen;
und wir sehen nun das regungslose Meer und den träumenden Fichtenbaum
neben der trauernden Palme w imwra, vor uns. Selbst Heines Traumbilder
mußten illustrirt werden. Die Jungfrau, die er im Traume sieht, wie sie seinen
Sarg zimmert, trat uns mit wuchtiger Axt einen respektabel» Baum fallend
entgegen.

Wir leben schnell! Wie lauge wirds währen, so haben wir eine illustrirte
Geschichte der Theologie, einen illustrirten „ Cato Major"; wie lange wirds
währen, so malen uus unsre Künstler das Dunkel, das auf der Seele lastet, und
den Morgenschein der Hoffnung. „Alles muß verillnstriret sein!"




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[0496] phantasiearmut und Illustrationswut. Illustrationen finden. Es ist nicht anzunehmen, daß die Mehrheit der Leser diese Geschmacklosigkeit nicht merken sollte; aber das Publikum läßt sich in dieser nud mancher andern Beziehung unendlich viel bieten, wenn es uur dafür durch etwas „Packendes," ein Gänseliesel oder einen Romantiker auf dem Königsthrone, wieder entschädigt wird. Aber selbst in das Gebiet der Lyrik ist die Jllnstrationskunst eingedrungen! Daß Stimmungen und Gefühle nur nachempfunden werden, ist ein veralteter Standpunkt, sie werden jetzt abgebildet. Zunächst boten Chamissos Lieder, beson¬ ders der Cyklus: „Frauenliebe und -Leben," dem fruchtbaren Illustrator Thumann ein schätzenswertes Objekt. Man hat die dazu entworfenen Bilder wegen ihrer „Sinnigkeit" und „Zartheit" in den Himmel gehoben; und es läßt sich nicht leugnen, daß die meisten derselben so „zart" sind, daß man sich kaum einen Mann als ihren Schöpfer denken kann. Aber kann man es etwa auch zart und sinnig nennen, wenn der Maler das illustrirt, was die junge Gattin dem Gatten ins Ohr flüstert? Durch das Bild wird dem Gedanken alle Zartheit abgestreift; denn der Maler mußte doch, wenn auch noch so bescheiden, das andeuten, was dem Gatten ins Ohr geflüstert wird. Was bei Chamisso möglich war, mußte natürlich auch bei Goethe und Heine möglich sein. So bekamen denn anch ihre Lieder ihre Bilder und Bildchen; und wir sehen nun das regungslose Meer und den träumenden Fichtenbaum neben der trauernden Palme w imwra, vor uns. Selbst Heines Traumbilder mußten illustrirt werden. Die Jungfrau, die er im Traume sieht, wie sie seinen Sarg zimmert, trat uns mit wuchtiger Axt einen respektabel» Baum fallend entgegen. Wir leben schnell! Wie lauge wirds währen, so haben wir eine illustrirte Geschichte der Theologie, einen illustrirten „ Cato Major"; wie lange wirds währen, so malen uus unsre Künstler das Dunkel, das auf der Seele lastet, und den Morgenschein der Hoffnung. „Alles muß verillnstriret sein!"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/496>, abgerufen am 21.05.2024.