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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Die Weltlage.

Bei unserm russischen Nachbar gewinnt die panslawistische Bewegung die
Oberhand und sucht die Massen immer mehr zu ergreifen. Auch hier begegnen
sich die verschiedenste!, Elemente der Gesellschaft, die aus einem Kriege die Er¬
reichung an sich sehr verschiedner Ziele hoffen. Es sind Leute darunter, die
sich in dein Glauben wiegen, daß ein Krieg die unruhigen Gemüter im Innern
besänftige" und die Forderungen uach Reformen und Freiheit verstummen machen
werde. Größer aber ist noch die Zahl derer, welche gerade von dem Kriege die
Verwirklichung ihrer destruktiven Bestrebungen erwarten. Niederlage wie Sieg
können in gleicher Weise dem Selbstherrschertnme des Zaren gefährlich werden
und den Lauf einer ruhigen Entwicklung zerstören. In dem Schoße der Götter
liegt es, ob die eine oder die andre Meinung die Oberhand behalten, ob die
lange durch enge Familienbande gepflegte Tradition der Freundschaft mit
Deutschland auch noch ferner der Leitstern der russischen Politik sein wird.
Das Liebäugeln der russischen Gesellschaft mit den französischen Republikanern
mag vielleicht eine Warnung enthalten, denn der Nihilismus hat seiue Lehren
aus Frankreich geschöpft, und eine engere Verbindung mit der Republik trägt
die Gefahr eines Wachsens der russischen revolutionären Ideen in sich. Deutsch¬
land hat keinen Grund, der Ausbreitung der russischen Herrschaft in Asien ent¬
gegenzutreten, Deutschland wünscht, wenn je mit einer Nation, so mit der rus¬
sischen in Friede" zu leben, und seine Negierung hat oft genug im Widersprüche
mit einer irregeleiteten öffentlichen Meinung Beweise der Freundschaft für Ru߬
land und seinen Zaren geliefert. Aber es giebt kein Mittel, Liebe und Freund¬
schaft zu erzwingen, und so beruhen auch hier die Hoffnungen für die Erhaltung
des Friedens auf unberechenbaren Voraussetzungen.

Bei allen Sympathien, welchen wir in England und Italien begegnen,
muß es doch sehr fraglich sein, ob die Interessen dieser Mächte von dem Kriege
gegen Deutschland so berührt werden, um uus mit bereiten Mitteln zur Seite
zu sein oder ihn gar zu verhindern. Die Freundschaft, welche Deutschland mit
Österreich-Ungarn verbindet, hat nur dann einen Wert, wenn beide Mächte über
starke Heere befehlen, und macht es nicht überflüssig, daß Deutschland sich nach
beiden Seiten rüstet.

Bis jetzt ist Deutschland der Hort des Friedens gewesen; das Wort,
welches in Napoleons Munde eine Lüge war, in Deutschland ist es verwirklicht
worden, daß das Kaiserreich der Friede ist. Von seiner Machtstellung, welche
es nach den schweren Kriegen von 1866 und 1870 errungen hat, machte es
nur für die Erhaltung des Friedens Gebrauch. Das zeigte sich darin, daß es
uicht nur im Jahre 1866 Österreich in seinein Bestände erhielt und es später
durch das Bündnis mit ihm lebenskräftig gestaltete, sondern auch, daß es trotz
der vielen Herausforderungen Frankreichs dieses nicht mit einem neuen Kriege
überzog zu eiuer Zeit, in welcher das deutsche Heer noch das Übergewicht hatte.
Dieses Verdienst unsrer Politik kann nicht hoch genug angeschlagen werden; denn


Die Weltlage.

Bei unserm russischen Nachbar gewinnt die panslawistische Bewegung die
Oberhand und sucht die Massen immer mehr zu ergreifen. Auch hier begegnen
sich die verschiedenste!, Elemente der Gesellschaft, die aus einem Kriege die Er¬
reichung an sich sehr verschiedner Ziele hoffen. Es sind Leute darunter, die
sich in dein Glauben wiegen, daß ein Krieg die unruhigen Gemüter im Innern
besänftige» und die Forderungen uach Reformen und Freiheit verstummen machen
werde. Größer aber ist noch die Zahl derer, welche gerade von dem Kriege die
Verwirklichung ihrer destruktiven Bestrebungen erwarten. Niederlage wie Sieg
können in gleicher Weise dem Selbstherrschertnme des Zaren gefährlich werden
und den Lauf einer ruhigen Entwicklung zerstören. In dem Schoße der Götter
liegt es, ob die eine oder die andre Meinung die Oberhand behalten, ob die
lange durch enge Familienbande gepflegte Tradition der Freundschaft mit
Deutschland auch noch ferner der Leitstern der russischen Politik sein wird.
Das Liebäugeln der russischen Gesellschaft mit den französischen Republikanern
mag vielleicht eine Warnung enthalten, denn der Nihilismus hat seiue Lehren
aus Frankreich geschöpft, und eine engere Verbindung mit der Republik trägt
die Gefahr eines Wachsens der russischen revolutionären Ideen in sich. Deutsch¬
land hat keinen Grund, der Ausbreitung der russischen Herrschaft in Asien ent¬
gegenzutreten, Deutschland wünscht, wenn je mit einer Nation, so mit der rus¬
sischen in Friede» zu leben, und seine Negierung hat oft genug im Widersprüche
mit einer irregeleiteten öffentlichen Meinung Beweise der Freundschaft für Ru߬
land und seinen Zaren geliefert. Aber es giebt kein Mittel, Liebe und Freund¬
schaft zu erzwingen, und so beruhen auch hier die Hoffnungen für die Erhaltung
des Friedens auf unberechenbaren Voraussetzungen.

Bei allen Sympathien, welchen wir in England und Italien begegnen,
muß es doch sehr fraglich sein, ob die Interessen dieser Mächte von dem Kriege
gegen Deutschland so berührt werden, um uus mit bereiten Mitteln zur Seite
zu sein oder ihn gar zu verhindern. Die Freundschaft, welche Deutschland mit
Österreich-Ungarn verbindet, hat nur dann einen Wert, wenn beide Mächte über
starke Heere befehlen, und macht es nicht überflüssig, daß Deutschland sich nach
beiden Seiten rüstet.

Bis jetzt ist Deutschland der Hort des Friedens gewesen; das Wort,
welches in Napoleons Munde eine Lüge war, in Deutschland ist es verwirklicht
worden, daß das Kaiserreich der Friede ist. Von seiner Machtstellung, welche
es nach den schweren Kriegen von 1866 und 1870 errungen hat, machte es
nur für die Erhaltung des Friedens Gebrauch. Das zeigte sich darin, daß es
uicht nur im Jahre 1866 Österreich in seinein Bestände erhielt und es später
durch das Bündnis mit ihm lebenskräftig gestaltete, sondern auch, daß es trotz
der vielen Herausforderungen Frankreichs dieses nicht mit einem neuen Kriege
überzog zu eiuer Zeit, in welcher das deutsche Heer noch das Übergewicht hatte.
Dieses Verdienst unsrer Politik kann nicht hoch genug angeschlagen werden; denn


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[0011] Die Weltlage. Bei unserm russischen Nachbar gewinnt die panslawistische Bewegung die Oberhand und sucht die Massen immer mehr zu ergreifen. Auch hier begegnen sich die verschiedenste!, Elemente der Gesellschaft, die aus einem Kriege die Er¬ reichung an sich sehr verschiedner Ziele hoffen. Es sind Leute darunter, die sich in dein Glauben wiegen, daß ein Krieg die unruhigen Gemüter im Innern besänftige» und die Forderungen uach Reformen und Freiheit verstummen machen werde. Größer aber ist noch die Zahl derer, welche gerade von dem Kriege die Verwirklichung ihrer destruktiven Bestrebungen erwarten. Niederlage wie Sieg können in gleicher Weise dem Selbstherrschertnme des Zaren gefährlich werden und den Lauf einer ruhigen Entwicklung zerstören. In dem Schoße der Götter liegt es, ob die eine oder die andre Meinung die Oberhand behalten, ob die lange durch enge Familienbande gepflegte Tradition der Freundschaft mit Deutschland auch noch ferner der Leitstern der russischen Politik sein wird. Das Liebäugeln der russischen Gesellschaft mit den französischen Republikanern mag vielleicht eine Warnung enthalten, denn der Nihilismus hat seiue Lehren aus Frankreich geschöpft, und eine engere Verbindung mit der Republik trägt die Gefahr eines Wachsens der russischen revolutionären Ideen in sich. Deutsch¬ land hat keinen Grund, der Ausbreitung der russischen Herrschaft in Asien ent¬ gegenzutreten, Deutschland wünscht, wenn je mit einer Nation, so mit der rus¬ sischen in Friede» zu leben, und seine Negierung hat oft genug im Widersprüche mit einer irregeleiteten öffentlichen Meinung Beweise der Freundschaft für Ru߬ land und seinen Zaren geliefert. Aber es giebt kein Mittel, Liebe und Freund¬ schaft zu erzwingen, und so beruhen auch hier die Hoffnungen für die Erhaltung des Friedens auf unberechenbaren Voraussetzungen. Bei allen Sympathien, welchen wir in England und Italien begegnen, muß es doch sehr fraglich sein, ob die Interessen dieser Mächte von dem Kriege gegen Deutschland so berührt werden, um uus mit bereiten Mitteln zur Seite zu sein oder ihn gar zu verhindern. Die Freundschaft, welche Deutschland mit Österreich-Ungarn verbindet, hat nur dann einen Wert, wenn beide Mächte über starke Heere befehlen, und macht es nicht überflüssig, daß Deutschland sich nach beiden Seiten rüstet. Bis jetzt ist Deutschland der Hort des Friedens gewesen; das Wort, welches in Napoleons Munde eine Lüge war, in Deutschland ist es verwirklicht worden, daß das Kaiserreich der Friede ist. Von seiner Machtstellung, welche es nach den schweren Kriegen von 1866 und 1870 errungen hat, machte es nur für die Erhaltung des Friedens Gebrauch. Das zeigte sich darin, daß es uicht nur im Jahre 1866 Österreich in seinein Bestände erhielt und es später durch das Bündnis mit ihm lebenskräftig gestaltete, sondern auch, daß es trotz der vielen Herausforderungen Frankreichs dieses nicht mit einem neuen Kriege überzog zu eiuer Zeit, in welcher das deutsche Heer noch das Übergewicht hatte. Dieses Verdienst unsrer Politik kann nicht hoch genug angeschlagen werden; denn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/11>, abgerufen am 10.06.2024.