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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Germanische Altertümer aus den Baucrdörfcrn Nordungarns.

der, obgleich er sich auch eine Stadt schelten läßt, und trotz seiner 3000 Ein¬
wohner und darüber, in Wirklichkeit nichts ist als ein gewöhnliches Bauerndorf,
eignet sich insbesondre auch darum zum Sitze der Untersuchung, weil der Ort,
von Anfang an groß genug, um selbständig eigenartige Zustünde zu entwickeln,
nie Bergbau getrieben hatte und sohin von jedwedem Verdachte ungehöriger
Einflüsse knappschaftlichen Ursprunges durchaus freizusprechen war. Endlich war
die "Stadt" Krickerhciu ein größerer Ort, in welchem schon eine gewisse Be¬
quemlichkeit zu vermuten war, vor allem, es war der Wohnort des Postmeisters
Woland, an den ich durch seinen langjährigen Freund G. empfohlen war,
Wolands, der mir gefällige Auskunft gegeben, Wolcmds, dem ich mich schon
zu längerem Aufenthalte angemeldet hatte. "Gehen Sie zum Postmeister Wo¬
land -- hatte ja G. gesagt --, da werden Sie schon gut aufgehoben sein." Diese
Worte klangen mir immer seitdem im Ohre, sie entzündeten meine Phantasie
und malten mir eines jener behaglichen PostWirtshäuser hin, wie man sie in
Osterreich und Baiern auf dem Lande und in kleinen Städten so häufig an¬
trifft, mit dem Komfort der Stadt, aber ohne deren Teuerung und Störungen
bei ländlicher Beschaulichkeit. So erschien mir Krickerhciu während meiner
ganzen Reise als ein Capra, in welchem ich mich von den Strapazen der slo¬
wakischen Wüsteneien erholen würde. "Gedulde dich nur bis Krickerhciu," so
tröstete ich mich unterwegs. "Du wirst dort dem nettes Stübchen haben mit
Kanapee und einem guten Bette. Die behäbige Wirtin wird sich nach deinen
leiblichen Bedürfnissen erkundige", und anstatt der groben und unsichtbaren
bairischen Wirte steht der Freund Woland bereit, deine Arbeiten mit sachver¬
ständigen Rat und That zu unterstützen." Aber diese ?g.t,g, rriorZMÄ zerfloß,
je mehr ich mich dem Orte meiner Sehnsucht näherte. Es mochte noch hin¬
gehen, daß man in entlegenen Orten, wie Gaidel, Deutsch-Praben, so schlecht
unterrichtet war, daß man von einem Postmeister Woland nichts wußte. Aber
in dem nur drei Stunden entfernten Kremnitz selbst begegneten meine Anfragen
nach einem Postwirtshause uur Kopfschütteln und ungläubigen Gesichtern, kaum
daß man den Namen Wolands kannte. Gab ich meiner Frage eine andre
Wendung und erkundigte mich nach einem Nachtquartiere, so sagte der eine:
"Nun, der Revierförster hat Betten"; der andre: "Vielleicht können Sie auch
bei dem Juden bleiben"; ein dritter: "Auch der Lehrer hat ein Bett!" Herz,
was willst du mehr? Aber von Woland kein Wort, er fing an, mir zu einer
mythischen Person zu werden. Jetzt fielen mir aber meine Verpflichtungen gegen
Woland bleischwer aufs Herz, und ich wurde tief betrübt. "Und wenn er nur ein
Hundcloch mit einem Strohsack hat, sagte ich zu mir als gewissenhafter Mann,
so mußt dn dich wenigstens eine Woche lang zerstechen lassen." Ich verwünschte
meinen Freund, den Bergingenieur G., ich verwünschte meinen Freund Woland
und ganz Krickerhciu.

Indes, das Abenteuer mußte einmal bestanden werden, und so machte


Germanische Altertümer aus den Baucrdörfcrn Nordungarns.

der, obgleich er sich auch eine Stadt schelten läßt, und trotz seiner 3000 Ein¬
wohner und darüber, in Wirklichkeit nichts ist als ein gewöhnliches Bauerndorf,
eignet sich insbesondre auch darum zum Sitze der Untersuchung, weil der Ort,
von Anfang an groß genug, um selbständig eigenartige Zustünde zu entwickeln,
nie Bergbau getrieben hatte und sohin von jedwedem Verdachte ungehöriger
Einflüsse knappschaftlichen Ursprunges durchaus freizusprechen war. Endlich war
die „Stadt" Krickerhciu ein größerer Ort, in welchem schon eine gewisse Be¬
quemlichkeit zu vermuten war, vor allem, es war der Wohnort des Postmeisters
Woland, an den ich durch seinen langjährigen Freund G. empfohlen war,
Wolands, der mir gefällige Auskunft gegeben, Wolcmds, dem ich mich schon
zu längerem Aufenthalte angemeldet hatte. „Gehen Sie zum Postmeister Wo¬
land — hatte ja G. gesagt —, da werden Sie schon gut aufgehoben sein." Diese
Worte klangen mir immer seitdem im Ohre, sie entzündeten meine Phantasie
und malten mir eines jener behaglichen PostWirtshäuser hin, wie man sie in
Osterreich und Baiern auf dem Lande und in kleinen Städten so häufig an¬
trifft, mit dem Komfort der Stadt, aber ohne deren Teuerung und Störungen
bei ländlicher Beschaulichkeit. So erschien mir Krickerhciu während meiner
ganzen Reise als ein Capra, in welchem ich mich von den Strapazen der slo¬
wakischen Wüsteneien erholen würde. „Gedulde dich nur bis Krickerhciu," so
tröstete ich mich unterwegs. „Du wirst dort dem nettes Stübchen haben mit
Kanapee und einem guten Bette. Die behäbige Wirtin wird sich nach deinen
leiblichen Bedürfnissen erkundige», und anstatt der groben und unsichtbaren
bairischen Wirte steht der Freund Woland bereit, deine Arbeiten mit sachver¬
ständigen Rat und That zu unterstützen." Aber diese ?g.t,g, rriorZMÄ zerfloß,
je mehr ich mich dem Orte meiner Sehnsucht näherte. Es mochte noch hin¬
gehen, daß man in entlegenen Orten, wie Gaidel, Deutsch-Praben, so schlecht
unterrichtet war, daß man von einem Postmeister Woland nichts wußte. Aber
in dem nur drei Stunden entfernten Kremnitz selbst begegneten meine Anfragen
nach einem Postwirtshause uur Kopfschütteln und ungläubigen Gesichtern, kaum
daß man den Namen Wolands kannte. Gab ich meiner Frage eine andre
Wendung und erkundigte mich nach einem Nachtquartiere, so sagte der eine:
„Nun, der Revierförster hat Betten"; der andre: „Vielleicht können Sie auch
bei dem Juden bleiben"; ein dritter: „Auch der Lehrer hat ein Bett!" Herz,
was willst du mehr? Aber von Woland kein Wort, er fing an, mir zu einer
mythischen Person zu werden. Jetzt fielen mir aber meine Verpflichtungen gegen
Woland bleischwer aufs Herz, und ich wurde tief betrübt. „Und wenn er nur ein
Hundcloch mit einem Strohsack hat, sagte ich zu mir als gewissenhafter Mann,
so mußt dn dich wenigstens eine Woche lang zerstechen lassen." Ich verwünschte
meinen Freund, den Bergingenieur G., ich verwünschte meinen Freund Woland
und ganz Krickerhciu.

Indes, das Abenteuer mußte einmal bestanden werden, und so machte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/79>, abgerufen am 31.10.2024.