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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Herr von Hülsen und die Zukunft des Berliner Schauspielhauses.

behauptet, das Repertoire des Schauspielhauses sei schlecht gewesen; es war
(zumal wenn man das ältere Repertoire mit betrachtet) das reichste in Deutsch¬
land in jeder Beziehung; das Schauspielhaus war das einzige Theater, das
auch noch ältern, tüchtigen deutschen Stücken eine würdige Darstellung zu Teil
werden ließ und selbst noch einem Töpfer, einem Iffland zu den glücklichsten
Erfolgen verhalf. Während das Burgtheater von Übersetzungen aus dem
Französischen und Spanischen überflutet wurde, während andre Bühnen sich mit
den derbsten Possen und abgeschmacktesten Rührstücken zufrieden gaben, hielt
Hülsen immer die Fahne der deutschen Literatur und des anständigen Ge¬
schmackes hoch; nur das Nobelste und Liebenswürdigste, was das Ausland bot,
ließ er gelegentlich zu; und gewissen "deutschen" Autoren, denen selbst das
Burgtheater die Arme weit öffnete, hat er die Thüren seines Hauses immer
verschlossen gehalten. Ich will trotzdem dieses Repertoire nicht über Gebühr
preisen; aber man zeige mir ein besseres und reichhaltigeres. Auch über die
Darstellnngskräfte hat man des öftern, und mit Unrecht, den Stab gebrochen.
Freilich waren die Darsteller des Schauspielhauses, wenn man Döring und die
Fried-Blumauer abrechnet, keine Genies und sind es auch heute nicht; dem Schau¬
spielhause fehlt ein Sonnenthal, ein Baumeister, ein Gabillon, ein Lewinsky,
ein Meixner, eine Woltcr, eine Hohenfels, vielleicht sogar eine Wessely. Aber
sie fehlen ihm, weil sie überhaupt nur einmal da sind, und wer dürfte dem
Intendanten des mit bescheidenen Mitteln ausgestatteten Schauspielhauses einen
Vorwurf daraus machen, daß er diese Künstler nicht anch besaß? Und besaß
er nicht einen Döring, einen Dcssoir, einen Liedtke (den ich in seiner Glanzzeit
nicht gekannt habe, von dem mir aber die alte Haizinger in den wärmsten
Worten zu berichten wußte), einen Verudal, einen Krause, einen Vollmer, eine
Fried-Blumauer, eine Kirschner, eine Crelinger, eine Erhardt, eine Keßler, eine
Meyer? Entwickelte sich nicht noch in letzter Zeit das Kleinod des Schauspiel¬
hauses, die köstliche Conrad, unter seiner Leitung? Welchen Sinn hatte es, wenn
man kurzweg über eine solche Gesellschaft von hervorragenden und außerordent¬
lichen Künstlern (die jetzt freilich sehr gelichtet ist) den Stab brach! Auch das
Ensemble war, zumal in Schauspielen und Lustspielen, vortrefflich. Wohl entsinne
ich mich einiger Aufführungen, die ich nicht überstehen konnte (Goethes "Götz"
und Schillers "Wallenstein" gehören zu ihnen); aber die große Mehrzahl, auch
der sogenannten "klassischen Aufführungen," war stets würdig, meist vortrefflich.
Ich kenne die deutschen Theater der Gegenwart ziemlich genau, wüßte aber nicht,
daß ich, einige, aber auch nur einige Ausführungen im Burgtheater ausgenommen,
an irgend einer Bühne gleich gute, geschweige denn bessere Ausführungen erlebt
hätte, obwohl manche dieser Bühnen mit stolzer Verachtung auf das viel-
gcschmähte Berliner Schauspielhaus hinuntersehen.

Man sei in allen Dingen gerecht. Herr von Hülsen und seine Kunst¬
institute haben es zwar nie verdient, daß die hochstehenden Jünger der Kunst mit


Herr von Hülsen und die Zukunft des Berliner Schauspielhauses.

behauptet, das Repertoire des Schauspielhauses sei schlecht gewesen; es war
(zumal wenn man das ältere Repertoire mit betrachtet) das reichste in Deutsch¬
land in jeder Beziehung; das Schauspielhaus war das einzige Theater, das
auch noch ältern, tüchtigen deutschen Stücken eine würdige Darstellung zu Teil
werden ließ und selbst noch einem Töpfer, einem Iffland zu den glücklichsten
Erfolgen verhalf. Während das Burgtheater von Übersetzungen aus dem
Französischen und Spanischen überflutet wurde, während andre Bühnen sich mit
den derbsten Possen und abgeschmacktesten Rührstücken zufrieden gaben, hielt
Hülsen immer die Fahne der deutschen Literatur und des anständigen Ge¬
schmackes hoch; nur das Nobelste und Liebenswürdigste, was das Ausland bot,
ließ er gelegentlich zu; und gewissen „deutschen" Autoren, denen selbst das
Burgtheater die Arme weit öffnete, hat er die Thüren seines Hauses immer
verschlossen gehalten. Ich will trotzdem dieses Repertoire nicht über Gebühr
preisen; aber man zeige mir ein besseres und reichhaltigeres. Auch über die
Darstellnngskräfte hat man des öftern, und mit Unrecht, den Stab gebrochen.
Freilich waren die Darsteller des Schauspielhauses, wenn man Döring und die
Fried-Blumauer abrechnet, keine Genies und sind es auch heute nicht; dem Schau¬
spielhause fehlt ein Sonnenthal, ein Baumeister, ein Gabillon, ein Lewinsky,
ein Meixner, eine Woltcr, eine Hohenfels, vielleicht sogar eine Wessely. Aber
sie fehlen ihm, weil sie überhaupt nur einmal da sind, und wer dürfte dem
Intendanten des mit bescheidenen Mitteln ausgestatteten Schauspielhauses einen
Vorwurf daraus machen, daß er diese Künstler nicht anch besaß? Und besaß
er nicht einen Döring, einen Dcssoir, einen Liedtke (den ich in seiner Glanzzeit
nicht gekannt habe, von dem mir aber die alte Haizinger in den wärmsten
Worten zu berichten wußte), einen Verudal, einen Krause, einen Vollmer, eine
Fried-Blumauer, eine Kirschner, eine Crelinger, eine Erhardt, eine Keßler, eine
Meyer? Entwickelte sich nicht noch in letzter Zeit das Kleinod des Schauspiel¬
hauses, die köstliche Conrad, unter seiner Leitung? Welchen Sinn hatte es, wenn
man kurzweg über eine solche Gesellschaft von hervorragenden und außerordent¬
lichen Künstlern (die jetzt freilich sehr gelichtet ist) den Stab brach! Auch das
Ensemble war, zumal in Schauspielen und Lustspielen, vortrefflich. Wohl entsinne
ich mich einiger Aufführungen, die ich nicht überstehen konnte (Goethes „Götz"
und Schillers „Wallenstein" gehören zu ihnen); aber die große Mehrzahl, auch
der sogenannten „klassischen Aufführungen," war stets würdig, meist vortrefflich.
Ich kenne die deutschen Theater der Gegenwart ziemlich genau, wüßte aber nicht,
daß ich, einige, aber auch nur einige Ausführungen im Burgtheater ausgenommen,
an irgend einer Bühne gleich gute, geschweige denn bessere Ausführungen erlebt
hätte, obwohl manche dieser Bühnen mit stolzer Verachtung auf das viel-
gcschmähte Berliner Schauspielhaus hinuntersehen.

Man sei in allen Dingen gerecht. Herr von Hülsen und seine Kunst¬
institute haben es zwar nie verdient, daß die hochstehenden Jünger der Kunst mit


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[0094] Herr von Hülsen und die Zukunft des Berliner Schauspielhauses. behauptet, das Repertoire des Schauspielhauses sei schlecht gewesen; es war (zumal wenn man das ältere Repertoire mit betrachtet) das reichste in Deutsch¬ land in jeder Beziehung; das Schauspielhaus war das einzige Theater, das auch noch ältern, tüchtigen deutschen Stücken eine würdige Darstellung zu Teil werden ließ und selbst noch einem Töpfer, einem Iffland zu den glücklichsten Erfolgen verhalf. Während das Burgtheater von Übersetzungen aus dem Französischen und Spanischen überflutet wurde, während andre Bühnen sich mit den derbsten Possen und abgeschmacktesten Rührstücken zufrieden gaben, hielt Hülsen immer die Fahne der deutschen Literatur und des anständigen Ge¬ schmackes hoch; nur das Nobelste und Liebenswürdigste, was das Ausland bot, ließ er gelegentlich zu; und gewissen „deutschen" Autoren, denen selbst das Burgtheater die Arme weit öffnete, hat er die Thüren seines Hauses immer verschlossen gehalten. Ich will trotzdem dieses Repertoire nicht über Gebühr preisen; aber man zeige mir ein besseres und reichhaltigeres. Auch über die Darstellnngskräfte hat man des öftern, und mit Unrecht, den Stab gebrochen. Freilich waren die Darsteller des Schauspielhauses, wenn man Döring und die Fried-Blumauer abrechnet, keine Genies und sind es auch heute nicht; dem Schau¬ spielhause fehlt ein Sonnenthal, ein Baumeister, ein Gabillon, ein Lewinsky, ein Meixner, eine Woltcr, eine Hohenfels, vielleicht sogar eine Wessely. Aber sie fehlen ihm, weil sie überhaupt nur einmal da sind, und wer dürfte dem Intendanten des mit bescheidenen Mitteln ausgestatteten Schauspielhauses einen Vorwurf daraus machen, daß er diese Künstler nicht anch besaß? Und besaß er nicht einen Döring, einen Dcssoir, einen Liedtke (den ich in seiner Glanzzeit nicht gekannt habe, von dem mir aber die alte Haizinger in den wärmsten Worten zu berichten wußte), einen Verudal, einen Krause, einen Vollmer, eine Fried-Blumauer, eine Kirschner, eine Crelinger, eine Erhardt, eine Keßler, eine Meyer? Entwickelte sich nicht noch in letzter Zeit das Kleinod des Schauspiel¬ hauses, die köstliche Conrad, unter seiner Leitung? Welchen Sinn hatte es, wenn man kurzweg über eine solche Gesellschaft von hervorragenden und außerordent¬ lichen Künstlern (die jetzt freilich sehr gelichtet ist) den Stab brach! Auch das Ensemble war, zumal in Schauspielen und Lustspielen, vortrefflich. Wohl entsinne ich mich einiger Aufführungen, die ich nicht überstehen konnte (Goethes „Götz" und Schillers „Wallenstein" gehören zu ihnen); aber die große Mehrzahl, auch der sogenannten „klassischen Aufführungen," war stets würdig, meist vortrefflich. Ich kenne die deutschen Theater der Gegenwart ziemlich genau, wüßte aber nicht, daß ich, einige, aber auch nur einige Ausführungen im Burgtheater ausgenommen, an irgend einer Bühne gleich gute, geschweige denn bessere Ausführungen erlebt hätte, obwohl manche dieser Bühnen mit stolzer Verachtung auf das viel- gcschmähte Berliner Schauspielhaus hinuntersehen. Man sei in allen Dingen gerecht. Herr von Hülsen und seine Kunst¬ institute haben es zwar nie verdient, daß die hochstehenden Jünger der Kunst mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/94>, abgerufen am 05.06.2024.