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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Ans der Chronik derer von Riffelshansen.

Ich muß gehen. Gesprächigen Besuch können Sie noch nicht brauchen.
Mathilde -- aber wo sind denn Ihre Schwestern hin?

Diese hatten sich listig entfernt und wandelten dem Hause zu.

Allein? Nein, das geht freilich nicht. Aber wir dürfen Sie nicht durch
Sprechen ermüden.

Sie sagten, Sie hätten an mich gedacht?

Gewiß, sehr viel. Wie schön muß das Bewußtsein sein, Ihrem lieben Onkel
ein schmerzhaftes Krankenlager abgenommen zu haben!

Anton errötete fluchtia,. Ich kann eine so überaus schmeichelhafte Beur¬
teilung meines Unfalls wirklich nicht annehmen. Statt meinem Onkel und meinem
Schwager behilflich zu sei", war es gerade meine Ungeschicklichkeit --

Sie unterbrach ihn lächelnd. Auch die Bescheidenheit muß man nicht über¬
treibe", Herr von Riffelshaufeu!

O, ich kaun auch unbescheiden sein.

Wirklich?

Ich will es Ihnen sogleich beweisen. Wollen Sie Ihre Hand ein wenig
ans meine Stirn legen?

Ich glaube, sagte sie etwas unsicher, man muß gegen Rekonvaleszenten nach¬
sichtig sein.

Ja, meinte Anton. Seine Stirn glühte, und ihre kühle Hand erzitterte
bei der Berührung, doch kam ihre ruhige Unbefangenheit sofort zurück. Nicht
so bei ihm. Er war noch nicht bei Kräften und hatte seine "klassische" Ruhe noch
nicht zuriickgewounen. Das fiebernde Blut machte seine Pulse klopfen. Mit
einer heftigen Bewegung erfaßte er die nicht beschäftigte Hand und preßte sie
leidenschaftlich gegen seiue Lippen. Da entzog ihm die Dame beide Hände und
rief vorwurfsvoll: Anton!

Bestürzt und verwirrt über diesen ihr sehr wider Willen entfahrenen, höchst
unschicklichen Ausruf wollte sie die Flucht ergreifen, nun aber ließ sie der "Anton"
nicht mehr los. Sie mußte ihm alles mögliche gestehen und versprechen, sogar
beichten, daß sie ihn "schon immer so sehr gern gehabt hätte."
''

' Immer, Elisabeth?

Jawohl, lassen Sie mich nur jetzt. Was würde die Mama sagen?

Und du willst mir angehören?

Ach, Sie sind schrecklich! Ich -- warten Sie doch erst, ob --

Nenne mich noch einmal Anton, Elisabeth! Nur einmal, dann lasse ich
dich gehen.

Wär' auch an der Zeit! knurrte plötzlich Doktor Petri unser Pärchen an.
El el, was muß man erleben!

An des dicken Doktors Arm aber stand Julie und lachte wie ein
Kobold.
'

Wir dürfen berichten, daß Fran von Schefflingen um dieses neuesten Er¬
eignisses willen sich sogar dazu verstand, die Verlobung Mathildens mit dem
hochmütigen Richter zu verzeihen. Freilich war bei der feierlichen Verlobung,
die Umstände halber in Siebcnhofen stattfand. Emilchcn nicht anwesend. Trotz
dieser höchst bedauernswerten Lücke sah das alte Hans an jenem Tage viel
frohe Gesichter. Taute Cäcilie gab sich durchaus keine Mühe, ihre Freude über
diese "passende Partie" zu verbergen, und Valerian erhielt manche kleine Seiten¬
bemerkung über "anständige junge Leute" zuerteilt.


Ans der Chronik derer von Riffelshansen.

Ich muß gehen. Gesprächigen Besuch können Sie noch nicht brauchen.
Mathilde — aber wo sind denn Ihre Schwestern hin?

Diese hatten sich listig entfernt und wandelten dem Hause zu.

Allein? Nein, das geht freilich nicht. Aber wir dürfen Sie nicht durch
Sprechen ermüden.

Sie sagten, Sie hätten an mich gedacht?

Gewiß, sehr viel. Wie schön muß das Bewußtsein sein, Ihrem lieben Onkel
ein schmerzhaftes Krankenlager abgenommen zu haben!

Anton errötete fluchtia,. Ich kann eine so überaus schmeichelhafte Beur¬
teilung meines Unfalls wirklich nicht annehmen. Statt meinem Onkel und meinem
Schwager behilflich zu sei», war es gerade meine Ungeschicklichkeit —

Sie unterbrach ihn lächelnd. Auch die Bescheidenheit muß man nicht über¬
treibe», Herr von Riffelshaufeu!

O, ich kaun auch unbescheiden sein.

Wirklich?

Ich will es Ihnen sogleich beweisen. Wollen Sie Ihre Hand ein wenig
ans meine Stirn legen?

Ich glaube, sagte sie etwas unsicher, man muß gegen Rekonvaleszenten nach¬
sichtig sein.

Ja, meinte Anton. Seine Stirn glühte, und ihre kühle Hand erzitterte
bei der Berührung, doch kam ihre ruhige Unbefangenheit sofort zurück. Nicht
so bei ihm. Er war noch nicht bei Kräften und hatte seine „klassische" Ruhe noch
nicht zuriickgewounen. Das fiebernde Blut machte seine Pulse klopfen. Mit
einer heftigen Bewegung erfaßte er die nicht beschäftigte Hand und preßte sie
leidenschaftlich gegen seiue Lippen. Da entzog ihm die Dame beide Hände und
rief vorwurfsvoll: Anton!

Bestürzt und verwirrt über diesen ihr sehr wider Willen entfahrenen, höchst
unschicklichen Ausruf wollte sie die Flucht ergreifen, nun aber ließ sie der „Anton"
nicht mehr los. Sie mußte ihm alles mögliche gestehen und versprechen, sogar
beichten, daß sie ihn „schon immer so sehr gern gehabt hätte."
''

' Immer, Elisabeth?

Jawohl, lassen Sie mich nur jetzt. Was würde die Mama sagen?

Und du willst mir angehören?

Ach, Sie sind schrecklich! Ich — warten Sie doch erst, ob —

Nenne mich noch einmal Anton, Elisabeth! Nur einmal, dann lasse ich
dich gehen.

Wär' auch an der Zeit! knurrte plötzlich Doktor Petri unser Pärchen an.
El el, was muß man erleben!

An des dicken Doktors Arm aber stand Julie und lachte wie ein
Kobold.
'

Wir dürfen berichten, daß Fran von Schefflingen um dieses neuesten Er¬
eignisses willen sich sogar dazu verstand, die Verlobung Mathildens mit dem
hochmütigen Richter zu verzeihen. Freilich war bei der feierlichen Verlobung,
die Umstände halber in Siebcnhofen stattfand. Emilchcn nicht anwesend. Trotz
dieser höchst bedauernswerten Lücke sah das alte Hans an jenem Tage viel
frohe Gesichter. Taute Cäcilie gab sich durchaus keine Mühe, ihre Freude über
diese „passende Partie" zu verbergen, und Valerian erhielt manche kleine Seiten¬
bemerkung über „anständige junge Leute" zuerteilt.


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[0611] Ans der Chronik derer von Riffelshansen. Ich muß gehen. Gesprächigen Besuch können Sie noch nicht brauchen. Mathilde — aber wo sind denn Ihre Schwestern hin? Diese hatten sich listig entfernt und wandelten dem Hause zu. Allein? Nein, das geht freilich nicht. Aber wir dürfen Sie nicht durch Sprechen ermüden. Sie sagten, Sie hätten an mich gedacht? Gewiß, sehr viel. Wie schön muß das Bewußtsein sein, Ihrem lieben Onkel ein schmerzhaftes Krankenlager abgenommen zu haben! Anton errötete fluchtia,. Ich kann eine so überaus schmeichelhafte Beur¬ teilung meines Unfalls wirklich nicht annehmen. Statt meinem Onkel und meinem Schwager behilflich zu sei», war es gerade meine Ungeschicklichkeit — Sie unterbrach ihn lächelnd. Auch die Bescheidenheit muß man nicht über¬ treibe», Herr von Riffelshaufeu! O, ich kaun auch unbescheiden sein. Wirklich? Ich will es Ihnen sogleich beweisen. Wollen Sie Ihre Hand ein wenig ans meine Stirn legen? Ich glaube, sagte sie etwas unsicher, man muß gegen Rekonvaleszenten nach¬ sichtig sein. Ja, meinte Anton. Seine Stirn glühte, und ihre kühle Hand erzitterte bei der Berührung, doch kam ihre ruhige Unbefangenheit sofort zurück. Nicht so bei ihm. Er war noch nicht bei Kräften und hatte seine „klassische" Ruhe noch nicht zuriickgewounen. Das fiebernde Blut machte seine Pulse klopfen. Mit einer heftigen Bewegung erfaßte er die nicht beschäftigte Hand und preßte sie leidenschaftlich gegen seiue Lippen. Da entzog ihm die Dame beide Hände und rief vorwurfsvoll: Anton! Bestürzt und verwirrt über diesen ihr sehr wider Willen entfahrenen, höchst unschicklichen Ausruf wollte sie die Flucht ergreifen, nun aber ließ sie der „Anton" nicht mehr los. Sie mußte ihm alles mögliche gestehen und versprechen, sogar beichten, daß sie ihn „schon immer so sehr gern gehabt hätte." '' ' Immer, Elisabeth? Jawohl, lassen Sie mich nur jetzt. Was würde die Mama sagen? Und du willst mir angehören? Ach, Sie sind schrecklich! Ich — warten Sie doch erst, ob — Nenne mich noch einmal Anton, Elisabeth! Nur einmal, dann lasse ich dich gehen. Wär' auch an der Zeit! knurrte plötzlich Doktor Petri unser Pärchen an. El el, was muß man erleben! An des dicken Doktors Arm aber stand Julie und lachte wie ein Kobold. ' Wir dürfen berichten, daß Fran von Schefflingen um dieses neuesten Er¬ eignisses willen sich sogar dazu verstand, die Verlobung Mathildens mit dem hochmütigen Richter zu verzeihen. Freilich war bei der feierlichen Verlobung, die Umstände halber in Siebcnhofen stattfand. Emilchcn nicht anwesend. Trotz dieser höchst bedauernswerten Lücke sah das alte Hans an jenem Tage viel frohe Gesichter. Taute Cäcilie gab sich durchaus keine Mühe, ihre Freude über diese „passende Partie" zu verbergen, und Valerian erhielt manche kleine Seiten¬ bemerkung über „anständige junge Leute" zuerteilt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/611>, abgerufen am 16.05.2024.