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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Knnstgeschichtliche Aufsätze von Lübke und Springer.

lingsporträt Raffaels im Louvre beigegeben. Er wollte damit Zeugnis ablegen
von der idealistischen Grundanschauung, die er allen Werken der bildenden Kunst
gegenüber einnimmt, und die sich auch als der leitende Faden durch die dritte
Sammlung seiner kunstgeschichtlichen Aufsätze hindurchzieht. In dem letzten
derselben erhebt sie sich sogar zu einem energischen Protest gegen den modernen
Realismus, und Lübke glaubtauch bereits die Anzeichen zu sehen, "die darauf
hindeuten, daß die ausschließliche Herrschaft des Realismus zu Eude geht."
Er versucht nach besten Kräften, sich mit diesem ihm widerstrebenden Realismus
auseinanderzusetzen, sieht aber gewiß zu schwarz, wenn er folgendes düstere Bild
entwirft: "Schon jetzt sind die Auswüchse zu spüren, wie sie denn in den
Impressionisten, in Manet und seinen Nachfolgern sich in bedenklicher Weise
breit machen und auch bei uns vielfach auf das berüchtigte: I^s liM "z'sse 1o
K"zg.n hinsteuern. Diese Richtung begegnet sich mit ähnlichen Strömungen in
der Literatur, wo ein Zola seine trostlos pessimistische Auffassung in dem ex¬
tremsten Naturalismus zur Geltung gebracht hat und ein Chor von französischen,
italienischen, russischen und leider auch deutschen Nachtreter" mit einem wahren
Fanatismus das Pseudocvangelium predigt, daß das Physisch und moralisch Hä߬
liche das einzig Wahre sei. Als ob alles Schöne, Reine und Hohe aus der Welt
geschwunden wäre und nur das Gemeine seine brutale Alleinherrschaft behaupte."

Lübke verengert sich hier ohne Not den Gesichtskreis. Sein Blick reicht nicht
weit genug, um zu erkenne", daß die häßlichen Auswüchse, welche seine idealistische
Anschauungsweise verletzen, nur vorübergehende Erscheinnnge sind. Sie bilden
sogar eine notwendige Reaktion, und sie sind insofern als Mittel zum Zweck
uicht zu verachte", als sie eine malerische und bildnerische Technik begründet
und gefördert habe", welche "unmchr auch der Lösung der höchsten Aufgaben
gewachsen ist, sobald diese Aufgaben nur kommeu. Daß es damit freilich noch
gute Wege hat, liegt in unsrer gesamten Kultur. Springer ist nach dieser
Richtung der schärfer und weiter blickende von beiden. Mag er sich in subtilen
Einzelforschungen bewegen oder mag er eine Fülle von Einzelheiten zu einem
kunstvoll gegliederten Ganzen zusammenfassen oder mag er von einer Reihe
isolirter Beobachtungen Perspektiven in die Zukunft eröffnen -- immer zeigt er
sich als der exakte Geschichtsforscher, der jeden persönlichen Idealismus beiseite
läßt, wenn es sich um die Abwägung realer Verhältnisse handelt. An: Schlüsse
einer sehr gründlichen und vorurteilsfreien Betrachtung über die Wege und Ziele
der gegenwärtigen Kunst sagt er: "Das eine glauben wir behaupten zu dürfen,
daß eine neue Kunstperiode keineswegs in naher Aussicht steht, daß das schwanke"
in der Richtung, der Kampf zwischeu alten und neuen Überzeugungen, die
zaghafte Scheu vor großen Zielen in dieser Zeit des Überganges noch länger
andauern wird. Deu besten Trost gewährt dann die Einsicht, daß das Werkzeug
künstlerischen Schaffens in deu Händen des jüngern Geschlechtes nicht rostet,
geschärft und geschliffen erhalten wird. Das läßt uns von der Herrschaft des


Knnstgeschichtliche Aufsätze von Lübke und Springer.

lingsporträt Raffaels im Louvre beigegeben. Er wollte damit Zeugnis ablegen
von der idealistischen Grundanschauung, die er allen Werken der bildenden Kunst
gegenüber einnimmt, und die sich auch als der leitende Faden durch die dritte
Sammlung seiner kunstgeschichtlichen Aufsätze hindurchzieht. In dem letzten
derselben erhebt sie sich sogar zu einem energischen Protest gegen den modernen
Realismus, und Lübke glaubtauch bereits die Anzeichen zu sehen, „die darauf
hindeuten, daß die ausschließliche Herrschaft des Realismus zu Eude geht."
Er versucht nach besten Kräften, sich mit diesem ihm widerstrebenden Realismus
auseinanderzusetzen, sieht aber gewiß zu schwarz, wenn er folgendes düstere Bild
entwirft: „Schon jetzt sind die Auswüchse zu spüren, wie sie denn in den
Impressionisten, in Manet und seinen Nachfolgern sich in bedenklicher Weise
breit machen und auch bei uns vielfach auf das berüchtigte: I^s liM «z'sse 1o
K«zg.n hinsteuern. Diese Richtung begegnet sich mit ähnlichen Strömungen in
der Literatur, wo ein Zola seine trostlos pessimistische Auffassung in dem ex¬
tremsten Naturalismus zur Geltung gebracht hat und ein Chor von französischen,
italienischen, russischen und leider auch deutschen Nachtreter« mit einem wahren
Fanatismus das Pseudocvangelium predigt, daß das Physisch und moralisch Hä߬
liche das einzig Wahre sei. Als ob alles Schöne, Reine und Hohe aus der Welt
geschwunden wäre und nur das Gemeine seine brutale Alleinherrschaft behaupte."

Lübke verengert sich hier ohne Not den Gesichtskreis. Sein Blick reicht nicht
weit genug, um zu erkenne», daß die häßlichen Auswüchse, welche seine idealistische
Anschauungsweise verletzen, nur vorübergehende Erscheinnnge sind. Sie bilden
sogar eine notwendige Reaktion, und sie sind insofern als Mittel zum Zweck
uicht zu verachte», als sie eine malerische und bildnerische Technik begründet
und gefördert habe», welche »unmchr auch der Lösung der höchsten Aufgaben
gewachsen ist, sobald diese Aufgaben nur kommeu. Daß es damit freilich noch
gute Wege hat, liegt in unsrer gesamten Kultur. Springer ist nach dieser
Richtung der schärfer und weiter blickende von beiden. Mag er sich in subtilen
Einzelforschungen bewegen oder mag er eine Fülle von Einzelheiten zu einem
kunstvoll gegliederten Ganzen zusammenfassen oder mag er von einer Reihe
isolirter Beobachtungen Perspektiven in die Zukunft eröffnen — immer zeigt er
sich als der exakte Geschichtsforscher, der jeden persönlichen Idealismus beiseite
läßt, wenn es sich um die Abwägung realer Verhältnisse handelt. An: Schlüsse
einer sehr gründlichen und vorurteilsfreien Betrachtung über die Wege und Ziele
der gegenwärtigen Kunst sagt er: „Das eine glauben wir behaupten zu dürfen,
daß eine neue Kunstperiode keineswegs in naher Aussicht steht, daß das schwanke»
in der Richtung, der Kampf zwischeu alten und neuen Überzeugungen, die
zaghafte Scheu vor großen Zielen in dieser Zeit des Überganges noch länger
andauern wird. Deu besten Trost gewährt dann die Einsicht, daß das Werkzeug
künstlerischen Schaffens in deu Händen des jüngern Geschlechtes nicht rostet,
geschärft und geschliffen erhalten wird. Das läßt uns von der Herrschaft des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/445>, abgerufen am 10.06.2024.