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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Dichterfrenndinnm.

werk, sonst wäre unsre Zeit eine mehr als klassische, sondern als anregende Ver¬
mittlerinnen zwischen den Dichtern und den Musen. Die Zeit der altdeutschen
geistlichen Dichtung, die Reformationszeit und die Zeit des dreißigjährigen
Krieges entbehren dieses Schmuckes, aber die Nitterdichtuug und die Weimarer
Blütezeit sind durchwebt von deu lebenswarmen Fäden, welche geistreiche Frauen
spannen. Doch ist ein Unterschied zwischen dem Frauenkultus der ersten und
der zweiten Literaturbliite, Den Rittern waren ihre Damen die Herrinnen,
denen sie ihre Gedichte zu Füßen legten, den Dichtern der zweiten Hülste des
vorigen Jahrhunderts waren sie mehr die Ministerien des Innern und Äußern.
Die Heldinnen des Minnegesanges offenbarte" und vertraten die hohe Weib¬
lichkeit in sehr allgemeinen Umrissen, oft sind sie ihren Sängern wenig mehr
als schöne Schatten in nebelhafter Ferne, immer aber haben sie nur zwei Eigen¬
schaften: entweder sie lieben oder sie lieben nicht; daher drücken auch die Minne¬
lieder in der Hauptsache nur zweierlei aus, die Freude über erhörte und die
Klage über versagte Liebe. Unsre ncuklasfischcn Dichter aber studirten ihre
Freundinnen in allen Einzelheiten ihres Charakters und ihrer Begabung, fanden
dabei in der Regel ein sehr bereitwilliges Entgegenkommen und vergalten dies
damit, daß sie diese persönlichen Eindrücke zu Spiegelbildern der Welt gestalteten.
Wie die Untertanen, so betrachteten auch die geistreichen Hofdamen des vorigen
Jahrhunderts die Ehe häufig genug als einen geschäftlichen Vertrag, der mit
der Liebe nicht viel gemein hatte; aber die freie Zuneigung, die sie den Geistes¬
fürsten schenkten, war um vieles mehr eine geistige als die Minne des Mittel¬
alters. Wie die Damen der Minuehöfe, so saßen sie gern über die Dichter
und deren Werke zu Gericht, aber bei weitem nicht so anspruchsvoll, sie be¬
gnügten sich damit, daß sie von den mitteilnngsbcdürftigen Schriftstellern als
die aufmerksamen ZuHörerinnen betrachtet wurden.

Die Damen im Freundeskreise Goethes, Schillers, Herders, Wielands,
Jean Paris, Wilhelm von Humboldts waren merkwürdigerweise meist Karo¬
linen oder Charlotten, wenigstens waren diese die einflußreichsten, wenn wir von
den fürstlichen Gönnerinnen Amalie und Luise von Weimar nud einigen andern
absehen wollen. Charlotte von Stein, Karoline und Charlotte von Lengefeld, Char¬
lotte von Kalb, Karoline von Humboldt, Charlotte Diebe, Humboldts Freundin,
Karoline, Herders Gattin, Karoline, August Wilhelm Schlegels und später
Schellings Gattin, sie alle sind mit den großen Dichtern und ihren Freunden
zugleich unsterblich geworden. Aber nicht vom literargeschichtlichen Stand¬
punkte, noch weniger vom philologisch-kritischen der Klassikerkommentare, sondern
nur von der höhern Warte der Kulturgeschichte ans übersieht man sie in der
vollsten und eigentümlichsten Beleuchtung, und sie verdienen es wohl, daß man
bei ihren" Anblicke verweilt.

Am meisten hat Charlotte von Stein die Aufmerksamkeit der Literatur-
und Kulturhistoriker auf sich gezogen. Die Aufsätze und die Werke, welche über


Dichterfrenndinnm.

werk, sonst wäre unsre Zeit eine mehr als klassische, sondern als anregende Ver¬
mittlerinnen zwischen den Dichtern und den Musen. Die Zeit der altdeutschen
geistlichen Dichtung, die Reformationszeit und die Zeit des dreißigjährigen
Krieges entbehren dieses Schmuckes, aber die Nitterdichtuug und die Weimarer
Blütezeit sind durchwebt von deu lebenswarmen Fäden, welche geistreiche Frauen
spannen. Doch ist ein Unterschied zwischen dem Frauenkultus der ersten und
der zweiten Literaturbliite, Den Rittern waren ihre Damen die Herrinnen,
denen sie ihre Gedichte zu Füßen legten, den Dichtern der zweiten Hülste des
vorigen Jahrhunderts waren sie mehr die Ministerien des Innern und Äußern.
Die Heldinnen des Minnegesanges offenbarte» und vertraten die hohe Weib¬
lichkeit in sehr allgemeinen Umrissen, oft sind sie ihren Sängern wenig mehr
als schöne Schatten in nebelhafter Ferne, immer aber haben sie nur zwei Eigen¬
schaften: entweder sie lieben oder sie lieben nicht; daher drücken auch die Minne¬
lieder in der Hauptsache nur zweierlei aus, die Freude über erhörte und die
Klage über versagte Liebe. Unsre ncuklasfischcn Dichter aber studirten ihre
Freundinnen in allen Einzelheiten ihres Charakters und ihrer Begabung, fanden
dabei in der Regel ein sehr bereitwilliges Entgegenkommen und vergalten dies
damit, daß sie diese persönlichen Eindrücke zu Spiegelbildern der Welt gestalteten.
Wie die Untertanen, so betrachteten auch die geistreichen Hofdamen des vorigen
Jahrhunderts die Ehe häufig genug als einen geschäftlichen Vertrag, der mit
der Liebe nicht viel gemein hatte; aber die freie Zuneigung, die sie den Geistes¬
fürsten schenkten, war um vieles mehr eine geistige als die Minne des Mittel¬
alters. Wie die Damen der Minuehöfe, so saßen sie gern über die Dichter
und deren Werke zu Gericht, aber bei weitem nicht so anspruchsvoll, sie be¬
gnügten sich damit, daß sie von den mitteilnngsbcdürftigen Schriftstellern als
die aufmerksamen ZuHörerinnen betrachtet wurden.

Die Damen im Freundeskreise Goethes, Schillers, Herders, Wielands,
Jean Paris, Wilhelm von Humboldts waren merkwürdigerweise meist Karo¬
linen oder Charlotten, wenigstens waren diese die einflußreichsten, wenn wir von
den fürstlichen Gönnerinnen Amalie und Luise von Weimar nud einigen andern
absehen wollen. Charlotte von Stein, Karoline und Charlotte von Lengefeld, Char¬
lotte von Kalb, Karoline von Humboldt, Charlotte Diebe, Humboldts Freundin,
Karoline, Herders Gattin, Karoline, August Wilhelm Schlegels und später
Schellings Gattin, sie alle sind mit den großen Dichtern und ihren Freunden
zugleich unsterblich geworden. Aber nicht vom literargeschichtlichen Stand¬
punkte, noch weniger vom philologisch-kritischen der Klassikerkommentare, sondern
nur von der höhern Warte der Kulturgeschichte ans übersieht man sie in der
vollsten und eigentümlichsten Beleuchtung, und sie verdienen es wohl, daß man
bei ihren» Anblicke verweilt.

Am meisten hat Charlotte von Stein die Aufmerksamkeit der Literatur-
und Kulturhistoriker auf sich gezogen. Die Aufsätze und die Werke, welche über


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[0084] Dichterfrenndinnm. werk, sonst wäre unsre Zeit eine mehr als klassische, sondern als anregende Ver¬ mittlerinnen zwischen den Dichtern und den Musen. Die Zeit der altdeutschen geistlichen Dichtung, die Reformationszeit und die Zeit des dreißigjährigen Krieges entbehren dieses Schmuckes, aber die Nitterdichtuug und die Weimarer Blütezeit sind durchwebt von deu lebenswarmen Fäden, welche geistreiche Frauen spannen. Doch ist ein Unterschied zwischen dem Frauenkultus der ersten und der zweiten Literaturbliite, Den Rittern waren ihre Damen die Herrinnen, denen sie ihre Gedichte zu Füßen legten, den Dichtern der zweiten Hülste des vorigen Jahrhunderts waren sie mehr die Ministerien des Innern und Äußern. Die Heldinnen des Minnegesanges offenbarte» und vertraten die hohe Weib¬ lichkeit in sehr allgemeinen Umrissen, oft sind sie ihren Sängern wenig mehr als schöne Schatten in nebelhafter Ferne, immer aber haben sie nur zwei Eigen¬ schaften: entweder sie lieben oder sie lieben nicht; daher drücken auch die Minne¬ lieder in der Hauptsache nur zweierlei aus, die Freude über erhörte und die Klage über versagte Liebe. Unsre ncuklasfischcn Dichter aber studirten ihre Freundinnen in allen Einzelheiten ihres Charakters und ihrer Begabung, fanden dabei in der Regel ein sehr bereitwilliges Entgegenkommen und vergalten dies damit, daß sie diese persönlichen Eindrücke zu Spiegelbildern der Welt gestalteten. Wie die Untertanen, so betrachteten auch die geistreichen Hofdamen des vorigen Jahrhunderts die Ehe häufig genug als einen geschäftlichen Vertrag, der mit der Liebe nicht viel gemein hatte; aber die freie Zuneigung, die sie den Geistes¬ fürsten schenkten, war um vieles mehr eine geistige als die Minne des Mittel¬ alters. Wie die Damen der Minuehöfe, so saßen sie gern über die Dichter und deren Werke zu Gericht, aber bei weitem nicht so anspruchsvoll, sie be¬ gnügten sich damit, daß sie von den mitteilnngsbcdürftigen Schriftstellern als die aufmerksamen ZuHörerinnen betrachtet wurden. Die Damen im Freundeskreise Goethes, Schillers, Herders, Wielands, Jean Paris, Wilhelm von Humboldts waren merkwürdigerweise meist Karo¬ linen oder Charlotten, wenigstens waren diese die einflußreichsten, wenn wir von den fürstlichen Gönnerinnen Amalie und Luise von Weimar nud einigen andern absehen wollen. Charlotte von Stein, Karoline und Charlotte von Lengefeld, Char¬ lotte von Kalb, Karoline von Humboldt, Charlotte Diebe, Humboldts Freundin, Karoline, Herders Gattin, Karoline, August Wilhelm Schlegels und später Schellings Gattin, sie alle sind mit den großen Dichtern und ihren Freunden zugleich unsterblich geworden. Aber nicht vom literargeschichtlichen Stand¬ punkte, noch weniger vom philologisch-kritischen der Klassikerkommentare, sondern nur von der höhern Warte der Kulturgeschichte ans übersieht man sie in der vollsten und eigentümlichsten Beleuchtung, und sie verdienen es wohl, daß man bei ihren» Anblicke verweilt. Am meisten hat Charlotte von Stein die Aufmerksamkeit der Literatur- und Kulturhistoriker auf sich gezogen. Die Aufsätze und die Werke, welche über

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/84>, abgerufen am 01.06.2024.