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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Zwei Minderer des Reichs.

dieses verschweigt der Parlamentarier. Wie weit die beiden Seelen in der Praxis
auseinandergehen, zeigt am schlagendsten die Ernennung des Konvertiten Nipon
zum Vizekönig von Indien.

So scheint denn auch Glndstone seine schriftstellerischen Ansichten von 1875
völlig vergessen zu haben, als er dieses Jahr seine Bill über ein irisches Par¬
lament entwarf, mit der die Grenzboten sich wiederholt beschäftigt haben. Bei
Überdcnkuug dessen, was sich aus und mit einem irischen Parlament unter
Umständen entwickeln könnte, muß, so sollte man meinen, dem Verfasser der
Bill schwer ins Gewicht gefallen sein, daß die große Majorität der Jrländer
dem römischen Bekenntnis angehört. Schrieb er doch 1875: "Allzu häufig
wird der Geist des Neubekehrten durch die berühmt gewordnen zwei Worte aus¬
gedrückt: Zuerst Katholik, dann Engländer! Worte, die im eigentlichen Sinne
nichts als Gemeinplatz sind; denn jeder Christ muß suchen im Herzen seine
Religion selbst seinem Vaterlande vorzuziehen; aber sehr verschieden von einem
Gemeinplatz in dem Sinne, welchen wir gewöhnlich damit verbinden. Wir ver¬
stehen darunter, daß der Konvertit bei jedem Konflikt zwischen Königin und
Papst dem Papste zu folgen und die Königin ihrem Schicksale zu überlassen
gedenkt -- was, setzt er hinzu, diese zum Glück ruhig hinnehmen kann." Ob
sie es immer ruhig würde hinnehmen können, wenn die vier Millionen katholischer
Jrländer mit eignem Parlament und eigner Armee in einen Konflikt zwischen
ihr und dein Papste dem letztern folgten, darf man bezweifeln.

Aber in der ganzen Schrift "Geschichte einer Idee," in welcher Gladstone vor
einigen Wochen die Welt darüber erleuchtet hat, wie er ein Homeruler geworden
sei und was er sich bei seiner Bill gedacht habe, wird die konfessionelle Seite
der Sache, von welcher die blutigen Kämpfe in Belfast so vernehmlich sprechen,
mit keiner Silbe berührt. Der Verfasser hat gefunden, daß die irische Frage
reif sei, durch die Liberalen gelöst zu werden; er hat sich zwar sür diesmal geirrt,
rechnet aber heraus, daß die ihm feindliche Majorität in der That nicht so
groß sei, wie sie erscheine, und hofft zuversichtlich darauf, daß die öffentliche
Meinung das nächstemal umschlagen, Irland naUonill söltgovernmönt erhalten
(und Mr. Gladstone wieder Premierminister sein) wird. Dies der Gedanke
der Schrift, die von den Wörtern Whig, Tory, konservativ, liberal wimmelt --
ganz natürlich in einem Staate, in welchem das Additions- und Subtraktions-
cxempel des jeweiligen Unterhauses an einem jeweiligen Tage über die Mi¬
nisterien entscheidet und die Politik bestimmt. Im Jahre 1868 beschenkte Glad¬
stone die Welt mit ähnlichen Bekenntnissen unter dem Titel: "Ein Kapitel aus
einer Selbstbiographie," um mit Aufwand vieler Druckerschwärze Kar zu machen,
welche erhabenen Motive ihn dazu bewogen hätten, den Antrag auf Entstaatlichung
der anglikanischen Kirche in Irland zu stellen. Im Kreise der Wissenden war
es kein Geheimnis, daß und warum ihm daran gelegen war, Disraeli dnrch
diesen Antrag zu stürzen und an seine Stelle zu treten.


Zwei Minderer des Reichs.

dieses verschweigt der Parlamentarier. Wie weit die beiden Seelen in der Praxis
auseinandergehen, zeigt am schlagendsten die Ernennung des Konvertiten Nipon
zum Vizekönig von Indien.

So scheint denn auch Glndstone seine schriftstellerischen Ansichten von 1875
völlig vergessen zu haben, als er dieses Jahr seine Bill über ein irisches Par¬
lament entwarf, mit der die Grenzboten sich wiederholt beschäftigt haben. Bei
Überdcnkuug dessen, was sich aus und mit einem irischen Parlament unter
Umständen entwickeln könnte, muß, so sollte man meinen, dem Verfasser der
Bill schwer ins Gewicht gefallen sein, daß die große Majorität der Jrländer
dem römischen Bekenntnis angehört. Schrieb er doch 1875: „Allzu häufig
wird der Geist des Neubekehrten durch die berühmt gewordnen zwei Worte aus¬
gedrückt: Zuerst Katholik, dann Engländer! Worte, die im eigentlichen Sinne
nichts als Gemeinplatz sind; denn jeder Christ muß suchen im Herzen seine
Religion selbst seinem Vaterlande vorzuziehen; aber sehr verschieden von einem
Gemeinplatz in dem Sinne, welchen wir gewöhnlich damit verbinden. Wir ver¬
stehen darunter, daß der Konvertit bei jedem Konflikt zwischen Königin und
Papst dem Papste zu folgen und die Königin ihrem Schicksale zu überlassen
gedenkt — was, setzt er hinzu, diese zum Glück ruhig hinnehmen kann." Ob
sie es immer ruhig würde hinnehmen können, wenn die vier Millionen katholischer
Jrländer mit eignem Parlament und eigner Armee in einen Konflikt zwischen
ihr und dein Papste dem letztern folgten, darf man bezweifeln.

Aber in der ganzen Schrift „Geschichte einer Idee," in welcher Gladstone vor
einigen Wochen die Welt darüber erleuchtet hat, wie er ein Homeruler geworden
sei und was er sich bei seiner Bill gedacht habe, wird die konfessionelle Seite
der Sache, von welcher die blutigen Kämpfe in Belfast so vernehmlich sprechen,
mit keiner Silbe berührt. Der Verfasser hat gefunden, daß die irische Frage
reif sei, durch die Liberalen gelöst zu werden; er hat sich zwar sür diesmal geirrt,
rechnet aber heraus, daß die ihm feindliche Majorität in der That nicht so
groß sei, wie sie erscheine, und hofft zuversichtlich darauf, daß die öffentliche
Meinung das nächstemal umschlagen, Irland naUonill söltgovernmönt erhalten
(und Mr. Gladstone wieder Premierminister sein) wird. Dies der Gedanke
der Schrift, die von den Wörtern Whig, Tory, konservativ, liberal wimmelt —
ganz natürlich in einem Staate, in welchem das Additions- und Subtraktions-
cxempel des jeweiligen Unterhauses an einem jeweiligen Tage über die Mi¬
nisterien entscheidet und die Politik bestimmt. Im Jahre 1868 beschenkte Glad¬
stone die Welt mit ähnlichen Bekenntnissen unter dem Titel: „Ein Kapitel aus
einer Selbstbiographie," um mit Aufwand vieler Druckerschwärze Kar zu machen,
welche erhabenen Motive ihn dazu bewogen hätten, den Antrag auf Entstaatlichung
der anglikanischen Kirche in Irland zu stellen. Im Kreise der Wissenden war
es kein Geheimnis, daß und warum ihm daran gelegen war, Disraeli dnrch
diesen Antrag zu stürzen und an seine Stelle zu treten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/64>, abgerufen am 12.06.2024.