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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Jugenderinnerungen.

So wurde ich denn in sehr jugendlichem Alter mit allen Arbeiten, wie sie
in ländlichen Wirtschaften im Laufe des Jahres vorkommen, vollkommen ver¬
traut. Es würde mir sogar nicht schwer geworden sein, sie anzuordnen, denn
man brauchte dabei nach damals landesüblicher Gewohnheit nur eine unwandelbar
feststehende Regel zu befolgen.

Der häufige Aufenthalt im Hause des Gerichtsmannes David Förster
weihte mich auch vollkommen in die Sitten und Gebräuche ein, nach denen sich
in den ersten Jahrzehnten des neunzehnten Jahrhunderts das Leben des Ober-
lausitzischen Bauern ordnete. Die großen Fortschritte der neuern Zeit und die
Umwandlungen, welche infolge derselben auch das uralte und sehr fest gefügte
Herkommen bei dem Bauer erlitt, hat auch diese Gebräuche teils stark umge¬
modelt und verwischt, teils gänzlich ausgetilgt. Durch die Verhältnisse ge¬
zwungen, trat der Bauer oft widerstrebend und grollend in die magischen
Kreise, welche die alles abschleifende Kultur um ihn zog. Er ward, ohne es
zu wünschen und fast ohne es zu ahnen, taumelnd mitten in die Welt der Bil¬
dung, wie die Zeit sie heischte, hineingerissen und ging dabei der alten, ehr¬
würdigen Einfachheit, der heilig gehaltenen, seinen Naturanlagen und Bedürf¬
nissen genau entsprechenden Gewohnheiten und Sitten großenteils verlustig.
Ob diese reißend schnelle Wandlung, die sich in auffallend kurzer Zeit vollzog,
dem Bauernstande im allgemeinen zum Vorteil gereichte, ob sie ihn sittlich und
geistig wirklich gefördert hat, mag dahingestellt bleiben. Weil aber durch den
Einbruch der gepriesenen modernen Bildung in das Gehege des bäuerlichen
Haus- und Familienlebens dies selbst großenteils umgemodelt wurde, und wahr¬
scheinlich schon gegenwärtig kaum noch Anklänge daran oder schwache Umrisse
davon vorhanden sind, dürfte es manchem interessant sei", etwas näheres dar¬
über zu erfahren. Mit dem Untergange alter, von vielen Geschlechtern heilig
geachteter Sitten geht immer ein Bestandteil der Volksseele mit verloren. Es
ist eine Art Totschlag, welche der grausame Gott der Zeit an dem innersten
Gemüts- und Geistesleben des Volkes begeht.

Es muß zunächst scharf betont werden, daß das Gehöft jedes Voll- oder
Dvppelhnfners eine in sich fest geschlossene Familie beherbergte. Zu dieser
Familie gehörte auch das gesamte "Gesinde," d. h. alle Knechte und Mügde,
welche im Dienste des Bauern standen. Inmitten dieses häufig sehr zahlreiche"
Kreises herrschte der Bauer unumschränkt als gebietender Herr, aber in durch¬
aus patriarchalischer Weise. Sein Wille war Gesetz für alle, die mit ihm unter
seinem Dache wohnten, für Weib und Kind, für Knechte und Mägde. Was er
gebot, mußte ohne Widerrede, ohne jede Bekrittelung geschehen, denn weil er der
Gebieter war, mußte ihm auch die Einsicht innewohnen.

Im vollen Bewußtsein seiner Würde und der Verantwortung, die auf ihm
ruhte, kam ein Mißbrauch der Macht nur äußerst selten vor. Das Verhältnis
zwischen dem Herrn, dessen Familie und dem Gesinde gründete sich auf gegen-


Jugenderinnerungen.

So wurde ich denn in sehr jugendlichem Alter mit allen Arbeiten, wie sie
in ländlichen Wirtschaften im Laufe des Jahres vorkommen, vollkommen ver¬
traut. Es würde mir sogar nicht schwer geworden sein, sie anzuordnen, denn
man brauchte dabei nach damals landesüblicher Gewohnheit nur eine unwandelbar
feststehende Regel zu befolgen.

Der häufige Aufenthalt im Hause des Gerichtsmannes David Förster
weihte mich auch vollkommen in die Sitten und Gebräuche ein, nach denen sich
in den ersten Jahrzehnten des neunzehnten Jahrhunderts das Leben des Ober-
lausitzischen Bauern ordnete. Die großen Fortschritte der neuern Zeit und die
Umwandlungen, welche infolge derselben auch das uralte und sehr fest gefügte
Herkommen bei dem Bauer erlitt, hat auch diese Gebräuche teils stark umge¬
modelt und verwischt, teils gänzlich ausgetilgt. Durch die Verhältnisse ge¬
zwungen, trat der Bauer oft widerstrebend und grollend in die magischen
Kreise, welche die alles abschleifende Kultur um ihn zog. Er ward, ohne es
zu wünschen und fast ohne es zu ahnen, taumelnd mitten in die Welt der Bil¬
dung, wie die Zeit sie heischte, hineingerissen und ging dabei der alten, ehr¬
würdigen Einfachheit, der heilig gehaltenen, seinen Naturanlagen und Bedürf¬
nissen genau entsprechenden Gewohnheiten und Sitten großenteils verlustig.
Ob diese reißend schnelle Wandlung, die sich in auffallend kurzer Zeit vollzog,
dem Bauernstande im allgemeinen zum Vorteil gereichte, ob sie ihn sittlich und
geistig wirklich gefördert hat, mag dahingestellt bleiben. Weil aber durch den
Einbruch der gepriesenen modernen Bildung in das Gehege des bäuerlichen
Haus- und Familienlebens dies selbst großenteils umgemodelt wurde, und wahr¬
scheinlich schon gegenwärtig kaum noch Anklänge daran oder schwache Umrisse
davon vorhanden sind, dürfte es manchem interessant sei», etwas näheres dar¬
über zu erfahren. Mit dem Untergange alter, von vielen Geschlechtern heilig
geachteter Sitten geht immer ein Bestandteil der Volksseele mit verloren. Es
ist eine Art Totschlag, welche der grausame Gott der Zeit an dem innersten
Gemüts- und Geistesleben des Volkes begeht.

Es muß zunächst scharf betont werden, daß das Gehöft jedes Voll- oder
Dvppelhnfners eine in sich fest geschlossene Familie beherbergte. Zu dieser
Familie gehörte auch das gesamte „Gesinde," d. h. alle Knechte und Mügde,
welche im Dienste des Bauern standen. Inmitten dieses häufig sehr zahlreiche»
Kreises herrschte der Bauer unumschränkt als gebietender Herr, aber in durch¬
aus patriarchalischer Weise. Sein Wille war Gesetz für alle, die mit ihm unter
seinem Dache wohnten, für Weib und Kind, für Knechte und Mägde. Was er
gebot, mußte ohne Widerrede, ohne jede Bekrittelung geschehen, denn weil er der
Gebieter war, mußte ihm auch die Einsicht innewohnen.

Im vollen Bewußtsein seiner Würde und der Verantwortung, die auf ihm
ruhte, kam ein Mißbrauch der Macht nur äußerst selten vor. Das Verhältnis
zwischen dem Herrn, dessen Familie und dem Gesinde gründete sich auf gegen-


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[0455] Jugenderinnerungen. So wurde ich denn in sehr jugendlichem Alter mit allen Arbeiten, wie sie in ländlichen Wirtschaften im Laufe des Jahres vorkommen, vollkommen ver¬ traut. Es würde mir sogar nicht schwer geworden sein, sie anzuordnen, denn man brauchte dabei nach damals landesüblicher Gewohnheit nur eine unwandelbar feststehende Regel zu befolgen. Der häufige Aufenthalt im Hause des Gerichtsmannes David Förster weihte mich auch vollkommen in die Sitten und Gebräuche ein, nach denen sich in den ersten Jahrzehnten des neunzehnten Jahrhunderts das Leben des Ober- lausitzischen Bauern ordnete. Die großen Fortschritte der neuern Zeit und die Umwandlungen, welche infolge derselben auch das uralte und sehr fest gefügte Herkommen bei dem Bauer erlitt, hat auch diese Gebräuche teils stark umge¬ modelt und verwischt, teils gänzlich ausgetilgt. Durch die Verhältnisse ge¬ zwungen, trat der Bauer oft widerstrebend und grollend in die magischen Kreise, welche die alles abschleifende Kultur um ihn zog. Er ward, ohne es zu wünschen und fast ohne es zu ahnen, taumelnd mitten in die Welt der Bil¬ dung, wie die Zeit sie heischte, hineingerissen und ging dabei der alten, ehr¬ würdigen Einfachheit, der heilig gehaltenen, seinen Naturanlagen und Bedürf¬ nissen genau entsprechenden Gewohnheiten und Sitten großenteils verlustig. Ob diese reißend schnelle Wandlung, die sich in auffallend kurzer Zeit vollzog, dem Bauernstande im allgemeinen zum Vorteil gereichte, ob sie ihn sittlich und geistig wirklich gefördert hat, mag dahingestellt bleiben. Weil aber durch den Einbruch der gepriesenen modernen Bildung in das Gehege des bäuerlichen Haus- und Familienlebens dies selbst großenteils umgemodelt wurde, und wahr¬ scheinlich schon gegenwärtig kaum noch Anklänge daran oder schwache Umrisse davon vorhanden sind, dürfte es manchem interessant sei», etwas näheres dar¬ über zu erfahren. Mit dem Untergange alter, von vielen Geschlechtern heilig geachteter Sitten geht immer ein Bestandteil der Volksseele mit verloren. Es ist eine Art Totschlag, welche der grausame Gott der Zeit an dem innersten Gemüts- und Geistesleben des Volkes begeht. Es muß zunächst scharf betont werden, daß das Gehöft jedes Voll- oder Dvppelhnfners eine in sich fest geschlossene Familie beherbergte. Zu dieser Familie gehörte auch das gesamte „Gesinde," d. h. alle Knechte und Mügde, welche im Dienste des Bauern standen. Inmitten dieses häufig sehr zahlreiche» Kreises herrschte der Bauer unumschränkt als gebietender Herr, aber in durch¬ aus patriarchalischer Weise. Sein Wille war Gesetz für alle, die mit ihm unter seinem Dache wohnten, für Weib und Kind, für Knechte und Mägde. Was er gebot, mußte ohne Widerrede, ohne jede Bekrittelung geschehen, denn weil er der Gebieter war, mußte ihm auch die Einsicht innewohnen. Im vollen Bewußtsein seiner Würde und der Verantwortung, die auf ihm ruhte, kam ein Mißbrauch der Macht nur äußerst selten vor. Das Verhältnis zwischen dem Herrn, dessen Familie und dem Gesinde gründete sich auf gegen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/455>, abgerufen am 19.05.2024.