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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Der Fremde in Rif.

nach ihm Herjulf in Grönland ansiedelten, und wie Bjarne Herjulfsön, der im
Nebel vom Nordwind verschlagen wurde, im Süden ein neues, unbekanntes
Land liegen sah. Aber ihm war es nicht vergönnt, seinen Fuß auf das Land
zu setzen, fuhr Thorbjörn fort, sondern erst Leif, den man den Glücklichen
nannte, mein Stammvater, fuhr mit einem Schiffe, das er dem Bjarne abge¬
kauft hatte, gen Süden, um die neuen Länder zu suchen -- und er fand sie.
Er gab ihnen den Namen "Vinland."

Mit einer Ausführlichkeit, welche zeigte, daß er fast jedes Wort auswendig
wußte, das in den Sagen von Erik dem Roten und Torfin Karlsconcs stand,
und mit einer Begeisterung, als habe er selber das alles gesehen, schilderte er
nun dies herrliche Land, wo der Lachs in jedem Bächlein springe, wo üppiger
Weizen die Ebenen bedecke, wo sich die Weinranken in ungeahnter Fülle um die
Bäume der Haine schlängen.

Es klingt fast unglaublich, meinte der Fremde, aber wie Ihr berichtet,
muß ja jeder Zweifel schwinden! So war es also doch kein Märchen, wenn
man erzählte, daß die Bewohner des höchsten Nordens mehr wüßten als andre
Menschen!

Sie gingen eine Weile schweigend neben einander her, dann begann Sir
Dove von neuem: Eins nur kann ich nicht verstehen: Wie ist es möglich, daß
sich ein Volk solch ein Land entgehen lassen kann, nachdem es dasselbe einmal
gefunden!

Wie das möglich ist? wiederholte Thorbjörn. Bei einem Volke wie das
unsre ist alles möglich! Hat es sich doch, nachdem es Jahrhunderte lang ein
selbständiges, ruhmreiches Leben geführt, ruhig darein gefunden, einem fremden
König zu gehorchen, läßt es sich doch jetzt von jedem ausländischen Schiffer
mißhandeln! Nein, hier ist niemand mehr, der von großen Thaten träumte!

Niemand? fragte der Fremde und sah Thorbjörn fragend an.

Ihr lest in meinem Herzen! erwiederte dieser, und warum sollte ich es
auch leugnen? Freilich habe ich mein Leben lang nur an dies Land gedacht,
das dort im Westen liegt. Ich habe von nichts anderm geträumt! Unzählige
male habe ich am Meeresstrande gesessen und auf das Meer hinaus gestarrt,
habe die Sonne am westlichen Horizont versinken sehen und daran gedacht, daß
sie jetzt das Land meiner Väter bescheine, mein Erbland, das meiner harre,
das ich aber nie erreichen würde. Wohl hundert male wandelte ich im Traum
an dem weißen Strande, wo der klare Bach durch den Wald rieselt, und wo
einst Leif gestanden -- was aber nützen Träume und Gedanken: ich besaß
weder ein Schiff, noch hatte ich Geld oder Gut, und ohne das gelangt man
nimmer übers Meer!

Was würdet Ihr wohl sagen, wenn ich Euch zu einem Schiff und zu
Mannschaft verhälfe? fragte der Fremde.

Thorbjörn schaute starr zu ihm auf, dann sagte er: Ihr spottet meiner!


Der Fremde in Rif.

nach ihm Herjulf in Grönland ansiedelten, und wie Bjarne Herjulfsön, der im
Nebel vom Nordwind verschlagen wurde, im Süden ein neues, unbekanntes
Land liegen sah. Aber ihm war es nicht vergönnt, seinen Fuß auf das Land
zu setzen, fuhr Thorbjörn fort, sondern erst Leif, den man den Glücklichen
nannte, mein Stammvater, fuhr mit einem Schiffe, das er dem Bjarne abge¬
kauft hatte, gen Süden, um die neuen Länder zu suchen — und er fand sie.
Er gab ihnen den Namen „Vinland."

Mit einer Ausführlichkeit, welche zeigte, daß er fast jedes Wort auswendig
wußte, das in den Sagen von Erik dem Roten und Torfin Karlsconcs stand,
und mit einer Begeisterung, als habe er selber das alles gesehen, schilderte er
nun dies herrliche Land, wo der Lachs in jedem Bächlein springe, wo üppiger
Weizen die Ebenen bedecke, wo sich die Weinranken in ungeahnter Fülle um die
Bäume der Haine schlängen.

Es klingt fast unglaublich, meinte der Fremde, aber wie Ihr berichtet,
muß ja jeder Zweifel schwinden! So war es also doch kein Märchen, wenn
man erzählte, daß die Bewohner des höchsten Nordens mehr wüßten als andre
Menschen!

Sie gingen eine Weile schweigend neben einander her, dann begann Sir
Dove von neuem: Eins nur kann ich nicht verstehen: Wie ist es möglich, daß
sich ein Volk solch ein Land entgehen lassen kann, nachdem es dasselbe einmal
gefunden!

Wie das möglich ist? wiederholte Thorbjörn. Bei einem Volke wie das
unsre ist alles möglich! Hat es sich doch, nachdem es Jahrhunderte lang ein
selbständiges, ruhmreiches Leben geführt, ruhig darein gefunden, einem fremden
König zu gehorchen, läßt es sich doch jetzt von jedem ausländischen Schiffer
mißhandeln! Nein, hier ist niemand mehr, der von großen Thaten träumte!

Niemand? fragte der Fremde und sah Thorbjörn fragend an.

Ihr lest in meinem Herzen! erwiederte dieser, und warum sollte ich es
auch leugnen? Freilich habe ich mein Leben lang nur an dies Land gedacht,
das dort im Westen liegt. Ich habe von nichts anderm geträumt! Unzählige
male habe ich am Meeresstrande gesessen und auf das Meer hinaus gestarrt,
habe die Sonne am westlichen Horizont versinken sehen und daran gedacht, daß
sie jetzt das Land meiner Väter bescheine, mein Erbland, das meiner harre,
das ich aber nie erreichen würde. Wohl hundert male wandelte ich im Traum
an dem weißen Strande, wo der klare Bach durch den Wald rieselt, und wo
einst Leif gestanden — was aber nützen Träume und Gedanken: ich besaß
weder ein Schiff, noch hatte ich Geld oder Gut, und ohne das gelangt man
nimmer übers Meer!

Was würdet Ihr wohl sagen, wenn ich Euch zu einem Schiff und zu
Mannschaft verhälfe? fragte der Fremde.

Thorbjörn schaute starr zu ihm auf, dann sagte er: Ihr spottet meiner!


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[0103] Der Fremde in Rif. nach ihm Herjulf in Grönland ansiedelten, und wie Bjarne Herjulfsön, der im Nebel vom Nordwind verschlagen wurde, im Süden ein neues, unbekanntes Land liegen sah. Aber ihm war es nicht vergönnt, seinen Fuß auf das Land zu setzen, fuhr Thorbjörn fort, sondern erst Leif, den man den Glücklichen nannte, mein Stammvater, fuhr mit einem Schiffe, das er dem Bjarne abge¬ kauft hatte, gen Süden, um die neuen Länder zu suchen — und er fand sie. Er gab ihnen den Namen „Vinland." Mit einer Ausführlichkeit, welche zeigte, daß er fast jedes Wort auswendig wußte, das in den Sagen von Erik dem Roten und Torfin Karlsconcs stand, und mit einer Begeisterung, als habe er selber das alles gesehen, schilderte er nun dies herrliche Land, wo der Lachs in jedem Bächlein springe, wo üppiger Weizen die Ebenen bedecke, wo sich die Weinranken in ungeahnter Fülle um die Bäume der Haine schlängen. Es klingt fast unglaublich, meinte der Fremde, aber wie Ihr berichtet, muß ja jeder Zweifel schwinden! So war es also doch kein Märchen, wenn man erzählte, daß die Bewohner des höchsten Nordens mehr wüßten als andre Menschen! Sie gingen eine Weile schweigend neben einander her, dann begann Sir Dove von neuem: Eins nur kann ich nicht verstehen: Wie ist es möglich, daß sich ein Volk solch ein Land entgehen lassen kann, nachdem es dasselbe einmal gefunden! Wie das möglich ist? wiederholte Thorbjörn. Bei einem Volke wie das unsre ist alles möglich! Hat es sich doch, nachdem es Jahrhunderte lang ein selbständiges, ruhmreiches Leben geführt, ruhig darein gefunden, einem fremden König zu gehorchen, läßt es sich doch jetzt von jedem ausländischen Schiffer mißhandeln! Nein, hier ist niemand mehr, der von großen Thaten träumte! Niemand? fragte der Fremde und sah Thorbjörn fragend an. Ihr lest in meinem Herzen! erwiederte dieser, und warum sollte ich es auch leugnen? Freilich habe ich mein Leben lang nur an dies Land gedacht, das dort im Westen liegt. Ich habe von nichts anderm geträumt! Unzählige male habe ich am Meeresstrande gesessen und auf das Meer hinaus gestarrt, habe die Sonne am westlichen Horizont versinken sehen und daran gedacht, daß sie jetzt das Land meiner Väter bescheine, mein Erbland, das meiner harre, das ich aber nie erreichen würde. Wohl hundert male wandelte ich im Traum an dem weißen Strande, wo der klare Bach durch den Wald rieselt, und wo einst Leif gestanden — was aber nützen Träume und Gedanken: ich besaß weder ein Schiff, noch hatte ich Geld oder Gut, und ohne das gelangt man nimmer übers Meer! Was würdet Ihr wohl sagen, wenn ich Euch zu einem Schiff und zu Mannschaft verhälfe? fragte der Fremde. Thorbjörn schaute starr zu ihm auf, dann sagte er: Ihr spottet meiner!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/103>, abgerufen am 30.05.2024.