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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Der Fremde in Rif.

Plötzlich wurde er durch ein platschendes Geräusch aus seinen Träumen
erweckt: es war Thvrbjörns Leiche, die von den Engländern den Wogen über¬
geben ward. Er fuhr zusammen, eine Thrüne entrollte seinem Auge, und tief¬
traurig murmelte er vor sich hin: Das also war sein Los -- wer weiß, ob
mir ein besseres beschieden ist. Gleich darauf aber erhob er das Haupt und
sprach in die Nacht hinaus: Jetzt bin ich sein Erbe! Wohlan, ich will ver¬
suchen, den Schatz zu heben, den er mir hinterlassen hat!

Richard Burlington steuerte ostwärts, und nachdem er einen Monat mit
widrigen Winden gekämpft hatte, landete er endlich in Bristol, wo ihn der
Fremde verließ. Der Schiffer aber kehrte nie wieder nach Island zurück, weil
er fürchtete, daß man Rache an ihm und seinen Leuten nehmen würde, sobald
es ruchbar geworden wäre, daß Thorbjöru gewaltsam ums Leben gekommen war.

Daheim in Rif und auf Jngjaldshol sprach man wohl eine Weile über
Thorbjörns rätselhaftes Verschwinden, als aber der Herbst kam, ohne daß er
zurückkehrte, vergaß man ihn. Nur einer vergaß ihn nicht, und das war Sira
John. Er wanderte im Sommer Tag für Tag an der Küste entlang und fragte,
ob das englische Schiff noch nicht in Sicht sei, und mit jedem male, daß er
in seiner Hoffnung getäuscht heimkehrte, ward er schwermütiger und gram¬
voller.

Nun war es öde und einsam bei ihm, und die Winterabende wurden ihm
endlos lang. Aber trotz seines Kummers lebte er noch ein ganzes Menschen¬
alter nach den hier mitgeteilten Begebenheiten. Er war ein hochbejahrter
Greis, als die Kunde nach Island drang, daß Christoph Columbus im fernen
Westen neue Lande entdeckt habe. Es war, als ob bei dieser Nachricht der Ge¬
danke an längst entschwundne Zeiten und ein Nest von Jugend wieder in dem
Alten auflebte, er erinnerte sich wieder der Frühlingszeit, die der Fremde bei
ihm verlebt hatte, und der Gespräche, die damals geführt worden waren. Er
holte noch einmal den Abschiedsgruß des Fremden hervor und las nochmals
die wohlbekannten Worte; aber er kam nicht auf den Gedanken, die mystische
Unterschrift des Briefes C C mit dem Namen des großen Entdeckers, der jetzt
auf aller Lippen war, in Verbindung zu bringen. Er konnte ja so wenig wie
irgend ein andrer ahnen, daß der Süden der Spur des Nordens gefolgt war,
daß der spanische Großadmiral Thorbjörns Erbe angetreten hatte.




In der Lebensbeschreibung des Columbus, die sein Sohn Fernando ge¬
schrieben hat, führt dieser die eignen Worte des Vaters an, die dessen nordische
Reise betreffen und ans denen hervorgeht, daß Columbus im Februar 1477
die "Jusel Tile" (Thule) besucht hat, deren südliche Spitze ungefähr 73 Grade
nördlich vom Äquator lag und weit westlicher, als Ptvlemüus die Lage der¬
selben angiebt.


Der Fremde in Rif.

Plötzlich wurde er durch ein platschendes Geräusch aus seinen Träumen
erweckt: es war Thvrbjörns Leiche, die von den Engländern den Wogen über¬
geben ward. Er fuhr zusammen, eine Thrüne entrollte seinem Auge, und tief¬
traurig murmelte er vor sich hin: Das also war sein Los — wer weiß, ob
mir ein besseres beschieden ist. Gleich darauf aber erhob er das Haupt und
sprach in die Nacht hinaus: Jetzt bin ich sein Erbe! Wohlan, ich will ver¬
suchen, den Schatz zu heben, den er mir hinterlassen hat!

Richard Burlington steuerte ostwärts, und nachdem er einen Monat mit
widrigen Winden gekämpft hatte, landete er endlich in Bristol, wo ihn der
Fremde verließ. Der Schiffer aber kehrte nie wieder nach Island zurück, weil
er fürchtete, daß man Rache an ihm und seinen Leuten nehmen würde, sobald
es ruchbar geworden wäre, daß Thorbjöru gewaltsam ums Leben gekommen war.

Daheim in Rif und auf Jngjaldshol sprach man wohl eine Weile über
Thorbjörns rätselhaftes Verschwinden, als aber der Herbst kam, ohne daß er
zurückkehrte, vergaß man ihn. Nur einer vergaß ihn nicht, und das war Sira
John. Er wanderte im Sommer Tag für Tag an der Küste entlang und fragte,
ob das englische Schiff noch nicht in Sicht sei, und mit jedem male, daß er
in seiner Hoffnung getäuscht heimkehrte, ward er schwermütiger und gram¬
voller.

Nun war es öde und einsam bei ihm, und die Winterabende wurden ihm
endlos lang. Aber trotz seines Kummers lebte er noch ein ganzes Menschen¬
alter nach den hier mitgeteilten Begebenheiten. Er war ein hochbejahrter
Greis, als die Kunde nach Island drang, daß Christoph Columbus im fernen
Westen neue Lande entdeckt habe. Es war, als ob bei dieser Nachricht der Ge¬
danke an längst entschwundne Zeiten und ein Nest von Jugend wieder in dem
Alten auflebte, er erinnerte sich wieder der Frühlingszeit, die der Fremde bei
ihm verlebt hatte, und der Gespräche, die damals geführt worden waren. Er
holte noch einmal den Abschiedsgruß des Fremden hervor und las nochmals
die wohlbekannten Worte; aber er kam nicht auf den Gedanken, die mystische
Unterschrift des Briefes C C mit dem Namen des großen Entdeckers, der jetzt
auf aller Lippen war, in Verbindung zu bringen. Er konnte ja so wenig wie
irgend ein andrer ahnen, daß der Süden der Spur des Nordens gefolgt war,
daß der spanische Großadmiral Thorbjörns Erbe angetreten hatte.




In der Lebensbeschreibung des Columbus, die sein Sohn Fernando ge¬
schrieben hat, führt dieser die eignen Worte des Vaters an, die dessen nordische
Reise betreffen und ans denen hervorgeht, daß Columbus im Februar 1477
die „Jusel Tile" (Thule) besucht hat, deren südliche Spitze ungefähr 73 Grade
nördlich vom Äquator lag und weit westlicher, als Ptvlemüus die Lage der¬
selben angiebt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/107>, abgerufen am 15.05.2024.