Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die bürgerliche Rechtspflege in England.

Abgesehen von den konkurrirenden Gerichten in den Grafschaften ist eine Be¬
wältigung der Prozesse durch eine so kleine Zahl nur dadurch möglich, daß
eine ganze Reihe von Handlungen des Prozesses von dem juristisch gebildeten
Bürecmpersonal erledigt wird, sodaß in den Händen der letztem eine Reihe von
Geschäften liegt, welche nach deutschen -- oder wenigstens frühern preußischen --
Begriffen von dem Richter zu erledigen ist. Für die Zwangsvollstreckung besteht
eine besondre Behörde. Ein Anwaltszwang scheint nicht vorhanden zu sein,
ebenso auch die Zustellung nicht außerhalb der Funktionen der Gerichtsbehörde
zu liegen. Es wäre wünschenswert, wenn der Verfasser über diese Punkte in
einer späteren Auslage genauere Aufschlüsse erteilte, und ebenso wenn er an¬
gäbe, wie hoch sich die Kosten eines Prozesses belaufen. Was in dem Buche
S. 192 ff. angegeben ist, gewährt kein Urteil darüber, ob der ans dem Fest¬
lande gegen den englischen Prozeß erhobene Vorwurf der Kostspieligkeit be¬
gründet ist.

Dem Leser wird es lieb sein, etwas über die Person des Verfassers zu
erfahren. Dieser lebt in England (London) und ist der Sohn deutscher Eltern;
er hat in Deutschland seine Gymnasialbildung genossen, ist aber dann in London
in das väterliche Bankgeschäft eingetreten und Mitinhaber desselben geworden.
Er ist in juristischen Dingen ein Autodidakt, der, um seiner Begabung für Juris¬
prudenz und seinen Neigungen zu juristischen Studien zu folgen, neben seiner
kaufmännischen Beschäftigung seit Jahren Jurisprudenz treibt und sich schon
durch andre Veröffentlichungen in deutschen Zeitschriften auf dem juristischen
Gebiete ausgezeichnet hat. Es ist dies eine Erscheinung, wie sie nur auf eng¬
lischem Boden gedeiht, dort aber eine Reihe glänzender Vorbilder aufzuweisen
hat. Daß der Verfasser bei uus seine gerechte Würdigung erfahren hat, ist
daraus zu ersehen, daß der größte Kenner des englischen Rechtes in Deutschland,
Rudolf Gneist, es nicht verschmäht hat, zu dem Buche des Verfassers ein em¬
pfehlendes Vorwort zu schreiben. Wir können nur wünschen, daß der Verfasser
uns auch noch andre Gebiete des englischen Rechtslebens in gleich vollendeter
Weise erschließen und sich dem juristischen Berufe gänzlich widmen möge, da er
dazu mit einer hervorragenden natürlichen Begabung klares Urteil, tiefe Gründ¬
x. lichkeit, nüchternen Verstand und einfachen Stil vereinigt.




Die bürgerliche Rechtspflege in England.

Abgesehen von den konkurrirenden Gerichten in den Grafschaften ist eine Be¬
wältigung der Prozesse durch eine so kleine Zahl nur dadurch möglich, daß
eine ganze Reihe von Handlungen des Prozesses von dem juristisch gebildeten
Bürecmpersonal erledigt wird, sodaß in den Händen der letztem eine Reihe von
Geschäften liegt, welche nach deutschen — oder wenigstens frühern preußischen —
Begriffen von dem Richter zu erledigen ist. Für die Zwangsvollstreckung besteht
eine besondre Behörde. Ein Anwaltszwang scheint nicht vorhanden zu sein,
ebenso auch die Zustellung nicht außerhalb der Funktionen der Gerichtsbehörde
zu liegen. Es wäre wünschenswert, wenn der Verfasser über diese Punkte in
einer späteren Auslage genauere Aufschlüsse erteilte, und ebenso wenn er an¬
gäbe, wie hoch sich die Kosten eines Prozesses belaufen. Was in dem Buche
S. 192 ff. angegeben ist, gewährt kein Urteil darüber, ob der ans dem Fest¬
lande gegen den englischen Prozeß erhobene Vorwurf der Kostspieligkeit be¬
gründet ist.

Dem Leser wird es lieb sein, etwas über die Person des Verfassers zu
erfahren. Dieser lebt in England (London) und ist der Sohn deutscher Eltern;
er hat in Deutschland seine Gymnasialbildung genossen, ist aber dann in London
in das väterliche Bankgeschäft eingetreten und Mitinhaber desselben geworden.
Er ist in juristischen Dingen ein Autodidakt, der, um seiner Begabung für Juris¬
prudenz und seinen Neigungen zu juristischen Studien zu folgen, neben seiner
kaufmännischen Beschäftigung seit Jahren Jurisprudenz treibt und sich schon
durch andre Veröffentlichungen in deutschen Zeitschriften auf dem juristischen
Gebiete ausgezeichnet hat. Es ist dies eine Erscheinung, wie sie nur auf eng¬
lischem Boden gedeiht, dort aber eine Reihe glänzender Vorbilder aufzuweisen
hat. Daß der Verfasser bei uus seine gerechte Würdigung erfahren hat, ist
daraus zu ersehen, daß der größte Kenner des englischen Rechtes in Deutschland,
Rudolf Gneist, es nicht verschmäht hat, zu dem Buche des Verfassers ein em¬
pfehlendes Vorwort zu schreiben. Wir können nur wünschen, daß der Verfasser
uns auch noch andre Gebiete des englischen Rechtslebens in gleich vollendeter
Weise erschließen und sich dem juristischen Berufe gänzlich widmen möge, da er
dazu mit einer hervorragenden natürlichen Begabung klares Urteil, tiefe Gründ¬
x. lichkeit, nüchternen Verstand und einfachen Stil vereinigt.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0012" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/200791"/>
          <fw type="header" place="top"> Die bürgerliche Rechtspflege in England.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_15" prev="#ID_14"> Abgesehen von den konkurrirenden Gerichten in den Grafschaften ist eine Be¬<lb/>
wältigung der Prozesse durch eine so kleine Zahl nur dadurch möglich, daß<lb/>
eine ganze Reihe von Handlungen des Prozesses von dem juristisch gebildeten<lb/>
Bürecmpersonal erledigt wird, sodaß in den Händen der letztem eine Reihe von<lb/>
Geschäften liegt, welche nach deutschen &#x2014; oder wenigstens frühern preußischen &#x2014;<lb/>
Begriffen von dem Richter zu erledigen ist. Für die Zwangsvollstreckung besteht<lb/>
eine besondre Behörde. Ein Anwaltszwang scheint nicht vorhanden zu sein,<lb/>
ebenso auch die Zustellung nicht außerhalb der Funktionen der Gerichtsbehörde<lb/>
zu liegen. Es wäre wünschenswert, wenn der Verfasser über diese Punkte in<lb/>
einer späteren Auslage genauere Aufschlüsse erteilte, und ebenso wenn er an¬<lb/>
gäbe, wie hoch sich die Kosten eines Prozesses belaufen. Was in dem Buche<lb/>
S. 192 ff. angegeben ist, gewährt kein Urteil darüber, ob der ans dem Fest¬<lb/>
lande gegen den englischen Prozeß erhobene Vorwurf der Kostspieligkeit be¬<lb/>
gründet ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_16"> Dem Leser wird es lieb sein, etwas über die Person des Verfassers zu<lb/>
erfahren. Dieser lebt in England (London) und ist der Sohn deutscher Eltern;<lb/>
er hat in Deutschland seine Gymnasialbildung genossen, ist aber dann in London<lb/>
in das väterliche Bankgeschäft eingetreten und Mitinhaber desselben geworden.<lb/>
Er ist in juristischen Dingen ein Autodidakt, der, um seiner Begabung für Juris¬<lb/>
prudenz und seinen Neigungen zu juristischen Studien zu folgen, neben seiner<lb/>
kaufmännischen Beschäftigung seit Jahren Jurisprudenz treibt und sich schon<lb/>
durch andre Veröffentlichungen in deutschen Zeitschriften auf dem juristischen<lb/>
Gebiete ausgezeichnet hat. Es ist dies eine Erscheinung, wie sie nur auf eng¬<lb/>
lischem Boden gedeiht, dort aber eine Reihe glänzender Vorbilder aufzuweisen<lb/>
hat. Daß der Verfasser bei uus seine gerechte Würdigung erfahren hat, ist<lb/>
daraus zu ersehen, daß der größte Kenner des englischen Rechtes in Deutschland,<lb/>
Rudolf Gneist, es nicht verschmäht hat, zu dem Buche des Verfassers ein em¬<lb/>
pfehlendes Vorwort zu schreiben. Wir können nur wünschen, daß der Verfasser<lb/>
uns auch noch andre Gebiete des englischen Rechtslebens in gleich vollendeter<lb/>
Weise erschließen und sich dem juristischen Berufe gänzlich widmen möge, da er<lb/>
dazu mit einer hervorragenden natürlichen Begabung klares Urteil, tiefe Gründ¬<lb/><note type="byline"> x.</note> lichkeit, nüchternen Verstand und einfachen Stil vereinigt. </p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0012] Die bürgerliche Rechtspflege in England. Abgesehen von den konkurrirenden Gerichten in den Grafschaften ist eine Be¬ wältigung der Prozesse durch eine so kleine Zahl nur dadurch möglich, daß eine ganze Reihe von Handlungen des Prozesses von dem juristisch gebildeten Bürecmpersonal erledigt wird, sodaß in den Händen der letztem eine Reihe von Geschäften liegt, welche nach deutschen — oder wenigstens frühern preußischen — Begriffen von dem Richter zu erledigen ist. Für die Zwangsvollstreckung besteht eine besondre Behörde. Ein Anwaltszwang scheint nicht vorhanden zu sein, ebenso auch die Zustellung nicht außerhalb der Funktionen der Gerichtsbehörde zu liegen. Es wäre wünschenswert, wenn der Verfasser über diese Punkte in einer späteren Auslage genauere Aufschlüsse erteilte, und ebenso wenn er an¬ gäbe, wie hoch sich die Kosten eines Prozesses belaufen. Was in dem Buche S. 192 ff. angegeben ist, gewährt kein Urteil darüber, ob der ans dem Fest¬ lande gegen den englischen Prozeß erhobene Vorwurf der Kostspieligkeit be¬ gründet ist. Dem Leser wird es lieb sein, etwas über die Person des Verfassers zu erfahren. Dieser lebt in England (London) und ist der Sohn deutscher Eltern; er hat in Deutschland seine Gymnasialbildung genossen, ist aber dann in London in das väterliche Bankgeschäft eingetreten und Mitinhaber desselben geworden. Er ist in juristischen Dingen ein Autodidakt, der, um seiner Begabung für Juris¬ prudenz und seinen Neigungen zu juristischen Studien zu folgen, neben seiner kaufmännischen Beschäftigung seit Jahren Jurisprudenz treibt und sich schon durch andre Veröffentlichungen in deutschen Zeitschriften auf dem juristischen Gebiete ausgezeichnet hat. Es ist dies eine Erscheinung, wie sie nur auf eng¬ lischem Boden gedeiht, dort aber eine Reihe glänzender Vorbilder aufzuweisen hat. Daß der Verfasser bei uus seine gerechte Würdigung erfahren hat, ist daraus zu ersehen, daß der größte Kenner des englischen Rechtes in Deutschland, Rudolf Gneist, es nicht verschmäht hat, zu dem Buche des Verfassers ein em¬ pfehlendes Vorwort zu schreiben. Wir können nur wünschen, daß der Verfasser uns auch noch andre Gebiete des englischen Rechtslebens in gleich vollendeter Weise erschließen und sich dem juristischen Berufe gänzlich widmen möge, da er dazu mit einer hervorragenden natürlichen Begabung klares Urteil, tiefe Gründ¬ x. lichkeit, nüchternen Verstand und einfachen Stil vereinigt.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/12
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/12>, abgerufen am 14.05.2024.