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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Zu dem jüngsten Entwurf eines Prozeßkostengesetzes.

als er zu beweisen scheint, daß die Justizgesctzgebung, so wie sie aus der Organi¬
sation des Jahres 1879 hervorgegangen ist, noch nicht der Stagnation verfallen
ist. Der Entwurf knüpft an die wiederholten Beschlüsse des Reichstages an,
welche zu einer Ermäßigung der Gerichtskosten und Revision der Anwalts-
gcbllhren gedrängt hatten. Dabei gingen jedoch die verbündeten Regierungen
von der Ansicht aus, daß, nachdem die Gerichtskosten bereits durch das Gesetz
vom 29. Juni 1881 eine Ermäßigung erfahren haben, eine weitere Ermäßigung
von solchen unthunlich sei, weil überhaupt die Gerichtskosten in Vergleich mit
den früheren (preußischen) nicht wesentlich gesteigert seien, weil die Ermäßigung
vou 1881 schon einen erheblichen Ausfall herbeigeführt habe, und weil die nicht
unbedeutend gestiegenen Kosten der Rechtspflege schon jetzt nur zum geringsten
Teile durch die für bürgerliche Rechtsstreite bezogenen Gerichtsgebühren gedeckt
werden. Abgesehen von einer einzelnen, für die Berechnung von Gebühren
maßgebenden Abänderung des Gerichtskostengcsetzes, beschränkte sich daher der
Entwurf anf eine Revision der Anwaltsgebührenordnung. Auch hier wollte es
derselbe bei der Hauptgrundlage des früheren Gesetzes, der hohen Gebühren¬
skala, lassen. Nur da, wo man in bestimmten Gebührensätzen ein Übermaß er¬
kannte, wollte man dieses abschneiden.

Diese beabsichtigte Minderung der Gebühren, so maßvoll sie auch war,
hat gleichwohl in Anwaltskreisen die lebhafteste Agitation wachgerufen. Viele
Blätter haben dem Widerspruch der Anwälte gegen jede Gebührenherabsetzung
ihre Spalten geöffnet. Die Vorstände der Auwaltskcnnmern sind zusammen¬
getreten und haben die geplanten Änderungen fast in allen Beziehungen für
unannehmbar erklärt. In einer ausführlichen Denkschrift ist dieses Ergebnis
begründet worden. Die Begründung läuft im wesentlichen darauf hinaus, daß
die Anwälte ohne die Gebühren in ihrer jetzigen Höhe nicht bestehen könnten.

In dieser Lage hat die Angelegenheit durch Auflösung des Reichstages
vorerst eine Unterbrechung erlitten.

Der geschichtliche Gang der Entstehung unsrer Kostengesetze ist in dieser
Zeitschrift (Jahrgang 1383, Heft 38 und 39) schon einmal ausführlicher dar¬
gestellt worden. Für die Beurteilung der gegenwärtigen Sachlage dürfte es
sich lohnen, um die wesentlichsten geschichtlichen Momente nochmals zu erinnern.
Die Grundlage dieser geschichtlichen Betrachtung entnehmen wir allerdings nur
aus den Verhältnissen Preußens. In Preußen beruhten die Gerichts- und
Anwaltsgcbühren auf gleichzeitig erlassenen Gesetzen von Mai 1851. Die Ge¬
bühren waren nicht gering. Aber sie hatten den Vorzug, daß sie in ihrer dem
Werte des Streitgegenstandes sich eng anschließenden allmählichen Steigerung
ein hohes Maß von Gerechtigkeit in sich trugen. Was insbesondre die An¬
waltsgcbühren betrifft, so ist es notorisch, daß sie einer großen Anzahl von
Anwälten eine durchaus anständige Lebensstellung gewährten, ja daß einzelne
Anwälte unter ihrer Herrschaft sehr wohlhabende Leute geworden sind. Im


Grenzboten I. 1887. 4S
Zu dem jüngsten Entwurf eines Prozeßkostengesetzes.

als er zu beweisen scheint, daß die Justizgesctzgebung, so wie sie aus der Organi¬
sation des Jahres 1879 hervorgegangen ist, noch nicht der Stagnation verfallen
ist. Der Entwurf knüpft an die wiederholten Beschlüsse des Reichstages an,
welche zu einer Ermäßigung der Gerichtskosten und Revision der Anwalts-
gcbllhren gedrängt hatten. Dabei gingen jedoch die verbündeten Regierungen
von der Ansicht aus, daß, nachdem die Gerichtskosten bereits durch das Gesetz
vom 29. Juni 1881 eine Ermäßigung erfahren haben, eine weitere Ermäßigung
von solchen unthunlich sei, weil überhaupt die Gerichtskosten in Vergleich mit
den früheren (preußischen) nicht wesentlich gesteigert seien, weil die Ermäßigung
vou 1881 schon einen erheblichen Ausfall herbeigeführt habe, und weil die nicht
unbedeutend gestiegenen Kosten der Rechtspflege schon jetzt nur zum geringsten
Teile durch die für bürgerliche Rechtsstreite bezogenen Gerichtsgebühren gedeckt
werden. Abgesehen von einer einzelnen, für die Berechnung von Gebühren
maßgebenden Abänderung des Gerichtskostengcsetzes, beschränkte sich daher der
Entwurf anf eine Revision der Anwaltsgebührenordnung. Auch hier wollte es
derselbe bei der Hauptgrundlage des früheren Gesetzes, der hohen Gebühren¬
skala, lassen. Nur da, wo man in bestimmten Gebührensätzen ein Übermaß er¬
kannte, wollte man dieses abschneiden.

Diese beabsichtigte Minderung der Gebühren, so maßvoll sie auch war,
hat gleichwohl in Anwaltskreisen die lebhafteste Agitation wachgerufen. Viele
Blätter haben dem Widerspruch der Anwälte gegen jede Gebührenherabsetzung
ihre Spalten geöffnet. Die Vorstände der Auwaltskcnnmern sind zusammen¬
getreten und haben die geplanten Änderungen fast in allen Beziehungen für
unannehmbar erklärt. In einer ausführlichen Denkschrift ist dieses Ergebnis
begründet worden. Die Begründung läuft im wesentlichen darauf hinaus, daß
die Anwälte ohne die Gebühren in ihrer jetzigen Höhe nicht bestehen könnten.

In dieser Lage hat die Angelegenheit durch Auflösung des Reichstages
vorerst eine Unterbrechung erlitten.

Der geschichtliche Gang der Entstehung unsrer Kostengesetze ist in dieser
Zeitschrift (Jahrgang 1383, Heft 38 und 39) schon einmal ausführlicher dar¬
gestellt worden. Für die Beurteilung der gegenwärtigen Sachlage dürfte es
sich lohnen, um die wesentlichsten geschichtlichen Momente nochmals zu erinnern.
Die Grundlage dieser geschichtlichen Betrachtung entnehmen wir allerdings nur
aus den Verhältnissen Preußens. In Preußen beruhten die Gerichts- und
Anwaltsgcbühren auf gleichzeitig erlassenen Gesetzen von Mai 1851. Die Ge¬
bühren waren nicht gering. Aber sie hatten den Vorzug, daß sie in ihrer dem
Werte des Streitgegenstandes sich eng anschließenden allmählichen Steigerung
ein hohes Maß von Gerechtigkeit in sich trugen. Was insbesondre die An¬
waltsgcbühren betrifft, so ist es notorisch, daß sie einer großen Anzahl von
Anwälten eine durchaus anständige Lebensstellung gewährten, ja daß einzelne
Anwälte unter ihrer Herrschaft sehr wohlhabende Leute geworden sind. Im


Grenzboten I. 1887. 4S
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[0361] Zu dem jüngsten Entwurf eines Prozeßkostengesetzes. als er zu beweisen scheint, daß die Justizgesctzgebung, so wie sie aus der Organi¬ sation des Jahres 1879 hervorgegangen ist, noch nicht der Stagnation verfallen ist. Der Entwurf knüpft an die wiederholten Beschlüsse des Reichstages an, welche zu einer Ermäßigung der Gerichtskosten und Revision der Anwalts- gcbllhren gedrängt hatten. Dabei gingen jedoch die verbündeten Regierungen von der Ansicht aus, daß, nachdem die Gerichtskosten bereits durch das Gesetz vom 29. Juni 1881 eine Ermäßigung erfahren haben, eine weitere Ermäßigung von solchen unthunlich sei, weil überhaupt die Gerichtskosten in Vergleich mit den früheren (preußischen) nicht wesentlich gesteigert seien, weil die Ermäßigung vou 1881 schon einen erheblichen Ausfall herbeigeführt habe, und weil die nicht unbedeutend gestiegenen Kosten der Rechtspflege schon jetzt nur zum geringsten Teile durch die für bürgerliche Rechtsstreite bezogenen Gerichtsgebühren gedeckt werden. Abgesehen von einer einzelnen, für die Berechnung von Gebühren maßgebenden Abänderung des Gerichtskostengcsetzes, beschränkte sich daher der Entwurf anf eine Revision der Anwaltsgebührenordnung. Auch hier wollte es derselbe bei der Hauptgrundlage des früheren Gesetzes, der hohen Gebühren¬ skala, lassen. Nur da, wo man in bestimmten Gebührensätzen ein Übermaß er¬ kannte, wollte man dieses abschneiden. Diese beabsichtigte Minderung der Gebühren, so maßvoll sie auch war, hat gleichwohl in Anwaltskreisen die lebhafteste Agitation wachgerufen. Viele Blätter haben dem Widerspruch der Anwälte gegen jede Gebührenherabsetzung ihre Spalten geöffnet. Die Vorstände der Auwaltskcnnmern sind zusammen¬ getreten und haben die geplanten Änderungen fast in allen Beziehungen für unannehmbar erklärt. In einer ausführlichen Denkschrift ist dieses Ergebnis begründet worden. Die Begründung läuft im wesentlichen darauf hinaus, daß die Anwälte ohne die Gebühren in ihrer jetzigen Höhe nicht bestehen könnten. In dieser Lage hat die Angelegenheit durch Auflösung des Reichstages vorerst eine Unterbrechung erlitten. Der geschichtliche Gang der Entstehung unsrer Kostengesetze ist in dieser Zeitschrift (Jahrgang 1383, Heft 38 und 39) schon einmal ausführlicher dar¬ gestellt worden. Für die Beurteilung der gegenwärtigen Sachlage dürfte es sich lohnen, um die wesentlichsten geschichtlichen Momente nochmals zu erinnern. Die Grundlage dieser geschichtlichen Betrachtung entnehmen wir allerdings nur aus den Verhältnissen Preußens. In Preußen beruhten die Gerichts- und Anwaltsgcbühren auf gleichzeitig erlassenen Gesetzen von Mai 1851. Die Ge¬ bühren waren nicht gering. Aber sie hatten den Vorzug, daß sie in ihrer dem Werte des Streitgegenstandes sich eng anschließenden allmählichen Steigerung ein hohes Maß von Gerechtigkeit in sich trugen. Was insbesondre die An¬ waltsgcbühren betrifft, so ist es notorisch, daß sie einer großen Anzahl von Anwälten eine durchaus anständige Lebensstellung gewährten, ja daß einzelne Anwälte unter ihrer Herrschaft sehr wohlhabende Leute geworden sind. Im Grenzboten I. 1887. 4S

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/361>, abgerufen am 19.05.2024.