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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Sie Opposition während des letzten ZVahlkmnpfes.

Hauptpunkt des fortschrittlichen Programms in derselben Presse wurde, die
soeben erst im Namen des deutschen Protestantismus sich über das Jakobinische
Schreiben entrüstet hatte, so war es fast offner Übergang zum Feinde, als die
"Vossische Zeitung" gegenüber der Ansprache des Statthalters der Reichslande
den Elsaß-Lothringern zurief: "Habt den Mut, euch euers eignen Verstandes
zu bedienen!" Es hieß das, wie es gar nicht anders heißen konnte: Wählt
Protestier, Feinde des Reiches! In Lübeck ging diejenige Partei, die Moltkes
Worte entstellt, des Kriegsministers Aussagen falsch ausgelegt, dem Kron¬
prinzen Aussprüche, die er nie gethan hat, untergeschoben, das Nichterscheinen
einer kaiserlichen Proklamation gegen besseres Wissen für ihren Friedensschwindel
benutzt hatte, endlich in ihrer Frechheit so weit, daß sie durch Maueranschlag
eine von ihr erfundene kaiserliche Erklärung, es werde keinen Krieg geben, ver¬
breiten ließ.

Gedenken wir noch mit wenig Worten der Berliner Wahlen. Nur aus
dem bittern Gefühle seines Niederganges kann man es erklären, wenn der
Fortschritt hier in seiner Hochburg jede Vorsicht im Lügen und Falschen vergaß,
ganz offen die Aufwiegelung der Bevölkerung gegen die Staatsgesetze betrieb
und dem Volke die Frende am Vaterland systematisch zu rauben suchte. Das
Sozialisteugcsetz wurde als ein Schlag hingestellt, dem gegenüber die nationale
Einheit und Größe des deutschen Volkes völlig ihren Wert verlor. Die staat¬
liche Gesetzgebung seit 1878 erhielt die Signatur: Wer viel hatte, dem ist
gegeben worden, wer wenig hatte, dem ist auch das Wenige genommen. Die
Maßnahme der Neichstagsauflösung wurde mit dem Ausrufe charakterisirt:
"Man spielt wagehalsig mit den höchsten Gütern der Nation!" Und wessen
Acker wurde mit solchem Abhub gedüngt? Die nahrhafteste Kost aus der
Küche des deutschen Freisinns erhielt die Sozialdemokratie. Mehr noch als
sonst zeigte sich dies in dem letzten Wahlkampfe, daß es wahr ist, wenn man
sagt, daß die Sumpfblume der Sozialdemokratie am besten in dem Sumpfe
der Fortschrittspartei gedeihe. Abgesehen aber davon, daß der Aufruf der
Freisinnigen ganz den Geist der Bebel, Liebknecht, Hasenclever und Grillen-
berger atmete, wurde in ihrer Presse auch der Papst in allen Tonarten be¬
schworen, die Kraft des deutschfeindlichen Zentrums ja nicht zu lähmen. Gewiß,
hätte das Volk von dem Geschrei dieser wntvollen Thorheit sich hinreißen
lassen, wir atmeten jetzt nicht die Ruhe des Friedens. Glücklicherweise sorgte
die Stimme aller Vaterlandsliebenden dafür, daß unsre wehrhaften Männer
nicht in ihrem Blute das ausbaden mußten, was die Herren Windthorst und
Genossen anzurichten sich so viel Mühe gegeben hatten.

Um endlich zu zeigen, in welchem Geiste auch noch die Stichwahlen von
den Freisinnigen betrieben worden sind, mögen nur zwei Vorgänge noch hier
erzählt werden. Am 28. Februar hat der schließlich auch in Halle gewählte
dcntschfreisinnige Kandidat Dr. Alex. Meyer auf dem Bahnhofsperron in Gröbers


Sie Opposition während des letzten ZVahlkmnpfes.

Hauptpunkt des fortschrittlichen Programms in derselben Presse wurde, die
soeben erst im Namen des deutschen Protestantismus sich über das Jakobinische
Schreiben entrüstet hatte, so war es fast offner Übergang zum Feinde, als die
„Vossische Zeitung" gegenüber der Ansprache des Statthalters der Reichslande
den Elsaß-Lothringern zurief: „Habt den Mut, euch euers eignen Verstandes
zu bedienen!" Es hieß das, wie es gar nicht anders heißen konnte: Wählt
Protestier, Feinde des Reiches! In Lübeck ging diejenige Partei, die Moltkes
Worte entstellt, des Kriegsministers Aussagen falsch ausgelegt, dem Kron¬
prinzen Aussprüche, die er nie gethan hat, untergeschoben, das Nichterscheinen
einer kaiserlichen Proklamation gegen besseres Wissen für ihren Friedensschwindel
benutzt hatte, endlich in ihrer Frechheit so weit, daß sie durch Maueranschlag
eine von ihr erfundene kaiserliche Erklärung, es werde keinen Krieg geben, ver¬
breiten ließ.

Gedenken wir noch mit wenig Worten der Berliner Wahlen. Nur aus
dem bittern Gefühle seines Niederganges kann man es erklären, wenn der
Fortschritt hier in seiner Hochburg jede Vorsicht im Lügen und Falschen vergaß,
ganz offen die Aufwiegelung der Bevölkerung gegen die Staatsgesetze betrieb
und dem Volke die Frende am Vaterland systematisch zu rauben suchte. Das
Sozialisteugcsetz wurde als ein Schlag hingestellt, dem gegenüber die nationale
Einheit und Größe des deutschen Volkes völlig ihren Wert verlor. Die staat¬
liche Gesetzgebung seit 1878 erhielt die Signatur: Wer viel hatte, dem ist
gegeben worden, wer wenig hatte, dem ist auch das Wenige genommen. Die
Maßnahme der Neichstagsauflösung wurde mit dem Ausrufe charakterisirt:
„Man spielt wagehalsig mit den höchsten Gütern der Nation!" Und wessen
Acker wurde mit solchem Abhub gedüngt? Die nahrhafteste Kost aus der
Küche des deutschen Freisinns erhielt die Sozialdemokratie. Mehr noch als
sonst zeigte sich dies in dem letzten Wahlkampfe, daß es wahr ist, wenn man
sagt, daß die Sumpfblume der Sozialdemokratie am besten in dem Sumpfe
der Fortschrittspartei gedeihe. Abgesehen aber davon, daß der Aufruf der
Freisinnigen ganz den Geist der Bebel, Liebknecht, Hasenclever und Grillen-
berger atmete, wurde in ihrer Presse auch der Papst in allen Tonarten be¬
schworen, die Kraft des deutschfeindlichen Zentrums ja nicht zu lähmen. Gewiß,
hätte das Volk von dem Geschrei dieser wntvollen Thorheit sich hinreißen
lassen, wir atmeten jetzt nicht die Ruhe des Friedens. Glücklicherweise sorgte
die Stimme aller Vaterlandsliebenden dafür, daß unsre wehrhaften Männer
nicht in ihrem Blute das ausbaden mußten, was die Herren Windthorst und
Genossen anzurichten sich so viel Mühe gegeben hatten.

Um endlich zu zeigen, in welchem Geiste auch noch die Stichwahlen von
den Freisinnigen betrieben worden sind, mögen nur zwei Vorgänge noch hier
erzählt werden. Am 28. Februar hat der schließlich auch in Halle gewählte
dcntschfreisinnige Kandidat Dr. Alex. Meyer auf dem Bahnhofsperron in Gröbers


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/122>, abgerufen am 15.05.2024.