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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Gyinnasialunterricht und Fachbildung.

Interessen für die Rücksichten des gemeinen Broterwerbes. Durch den ökonomischen
Geist, welcher die Blicke der Jugend ans ein Materielles und nahes beschränkte,
erklärte Jacobs, werden "die Gemüter herabgezogen, die Einbildungskraft erstickt,
und das Götzenbild des Vorteils auf den Altar der Tugend erhoben." Und
Wolf faßt die Bedeutung der Philologie und ihrer erziehlichen Kraft in dem
Ausspruch zusammen: "Niemand, der unsre Studien ein wenig kennt, wird
glauben, daß das, was durch historische Untersuchungen des Altertums und dnrch
Bekanntschaft mit den Sprachen und den unsterblichen Werken desselben zur
harmonischen Ausbildung des Geistes und Gemüts gewonnen wird, ebenso voll¬
kommen auf irgend einem andern Wege könne erreicht werden."

Ich habe hier einige der bedeutendsten Philologen jener Zeit nur angeführt,
um die Geistesrichtung zu veranschaulichen, welche die Begründung des heutigen
Schulwesens damals so wesentlich beeinflußt hat. Die Zeit der praktischen Verwen-
dung jener Gedanken begann in Preußen mit der Einführung des Normallehrplans
vom Jahre 1816, der so umfassend angelegt war, daß die Forderungen selbst von
Wolf als übertrieben bezeichnet wurden. Die Verordnungen über die Lehrer¬
prüfung von 1810. die Reifeprüfung von 1812 bilden im Vereine mit den Fest¬
setzungen des Lehrplans die Grundlagen des heutigen preußischen Gymnasial¬
unterrichtes. Die Abänderungen, die er später nach dem Eintritt Schutzes in
das Kultusministerium erfuhr und die in verschiednen Verordnungen der dreißiger
Jahre zum Ausdruck gelangten, betrafen nicht das einmal angenommene System,
sondern enthielten Einzclbestimmnngen, die den Grundgedanken nur noch mehr
befestigte". Wie fest mau in Regierungskrisen von der Vorzüglichkeit der ge¬
troffenen Einrichtungen überzeugt war, beweist recht deutlich ein Rundschreiben
vom Oktober 1837, welches den Abschluß der damaligen Schulgesetzgebung bildet.
Dasselbe war hauptsächlich durch die vou einem Arzt erhobene Anklage veran¬
laßt, daß der Gymnasialunterricht durch zu hochgespannte Anforderungen die
geistige und leibliche Gesundheit der Schüler untergrabe. Die Klage der Über¬
bürdung ist also nicht neu, und wir können annehmen, daß der Druck schon
lange vor dem Zeitpunkte empfunden wurde, an welchem die Kritik den Weg
der Öffentlichkeit betrat. Das Ministerialschreiben lehnte die Einmischung nicht-
berufener Stimmen ab, erklärte die bestehenden Zustände für vernünftig und
notwendig und bemerkte, daß die festgesetzten Lehrgegenstände, und zwar in der
ordnungsmäßigen, dem jugendlichen Alter angemessenen Stufenfolge und in dem
Verhältnis, worin sie in den verschiednen Klassen gelehrt würden, die Grund¬
lage jeder höhern Bildung ausmachten. "Die Erfahrung von Jahrhunderten
und das Urteil der Sachverständigen, auf deren Stimme ein vvrzttgliches Ge¬
wicht gelegt werden muß, spricht dafür, daß gerade diese Lehrgegenstände vor¬
züglich geeignet sind, um durch sie und an ihnen alle geistigen Kräfte zu wecken,
zu entwickeln, zu stärken und der Jugend zu einem gründlichen und gedeihlichen
Studium der Wissenschaften die erforderliche, nicht bloß formelle, sondern auch


Gyinnasialunterricht und Fachbildung.

Interessen für die Rücksichten des gemeinen Broterwerbes. Durch den ökonomischen
Geist, welcher die Blicke der Jugend ans ein Materielles und nahes beschränkte,
erklärte Jacobs, werden „die Gemüter herabgezogen, die Einbildungskraft erstickt,
und das Götzenbild des Vorteils auf den Altar der Tugend erhoben." Und
Wolf faßt die Bedeutung der Philologie und ihrer erziehlichen Kraft in dem
Ausspruch zusammen: „Niemand, der unsre Studien ein wenig kennt, wird
glauben, daß das, was durch historische Untersuchungen des Altertums und dnrch
Bekanntschaft mit den Sprachen und den unsterblichen Werken desselben zur
harmonischen Ausbildung des Geistes und Gemüts gewonnen wird, ebenso voll¬
kommen auf irgend einem andern Wege könne erreicht werden."

Ich habe hier einige der bedeutendsten Philologen jener Zeit nur angeführt,
um die Geistesrichtung zu veranschaulichen, welche die Begründung des heutigen
Schulwesens damals so wesentlich beeinflußt hat. Die Zeit der praktischen Verwen-
dung jener Gedanken begann in Preußen mit der Einführung des Normallehrplans
vom Jahre 1816, der so umfassend angelegt war, daß die Forderungen selbst von
Wolf als übertrieben bezeichnet wurden. Die Verordnungen über die Lehrer¬
prüfung von 1810. die Reifeprüfung von 1812 bilden im Vereine mit den Fest¬
setzungen des Lehrplans die Grundlagen des heutigen preußischen Gymnasial¬
unterrichtes. Die Abänderungen, die er später nach dem Eintritt Schutzes in
das Kultusministerium erfuhr und die in verschiednen Verordnungen der dreißiger
Jahre zum Ausdruck gelangten, betrafen nicht das einmal angenommene System,
sondern enthielten Einzclbestimmnngen, die den Grundgedanken nur noch mehr
befestigte». Wie fest mau in Regierungskrisen von der Vorzüglichkeit der ge¬
troffenen Einrichtungen überzeugt war, beweist recht deutlich ein Rundschreiben
vom Oktober 1837, welches den Abschluß der damaligen Schulgesetzgebung bildet.
Dasselbe war hauptsächlich durch die vou einem Arzt erhobene Anklage veran¬
laßt, daß der Gymnasialunterricht durch zu hochgespannte Anforderungen die
geistige und leibliche Gesundheit der Schüler untergrabe. Die Klage der Über¬
bürdung ist also nicht neu, und wir können annehmen, daß der Druck schon
lange vor dem Zeitpunkte empfunden wurde, an welchem die Kritik den Weg
der Öffentlichkeit betrat. Das Ministerialschreiben lehnte die Einmischung nicht-
berufener Stimmen ab, erklärte die bestehenden Zustände für vernünftig und
notwendig und bemerkte, daß die festgesetzten Lehrgegenstände, und zwar in der
ordnungsmäßigen, dem jugendlichen Alter angemessenen Stufenfolge und in dem
Verhältnis, worin sie in den verschiednen Klassen gelehrt würden, die Grund¬
lage jeder höhern Bildung ausmachten. „Die Erfahrung von Jahrhunderten
und das Urteil der Sachverständigen, auf deren Stimme ein vvrzttgliches Ge¬
wicht gelegt werden muß, spricht dafür, daß gerade diese Lehrgegenstände vor¬
züglich geeignet sind, um durch sie und an ihnen alle geistigen Kräfte zu wecken,
zu entwickeln, zu stärken und der Jugend zu einem gründlichen und gedeihlichen
Studium der Wissenschaften die erforderliche, nicht bloß formelle, sondern auch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/80>, abgerufen am 10.06.2024.