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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Friedrich Hebbels Tagebücher von bis ^862.

Streben Achtung, ja Bewunderung hegen, wird als entscheidender Beweis dafür
betrachtet, daß noch Querkopfe und Widerbeller gegen das Reich der allgemeinen
Verminst existiren. Unter diesen Umständen darf es, wie gesagt, als ein glück¬
licher Umstand angesehen werden, daß sich einige gewichtige Stimmen laut und
mit Nachdruck erhoben haben, den Wert von Hebbels "Tagebüchern" zu bezeugen,
eine gewisse Gattung moderner Menschen, für welche Hebbels Dichtungen stumm
bleiben, beugt sich vor einem Ausspruche, wie demjenigen Wilhelm Schcrcrs,
daß Hebbels Tagebücher ein literarhistorisches Denkmal ersten Ranges seien.

Der Herausgeber, einer jener Freunde, welche lange Jahre den Lebensweg
des Dichters mit treuem Anteil und tiefem Verständnis für sein poetisches
Schaffen begleitet, ihm nach dem Tode ihre Verehrung ganz bewahrt haben,
sagt mit gutem Recht am Schlüsse des zweiten und letzten Bandes: "Das Über¬
wuchern materieller Interessen macht den Bessern die Pflege geistiger Interessen
zur Pflicht. Nichts wird die jetzige literarische Epoche Deutschlands mehr chci-
rakterisiren, als die besonders durch Sünden der Presse verursachte Teilnahm¬
losigkeit der Massen gegenüber einem Dichter wie Friedrich Hebbel." Er hat
sich dabei Wohl selbst gesagt, daß diese Teilnahmlosigkeit durch die Herausgabe
der hochbedeutenden, hochinteressanter Blätter, in denen Hebbel geheimste Zwie¬
sprache mit seinem Genius hielt und sich über Vermögen und Schranken seiner
Natur strenge Rechenschaft gab, bei den Massen nicht aufgehoben werden wird.
Was "Judith," "Maria Magdalena." die "Nibelungen/"Mutter und Kind"
und die schönsten und unvergänglichsten der lyrischen Gedichte Hebbels nicht be¬
wirkt haben, können auch die "Tagebücher" nicht bewirken. Wohl aber zeugen
sie mit solcher Wucht für das Vorhandensein eines echten Dichter- und großen
Künstlergeistes, belegen so entscheidend den reinen Willen und die unbeugsame
Hingabe Hebbels an seine idealen Aufgaben, erschließen eine solche Fülle kon-
zentrirter Weltbevbachtung, daß sie allerdings für jeden, der sie kennen lernt,
ohne bis dahin den Dichter Hebbel zu kennen, Anlaß und Sporn werden müssen,
dem Leben und Schaffen des vielbestrittenen Dramatikers näherzutreten. Die
"Tagebücher" mit ihrem innern Reichtum und den eigentümlichen Lichtern,
welche sie ans eine Reihe von Vorgängen und Erscheinungen der vierziger und
fünfziger Jahre unsers Jahrhunderts werfen, enthalten auch eine Reihe Hebbelscher
Briefe. Es scheint, daß der Dichter zwar nicht vollständige Abschriften seiner
Briefe, aber doch eingehende Darlegungen und wichtige Aussprüche ans den
eben geschriebnen Briefen in seine Tagebücher eintrug. Auch Briefe, an deren
Wortlaut ihm lag, mag er durch das Tagebuch aufbewahrt haben, so finden
sich gewisse Schreiben an Fürst Friedrich Schwarzenberg, an Ludwig Uhland,
an W. Kaulbach, an den Großherzog von Weimar, an Varnhagen von Ense,
an F. Gustav Kühne ausdrücklich zu diesem Zwecke in den Tagebüchern fest¬
gehalten; von andern an Emil Palleske, Friedrich von Üchtritz, Gutzkow.
Wilhelm Gärtner, Siegmund Engländer, Adolf Stern, den Maler Gurlitt


Friedrich Hebbels Tagebücher von bis ^862.

Streben Achtung, ja Bewunderung hegen, wird als entscheidender Beweis dafür
betrachtet, daß noch Querkopfe und Widerbeller gegen das Reich der allgemeinen
Verminst existiren. Unter diesen Umständen darf es, wie gesagt, als ein glück¬
licher Umstand angesehen werden, daß sich einige gewichtige Stimmen laut und
mit Nachdruck erhoben haben, den Wert von Hebbels „Tagebüchern" zu bezeugen,
eine gewisse Gattung moderner Menschen, für welche Hebbels Dichtungen stumm
bleiben, beugt sich vor einem Ausspruche, wie demjenigen Wilhelm Schcrcrs,
daß Hebbels Tagebücher ein literarhistorisches Denkmal ersten Ranges seien.

Der Herausgeber, einer jener Freunde, welche lange Jahre den Lebensweg
des Dichters mit treuem Anteil und tiefem Verständnis für sein poetisches
Schaffen begleitet, ihm nach dem Tode ihre Verehrung ganz bewahrt haben,
sagt mit gutem Recht am Schlüsse des zweiten und letzten Bandes: „Das Über¬
wuchern materieller Interessen macht den Bessern die Pflege geistiger Interessen
zur Pflicht. Nichts wird die jetzige literarische Epoche Deutschlands mehr chci-
rakterisiren, als die besonders durch Sünden der Presse verursachte Teilnahm¬
losigkeit der Massen gegenüber einem Dichter wie Friedrich Hebbel." Er hat
sich dabei Wohl selbst gesagt, daß diese Teilnahmlosigkeit durch die Herausgabe
der hochbedeutenden, hochinteressanter Blätter, in denen Hebbel geheimste Zwie¬
sprache mit seinem Genius hielt und sich über Vermögen und Schranken seiner
Natur strenge Rechenschaft gab, bei den Massen nicht aufgehoben werden wird.
Was „Judith," „Maria Magdalena." die „Nibelungen/„Mutter und Kind"
und die schönsten und unvergänglichsten der lyrischen Gedichte Hebbels nicht be¬
wirkt haben, können auch die „Tagebücher" nicht bewirken. Wohl aber zeugen
sie mit solcher Wucht für das Vorhandensein eines echten Dichter- und großen
Künstlergeistes, belegen so entscheidend den reinen Willen und die unbeugsame
Hingabe Hebbels an seine idealen Aufgaben, erschließen eine solche Fülle kon-
zentrirter Weltbevbachtung, daß sie allerdings für jeden, der sie kennen lernt,
ohne bis dahin den Dichter Hebbel zu kennen, Anlaß und Sporn werden müssen,
dem Leben und Schaffen des vielbestrittenen Dramatikers näherzutreten. Die
„Tagebücher" mit ihrem innern Reichtum und den eigentümlichen Lichtern,
welche sie ans eine Reihe von Vorgängen und Erscheinungen der vierziger und
fünfziger Jahre unsers Jahrhunderts werfen, enthalten auch eine Reihe Hebbelscher
Briefe. Es scheint, daß der Dichter zwar nicht vollständige Abschriften seiner
Briefe, aber doch eingehende Darlegungen und wichtige Aussprüche ans den
eben geschriebnen Briefen in seine Tagebücher eintrug. Auch Briefe, an deren
Wortlaut ihm lag, mag er durch das Tagebuch aufbewahrt haben, so finden
sich gewisse Schreiben an Fürst Friedrich Schwarzenberg, an Ludwig Uhland,
an W. Kaulbach, an den Großherzog von Weimar, an Varnhagen von Ense,
an F. Gustav Kühne ausdrücklich zu diesem Zwecke in den Tagebüchern fest¬
gehalten; von andern an Emil Palleske, Friedrich von Üchtritz, Gutzkow.
Wilhelm Gärtner, Siegmund Engländer, Adolf Stern, den Maler Gurlitt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/31>, abgerufen am 27.05.2024.