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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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noch nicht greisem Kraft ein- für allemal besteht, das Hemmnis jenes Nazarener-
tnms zu überwinden, zu welchem die junge Künstlergeneration i" der Abwehr
der seelenlosen Bravour und der Öde handwerksmäßigen Kunsttreibens gedrängt
worden war. Gerade in diesem Augenblicke und in denkwürdigen Zusammen¬
treffen mit Schuorrs Briefen aus Italien erscheint (im 25. Bande der von
Bernhard Seuffert herausgegebenen "Deutschen Literatnrdeukmcile des achtzehnten
und neunzehnten Jahrhunderts in Neudrucken") eine Sammlung "Kleine Schriften
zur Kunst" von Heinrich Meyer,") in welcher sich auch jene Aufsätze wieder¬
gedruckt finden, mit denen die W. K. F. (Weimarischen Kunstfreunde) die über¬
mäßige Wertschätzung alter, noch roher Produkte der deutschen, niederländischen,
florentinischen und andrer Malerschulen, zunächst allerdings vergeblich, bekämpften.
So gewiß Schmorr einer der ersten unter den jungen Künstlern war, welche
diesen Drang überwanden, so läßt sich nicht leugnen, daß auch er ihm eine
Zeit lang verfallen war. Wie ein Beleg zu Heinrich Meyers vielangefochtenem,
in seinem Kern unwiderlegbaren Aufsatz "Neudeutsche religiös-patriotische Kunst"
(in Goethes "Kunst und Altertum" von 1317, auf S 97 der genannten Samm¬
lung) nehmen sich einzelne Äußerungen Schmorrs in seinen ersten italienischen
Briefen aus. Wenn er 1317 aus Florenz seinem Vater schreibt: "Der Eindruck,
den die Bilder der alten Venetianer auf mich gemacht haben, besonders die von
Cima da Conegliano, ist durch Rafael noch nicht verwischt worden, durch andre
nun vollends nicht. In Rafaels Bildern spricht sich ein vorherrschender Zug
aus, der mir nicht ganz zusagt, ein Suchen nach Zierlichkeit und Anmut der
Geberden, worunter manchmal das innere Leben der Gestalten zu leiden scheint.
So bedeutende Gestalten, besonders männliche, habe ich noch nicht von ihm ge¬
sehen wie von Cima. Auch haben die Venetianer besser gemalt. Ihr Kolorit
ist ausdrucksvoller. Die Werte, die ich bis jetzt von Michel-Angelo gesehen
und ich sah denn doch schon einige, haben mir garnicht gefallen, doch soll man
diesen Meister erst in der Sixtinischen Kapelle kennen lernen. Du wirst über
die Kühnheit dieser Äußerungen erstaunen, es dürfte auch wohlgethan sein, sie
niemand mitzuteilen. Perugino behauptet sich nicht ganz, er wiederholt sich
gar zu sehr, und da nun ein Stücker zehn guter Schiller immer wieder so ge¬
malt und dieselbigen Stellungen angewendet, so wird man am Ende auch schöner
Gestalten überdrüssig. Dagegen verweile ich mit großem Entzücken bei den
Darstellungen der ältesten Meister, und es scheint nicht, als würden die goldnen
Worte von Goethe (Goethe galt für den Verfasser des obenerwähnten Meyerschen
Aufsatzes) meine Liebe für solche erkälten. Diese Sachen sind über alle Be¬
griffe, auch über seine Begriffe schön. Die schönsten Darstellungen dieser Art
soll ich nun erst in Pisa kennen lernen; Rom selbst ist nicht reich daran."

Ähnliche Äußerungen kehren noch öfter, im Laufe der Jahre aber seltener



*) Heilbronn, Gebr, Homünger, 1836.

noch nicht greisem Kraft ein- für allemal besteht, das Hemmnis jenes Nazarener-
tnms zu überwinden, zu welchem die junge Künstlergeneration i» der Abwehr
der seelenlosen Bravour und der Öde handwerksmäßigen Kunsttreibens gedrängt
worden war. Gerade in diesem Augenblicke und in denkwürdigen Zusammen¬
treffen mit Schuorrs Briefen aus Italien erscheint (im 25. Bande der von
Bernhard Seuffert herausgegebenen „Deutschen Literatnrdeukmcile des achtzehnten
und neunzehnten Jahrhunderts in Neudrucken") eine Sammlung „Kleine Schriften
zur Kunst" von Heinrich Meyer,") in welcher sich auch jene Aufsätze wieder¬
gedruckt finden, mit denen die W. K. F. (Weimarischen Kunstfreunde) die über¬
mäßige Wertschätzung alter, noch roher Produkte der deutschen, niederländischen,
florentinischen und andrer Malerschulen, zunächst allerdings vergeblich, bekämpften.
So gewiß Schmorr einer der ersten unter den jungen Künstlern war, welche
diesen Drang überwanden, so läßt sich nicht leugnen, daß auch er ihm eine
Zeit lang verfallen war. Wie ein Beleg zu Heinrich Meyers vielangefochtenem,
in seinem Kern unwiderlegbaren Aufsatz „Neudeutsche religiös-patriotische Kunst"
(in Goethes „Kunst und Altertum" von 1317, auf S 97 der genannten Samm¬
lung) nehmen sich einzelne Äußerungen Schmorrs in seinen ersten italienischen
Briefen aus. Wenn er 1317 aus Florenz seinem Vater schreibt: „Der Eindruck,
den die Bilder der alten Venetianer auf mich gemacht haben, besonders die von
Cima da Conegliano, ist durch Rafael noch nicht verwischt worden, durch andre
nun vollends nicht. In Rafaels Bildern spricht sich ein vorherrschender Zug
aus, der mir nicht ganz zusagt, ein Suchen nach Zierlichkeit und Anmut der
Geberden, worunter manchmal das innere Leben der Gestalten zu leiden scheint.
So bedeutende Gestalten, besonders männliche, habe ich noch nicht von ihm ge¬
sehen wie von Cima. Auch haben die Venetianer besser gemalt. Ihr Kolorit
ist ausdrucksvoller. Die Werte, die ich bis jetzt von Michel-Angelo gesehen
und ich sah denn doch schon einige, haben mir garnicht gefallen, doch soll man
diesen Meister erst in der Sixtinischen Kapelle kennen lernen. Du wirst über
die Kühnheit dieser Äußerungen erstaunen, es dürfte auch wohlgethan sein, sie
niemand mitzuteilen. Perugino behauptet sich nicht ganz, er wiederholt sich
gar zu sehr, und da nun ein Stücker zehn guter Schiller immer wieder so ge¬
malt und dieselbigen Stellungen angewendet, so wird man am Ende auch schöner
Gestalten überdrüssig. Dagegen verweile ich mit großem Entzücken bei den
Darstellungen der ältesten Meister, und es scheint nicht, als würden die goldnen
Worte von Goethe (Goethe galt für den Verfasser des obenerwähnten Meyerschen
Aufsatzes) meine Liebe für solche erkälten. Diese Sachen sind über alle Be¬
griffe, auch über seine Begriffe schön. Die schönsten Darstellungen dieser Art
soll ich nun erst in Pisa kennen lernen; Rom selbst ist nicht reich daran."

Ähnliche Äußerungen kehren noch öfter, im Laufe der Jahre aber seltener



*) Heilbronn, Gebr, Homünger, 1836.
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[0328] noch nicht greisem Kraft ein- für allemal besteht, das Hemmnis jenes Nazarener- tnms zu überwinden, zu welchem die junge Künstlergeneration i» der Abwehr der seelenlosen Bravour und der Öde handwerksmäßigen Kunsttreibens gedrängt worden war. Gerade in diesem Augenblicke und in denkwürdigen Zusammen¬ treffen mit Schuorrs Briefen aus Italien erscheint (im 25. Bande der von Bernhard Seuffert herausgegebenen „Deutschen Literatnrdeukmcile des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts in Neudrucken") eine Sammlung „Kleine Schriften zur Kunst" von Heinrich Meyer,") in welcher sich auch jene Aufsätze wieder¬ gedruckt finden, mit denen die W. K. F. (Weimarischen Kunstfreunde) die über¬ mäßige Wertschätzung alter, noch roher Produkte der deutschen, niederländischen, florentinischen und andrer Malerschulen, zunächst allerdings vergeblich, bekämpften. So gewiß Schmorr einer der ersten unter den jungen Künstlern war, welche diesen Drang überwanden, so läßt sich nicht leugnen, daß auch er ihm eine Zeit lang verfallen war. Wie ein Beleg zu Heinrich Meyers vielangefochtenem, in seinem Kern unwiderlegbaren Aufsatz „Neudeutsche religiös-patriotische Kunst" (in Goethes „Kunst und Altertum" von 1317, auf S 97 der genannten Samm¬ lung) nehmen sich einzelne Äußerungen Schmorrs in seinen ersten italienischen Briefen aus. Wenn er 1317 aus Florenz seinem Vater schreibt: „Der Eindruck, den die Bilder der alten Venetianer auf mich gemacht haben, besonders die von Cima da Conegliano, ist durch Rafael noch nicht verwischt worden, durch andre nun vollends nicht. In Rafaels Bildern spricht sich ein vorherrschender Zug aus, der mir nicht ganz zusagt, ein Suchen nach Zierlichkeit und Anmut der Geberden, worunter manchmal das innere Leben der Gestalten zu leiden scheint. So bedeutende Gestalten, besonders männliche, habe ich noch nicht von ihm ge¬ sehen wie von Cima. Auch haben die Venetianer besser gemalt. Ihr Kolorit ist ausdrucksvoller. Die Werte, die ich bis jetzt von Michel-Angelo gesehen und ich sah denn doch schon einige, haben mir garnicht gefallen, doch soll man diesen Meister erst in der Sixtinischen Kapelle kennen lernen. Du wirst über die Kühnheit dieser Äußerungen erstaunen, es dürfte auch wohlgethan sein, sie niemand mitzuteilen. Perugino behauptet sich nicht ganz, er wiederholt sich gar zu sehr, und da nun ein Stücker zehn guter Schiller immer wieder so ge¬ malt und dieselbigen Stellungen angewendet, so wird man am Ende auch schöner Gestalten überdrüssig. Dagegen verweile ich mit großem Entzücken bei den Darstellungen der ältesten Meister, und es scheint nicht, als würden die goldnen Worte von Goethe (Goethe galt für den Verfasser des obenerwähnten Meyerschen Aufsatzes) meine Liebe für solche erkälten. Diese Sachen sind über alle Be¬ griffe, auch über seine Begriffe schön. Die schönsten Darstellungen dieser Art soll ich nun erst in Pisa kennen lernen; Rom selbst ist nicht reich daran." Ähnliche Äußerungen kehren noch öfter, im Laufe der Jahre aber seltener *) Heilbronn, Gebr, Homünger, 1836.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/328>, abgerufen am 28.05.2024.