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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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einen Krieg, dem England nicht gleichgiltig zusehen könnte, ohne sein eigenstes
Interesse aufs schwerste zu gefährden. Es bedarf daher an der Spitze seiner
Angelegenheiten nicht bloß staatskluger und thatkräftiger Minister, sondern
leitender Staatsmänner, die stark sind durch die Unterstützung eines vollkommen
einigen Kabinets, einer harmonisch gestimmten Partei und einer öffentlichen
Meinung, die in allem, worauf es zunächst ankommt, fest zu ihnen steht. Statt
dessen haben wir bis auf weiteres in London ein Ministerium vor uns, welches
schon bei seinem Amtsantritte nicht stark war, weil es im Unterhause nicht über
eine Parteimehrhcit gebot, und welches nunmehr eines seiner angesehensten Mit¬
glieder, dasjenige verloren hat, welches ihm in seiner Eigenschaft als Tory
mit liberalen und felbst radikalen Neigungen den guten Willen und den Bei¬
stand eines großen Teiles der übrigen Parteien vermittelte. Es steht, wenn es
sich nicht passend ergänzen kann, vermehrtem Risiko in den Kreisen der aus¬
wärtige" Politik und einer schwerer gewordnen Aufgabe im Bereiche der innern
mit verminderten Kräften und unter ungünstigern Aspekten gegenüber. Wenn
es darüber zu Falle kommt und Gladstone wieder zur Leitung der Geschäfte
gelangt, so wird die Selbstsucht und der Eigensinn Churchills dafür verant¬
wortlich zu machen sein.

Von den Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm und den übrigen Ministern,
welche schließlich seinen Rücktritt zur Folge hatten, werden vorzüglich zwei ge¬
nannt. Der eine betrifft die Forderungen für die Verstärkung des Heeres und
der Flotte, welche Churchill beschränkt wissen wollte, der andre die beabsichtigte
neue Ordnung der Selbstverwaltung in den Grafschaften und Gemeinden Eng-
lands und Schottlands. Hinsichtlich des erster" Punkes ist zu bemerken, daß
England dringend der Befestigung der Kohlenstationen für seine Kriegsschiffe
und ebenso dringend der Beschaffung besserer Gewehre für seine Infanterie
bedarf, und daß es viel reicher als seine Nachbarn und Nebenbuhler ist, welche
in den letzten Jahren weit höhere Summen für militärische Zwecke verwendeten.
Sparsamkeit in diesen Dingen war der stete Ruf Cobdens, der immer wieder¬
holte, das gesamte Budget Großbritanniens dürfe von Rechtswegen fünfzig
Millionen Pfund nicht übersteigen, und der Kriegsminister und sein Kollege vom
Marinedcpartement "müßten sich den Rock nach dem ihnen bewilligten Stück
Tuch zuschneiden." Man versuchte es mit seinem Plane von 1832 bis 1854,
und der Erfolg war die geradezu erbärmliche Art, in welcher das englische Heer
sich am Krimkriege beteiligte. Wenn Churchill also jetzt in die Fußtapfen
Cobdens getreten ist, so hat er damit bewiesen, daß er ein Staatsmann ohne
Gedächtnis und ohne Augen für eine nahe Zukunft ist. In Bezug auf den
zweiten Puukt hat das Ministerium Salisbury die Absicht, die Mitglieder der
neuen Verwaltungsbehörden nur zum Teil unmittelbar aus der Wahl der
Steuerzahler hervorgehen zu lassen, die übrigen sollen aus Richtern, welche die
Regierung ernennt, und ans schon vorhandenen Beamten bestehen. Churchill


einen Krieg, dem England nicht gleichgiltig zusehen könnte, ohne sein eigenstes
Interesse aufs schwerste zu gefährden. Es bedarf daher an der Spitze seiner
Angelegenheiten nicht bloß staatskluger und thatkräftiger Minister, sondern
leitender Staatsmänner, die stark sind durch die Unterstützung eines vollkommen
einigen Kabinets, einer harmonisch gestimmten Partei und einer öffentlichen
Meinung, die in allem, worauf es zunächst ankommt, fest zu ihnen steht. Statt
dessen haben wir bis auf weiteres in London ein Ministerium vor uns, welches
schon bei seinem Amtsantritte nicht stark war, weil es im Unterhause nicht über
eine Parteimehrhcit gebot, und welches nunmehr eines seiner angesehensten Mit¬
glieder, dasjenige verloren hat, welches ihm in seiner Eigenschaft als Tory
mit liberalen und felbst radikalen Neigungen den guten Willen und den Bei¬
stand eines großen Teiles der übrigen Parteien vermittelte. Es steht, wenn es
sich nicht passend ergänzen kann, vermehrtem Risiko in den Kreisen der aus¬
wärtige» Politik und einer schwerer gewordnen Aufgabe im Bereiche der innern
mit verminderten Kräften und unter ungünstigern Aspekten gegenüber. Wenn
es darüber zu Falle kommt und Gladstone wieder zur Leitung der Geschäfte
gelangt, so wird die Selbstsucht und der Eigensinn Churchills dafür verant¬
wortlich zu machen sein.

Von den Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm und den übrigen Ministern,
welche schließlich seinen Rücktritt zur Folge hatten, werden vorzüglich zwei ge¬
nannt. Der eine betrifft die Forderungen für die Verstärkung des Heeres und
der Flotte, welche Churchill beschränkt wissen wollte, der andre die beabsichtigte
neue Ordnung der Selbstverwaltung in den Grafschaften und Gemeinden Eng-
lands und Schottlands. Hinsichtlich des erster» Punkes ist zu bemerken, daß
England dringend der Befestigung der Kohlenstationen für seine Kriegsschiffe
und ebenso dringend der Beschaffung besserer Gewehre für seine Infanterie
bedarf, und daß es viel reicher als seine Nachbarn und Nebenbuhler ist, welche
in den letzten Jahren weit höhere Summen für militärische Zwecke verwendeten.
Sparsamkeit in diesen Dingen war der stete Ruf Cobdens, der immer wieder¬
holte, das gesamte Budget Großbritanniens dürfe von Rechtswegen fünfzig
Millionen Pfund nicht übersteigen, und der Kriegsminister und sein Kollege vom
Marinedcpartement „müßten sich den Rock nach dem ihnen bewilligten Stück
Tuch zuschneiden." Man versuchte es mit seinem Plane von 1832 bis 1854,
und der Erfolg war die geradezu erbärmliche Art, in welcher das englische Heer
sich am Krimkriege beteiligte. Wenn Churchill also jetzt in die Fußtapfen
Cobdens getreten ist, so hat er damit bewiesen, daß er ein Staatsmann ohne
Gedächtnis und ohne Augen für eine nahe Zukunft ist. In Bezug auf den
zweiten Puukt hat das Ministerium Salisbury die Absicht, die Mitglieder der
neuen Verwaltungsbehörden nur zum Teil unmittelbar aus der Wahl der
Steuerzahler hervorgehen zu lassen, die übrigen sollen aus Richtern, welche die
Regierung ernennt, und ans schon vorhandenen Beamten bestehen. Churchill


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/58>, abgerufen am 27.05.2024.