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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Die Opposition während des letzten WalMimpfes,

das Land in die tiefste Aufregung stürzten, ermutigten sie zugleich damit das
Anstand. Die beschleunigten Knegsrüstungeu der Franzosen folgten unmittelbar
dem Reichstagsbeschluß vom 14, Januar. Während Boulanger für seine Rüstungen
86 Millionen bereits ausgegeben hatte, die erst für das nächste Jahr gefordert
worden waren, und die französische Presse dies damit rechtfertigte, daß "dieser
Betrag in Erwartung anstandsloser Bewilligung ausgegeben sei," verlangte die
deutsche Opposition zur parlamentarischen Machtcrweiteruug die Nbschaffuug
des Septennats. Wenn nichts andres, so glaubten sie, wenigstens ein großer
Teil und die Führer derselben, daß damit die deutsche Uneinigkeit wachgerufen
werden könnte, dieses alte Unheil unsers Volkes, ans dessen Wiedererwachen
die Franzosen nur hoffen. Da fragte sich wohl mancher Vaterlandsfreund
besorgt: Wird unser Volk politisch so gereift sein, daß es die großen Er-
rungenschaften, die es mit Hilfe seiner Staatsmänner und Helden davon¬
getragen hat, auch festzuhalten versteht, wird es den vaterlandslosen Stören¬
frieden am 21. Februar die gebührende Autwort geben? Oder wird es von
dem Haffe der Feinde Bismarcks sich anstecken lassen und so dem Parteigeist
und der politischen Haltlosigkeit früherer Jahrhunderte verfallen?

In diesen Haß gegen Bismarck teilten sich auch jetzt, während der Zeit
des Wahlkampfes, Dcutschfreisinuige und Römlinge zu gleichen Teilen. Was
die letzteren angeht, so prophezeite der "Westfälische Merkur" die baldige schmäh¬
liche Niederlage Bismarcks und verglich ihn mit dem Usurpator Napoleon I.,
um zu weissagen, daß der Krug so lauge zum Brunnen gehe, bis er zerbricht.
Das katholisch-österreichische Blatt, "Das Vaterland," welches von einem kon-
vertirten, nach Österreich verpflanzten mecklenburgische" Edelmann, v. Vogelfang,
geleitet wird, war so aufrichtig oder auch so schamlos, frei zu bekennen, daß
man dem Zentrum in seinem Kampfe gegen die Militärvorlage der Regierung
beitreten müsse, nicht weil das Triennium für die Festsetzung der Friedensstärke
gegenüber dem Septcnnat das Nichtige wäre, sondern damit man gegenüber
der protestantischen Regierung in der dreijährigen Bewilligung immer ein "staat¬
liches Pfandobjckt" habe.

Empörend war es aber nun, zu sehen, wie Vonseiten der Mehrheit des
ausgelösten Reichstags alles aufgeboten wurde, um die Wähler über die Ziele
des Kampfes irre zu führen. Jedes Mittel war recht, das hierzu diente. Wenn
der welfische Mephisto deu Grafen Moltke als den in Anspruch uneben, der
selber auch für die regierungsfeindliche Mehrheit sei, so dürfte dann weiter auch
die Lüge schon so frech auftreten, daß die Fortschrittsblätter, wie z. B. die
"Siegener Zeitung," erklärten, die Mehrheit habe für die Regierungsvorlage "die
468 000 Maun auf drei Jahre" gestimmt, die Minderheit dagegen. Man
brauchte hierbei nur ein Komma nach "Mann" wegzulassen, so hatte man eine
Regierungsvorlage von "468 000 Mann auf drei Jahre." Aber was für
Wähler und mit welchem Verstände begabt setzten solche Blätter voraus! Der


Die Opposition während des letzten WalMimpfes,

das Land in die tiefste Aufregung stürzten, ermutigten sie zugleich damit das
Anstand. Die beschleunigten Knegsrüstungeu der Franzosen folgten unmittelbar
dem Reichstagsbeschluß vom 14, Januar. Während Boulanger für seine Rüstungen
86 Millionen bereits ausgegeben hatte, die erst für das nächste Jahr gefordert
worden waren, und die französische Presse dies damit rechtfertigte, daß „dieser
Betrag in Erwartung anstandsloser Bewilligung ausgegeben sei," verlangte die
deutsche Opposition zur parlamentarischen Machtcrweiteruug die Nbschaffuug
des Septennats. Wenn nichts andres, so glaubten sie, wenigstens ein großer
Teil und die Führer derselben, daß damit die deutsche Uneinigkeit wachgerufen
werden könnte, dieses alte Unheil unsers Volkes, ans dessen Wiedererwachen
die Franzosen nur hoffen. Da fragte sich wohl mancher Vaterlandsfreund
besorgt: Wird unser Volk politisch so gereift sein, daß es die großen Er-
rungenschaften, die es mit Hilfe seiner Staatsmänner und Helden davon¬
getragen hat, auch festzuhalten versteht, wird es den vaterlandslosen Stören¬
frieden am 21. Februar die gebührende Autwort geben? Oder wird es von
dem Haffe der Feinde Bismarcks sich anstecken lassen und so dem Parteigeist
und der politischen Haltlosigkeit früherer Jahrhunderte verfallen?

In diesen Haß gegen Bismarck teilten sich auch jetzt, während der Zeit
des Wahlkampfes, Dcutschfreisinuige und Römlinge zu gleichen Teilen. Was
die letzteren angeht, so prophezeite der „Westfälische Merkur" die baldige schmäh¬
liche Niederlage Bismarcks und verglich ihn mit dem Usurpator Napoleon I.,
um zu weissagen, daß der Krug so lauge zum Brunnen gehe, bis er zerbricht.
Das katholisch-österreichische Blatt, „Das Vaterland," welches von einem kon-
vertirten, nach Österreich verpflanzten mecklenburgische» Edelmann, v. Vogelfang,
geleitet wird, war so aufrichtig oder auch so schamlos, frei zu bekennen, daß
man dem Zentrum in seinem Kampfe gegen die Militärvorlage der Regierung
beitreten müsse, nicht weil das Triennium für die Festsetzung der Friedensstärke
gegenüber dem Septcnnat das Nichtige wäre, sondern damit man gegenüber
der protestantischen Regierung in der dreijährigen Bewilligung immer ein „staat¬
liches Pfandobjckt" habe.

Empörend war es aber nun, zu sehen, wie Vonseiten der Mehrheit des
ausgelösten Reichstags alles aufgeboten wurde, um die Wähler über die Ziele
des Kampfes irre zu führen. Jedes Mittel war recht, das hierzu diente. Wenn
der welfische Mephisto deu Grafen Moltke als den in Anspruch uneben, der
selber auch für die regierungsfeindliche Mehrheit sei, so dürfte dann weiter auch
die Lüge schon so frech auftreten, daß die Fortschrittsblätter, wie z. B. die
„Siegener Zeitung," erklärten, die Mehrheit habe für die Regierungsvorlage „die
468 000 Maun auf drei Jahre" gestimmt, die Minderheit dagegen. Man
brauchte hierbei nur ein Komma nach „Mann" wegzulassen, so hatte man eine
Regierungsvorlage von „468 000 Mann auf drei Jahre." Aber was für
Wähler und mit welchem Verstände begabt setzten solche Blätter voraus! Der


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[0114] Die Opposition während des letzten WalMimpfes, das Land in die tiefste Aufregung stürzten, ermutigten sie zugleich damit das Anstand. Die beschleunigten Knegsrüstungeu der Franzosen folgten unmittelbar dem Reichstagsbeschluß vom 14, Januar. Während Boulanger für seine Rüstungen 86 Millionen bereits ausgegeben hatte, die erst für das nächste Jahr gefordert worden waren, und die französische Presse dies damit rechtfertigte, daß „dieser Betrag in Erwartung anstandsloser Bewilligung ausgegeben sei," verlangte die deutsche Opposition zur parlamentarischen Machtcrweiteruug die Nbschaffuug des Septennats. Wenn nichts andres, so glaubten sie, wenigstens ein großer Teil und die Führer derselben, daß damit die deutsche Uneinigkeit wachgerufen werden könnte, dieses alte Unheil unsers Volkes, ans dessen Wiedererwachen die Franzosen nur hoffen. Da fragte sich wohl mancher Vaterlandsfreund besorgt: Wird unser Volk politisch so gereift sein, daß es die großen Er- rungenschaften, die es mit Hilfe seiner Staatsmänner und Helden davon¬ getragen hat, auch festzuhalten versteht, wird es den vaterlandslosen Stören¬ frieden am 21. Februar die gebührende Autwort geben? Oder wird es von dem Haffe der Feinde Bismarcks sich anstecken lassen und so dem Parteigeist und der politischen Haltlosigkeit früherer Jahrhunderte verfallen? In diesen Haß gegen Bismarck teilten sich auch jetzt, während der Zeit des Wahlkampfes, Dcutschfreisinuige und Römlinge zu gleichen Teilen. Was die letzteren angeht, so prophezeite der „Westfälische Merkur" die baldige schmäh¬ liche Niederlage Bismarcks und verglich ihn mit dem Usurpator Napoleon I., um zu weissagen, daß der Krug so lauge zum Brunnen gehe, bis er zerbricht. Das katholisch-österreichische Blatt, „Das Vaterland," welches von einem kon- vertirten, nach Österreich verpflanzten mecklenburgische» Edelmann, v. Vogelfang, geleitet wird, war so aufrichtig oder auch so schamlos, frei zu bekennen, daß man dem Zentrum in seinem Kampfe gegen die Militärvorlage der Regierung beitreten müsse, nicht weil das Triennium für die Festsetzung der Friedensstärke gegenüber dem Septcnnat das Nichtige wäre, sondern damit man gegenüber der protestantischen Regierung in der dreijährigen Bewilligung immer ein „staat¬ liches Pfandobjckt" habe. Empörend war es aber nun, zu sehen, wie Vonseiten der Mehrheit des ausgelösten Reichstags alles aufgeboten wurde, um die Wähler über die Ziele des Kampfes irre zu führen. Jedes Mittel war recht, das hierzu diente. Wenn der welfische Mephisto deu Grafen Moltke als den in Anspruch uneben, der selber auch für die regierungsfeindliche Mehrheit sei, so dürfte dann weiter auch die Lüge schon so frech auftreten, daß die Fortschrittsblätter, wie z. B. die „Siegener Zeitung," erklärten, die Mehrheit habe für die Regierungsvorlage „die 468 000 Maun auf drei Jahre" gestimmt, die Minderheit dagegen. Man brauchte hierbei nur ein Komma nach „Mann" wegzulassen, so hatte man eine Regierungsvorlage von „468 000 Mann auf drei Jahre." Aber was für Wähler und mit welchem Verstände begabt setzten solche Blätter voraus! Der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/114>, abgerufen am 14.05.2024.