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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Der deutsche volkscharakler und seine Wandlungen.

Erfolgen, so lange sie in gemeinsamer Thätigkeit gehalten werden konnten, ein
Bild des Verfalles, als die Interessen auseinander gingen.

Die alten kriegerischen Tugenden pflanzten sich in den Heeren und Auf¬
geboten der sächsischen "ut fränkischen Kaiser ungemindert fort und verschafften
dem deutschen Reiche Sicherheit und Erweiterung der Grenzen, ja mit der Ober¬
gewalt in Italien den Schimmer der Vorherrschaft in Europa. Dies er¬
zeugte den Stolz der Deutschen, der lange Jahrhunderte als nationale Eigen¬
schaft gelten mußte und von den Ausländern unwillig anerkannt ward. So
sehr erzwang sich der deutsche Name die Achtung, daß die germanische Ab¬
stammung auch von denen als Adclsprobe fortgeführt wurde, die unter anders-
sprechenden Völkern einheimisch geworden waren. Wie der spanische Edelmann
noch Jahrhunderte hindurch sich seines gotischen Stcunmbaumes rühmte, so
verfocht der lombardische Bischof Liutprand von Cremona als Ottos I. Ge¬
sandter gegenüber dein byzantinischen Kaiser den Vorzug seiner und seines Herrn
Herkunft vor den Römern, die unter Romulus ans allerlei Volk zusammen¬
gelaufen seien. 1?ihrs ^1sum,M8, llsro" ^.Ivumnos ist stehender Ausdruck bei
Franzosen und Spaniern, wie der grimmige Kcunpfesmut, die leidenschaftliche
Verbissenheit, den Römern bereits als t'nror töutvinons geläufig, auch deu Ita¬
lienern als die turig, oder rabdiu, tsclöMg, sprichwörtlich blieb. Die Italiener,
die freilich als Feinde und Besiegte wenig Günstiges von den Nordländern zu
sagen wußten, warfen ihnen auch die altnationale Unmäßigkeit und Gewalt¬
thätigkeit immer wieder vor.

Besser noch als über den Volkscharakter der früheren Zeiten sind wir in
der Lage, über den Herren- und Kriegerstand dieser Zeit aus sicherem Anhalt
zu urteilen. Für jene Zeit schweigen die Quellen gerade über deu beharrenden,
nicht abenteuernden Teil des Volkes oder geben ein befangenes Urteil von
Feinden; hier hat die heimische Heldensage ein Bild der Ideale ausgeprägt, in
dem Volk und Herren ihre Anschauungen niederlegten, noch bevor die neue
normannisch-französische Mode dem Rittertum eine internationale Färbung lieh.
Aus diesen volkstümlichen Dichtungen ersieht mau zugleich, wie große Gebiete
der Volkstümlichkeit selbst von christlichen Anschauungen und Gebräuchen kaum
äußerlich berührt siud.

Die Stimmung und der Grundzug der Männlichkeit ist die körperliche Kraft
und deren Bewußtsein, die Kampfesfreudc, die Verachtung von Gefahr und Not
und Tod; selbst der schwache Charakter ist ein Held, sobald die Lage der Dinge
zum Handeln zwingt. Der Beweggrund der Sittlichkeit ist aber einzig die
Treue das Ausharren bei dem, was Gemüt und Wille ergriffen hat. Vou
einem übermenschlichen Sittengesetz, von einem Eingreifen göttlichen Willens ist
keine Rede, ebensowenig von einer nationalen Almeignng gegen Feinde; die
Menschen sind ganz auf sich gestellt, auf die eigne Kraft und Verantwortung,
und die Treue erscheint oft als Starrsinn und die Gefahr herausfordernder


Der deutsche volkscharakler und seine Wandlungen.

Erfolgen, so lange sie in gemeinsamer Thätigkeit gehalten werden konnten, ein
Bild des Verfalles, als die Interessen auseinander gingen.

Die alten kriegerischen Tugenden pflanzten sich in den Heeren und Auf¬
geboten der sächsischen »ut fränkischen Kaiser ungemindert fort und verschafften
dem deutschen Reiche Sicherheit und Erweiterung der Grenzen, ja mit der Ober¬
gewalt in Italien den Schimmer der Vorherrschaft in Europa. Dies er¬
zeugte den Stolz der Deutschen, der lange Jahrhunderte als nationale Eigen¬
schaft gelten mußte und von den Ausländern unwillig anerkannt ward. So
sehr erzwang sich der deutsche Name die Achtung, daß die germanische Ab¬
stammung auch von denen als Adclsprobe fortgeführt wurde, die unter anders-
sprechenden Völkern einheimisch geworden waren. Wie der spanische Edelmann
noch Jahrhunderte hindurch sich seines gotischen Stcunmbaumes rühmte, so
verfocht der lombardische Bischof Liutprand von Cremona als Ottos I. Ge¬
sandter gegenüber dein byzantinischen Kaiser den Vorzug seiner und seines Herrn
Herkunft vor den Römern, die unter Romulus ans allerlei Volk zusammen¬
gelaufen seien. 1?ihrs ^1sum,M8, llsro« ^.Ivumnos ist stehender Ausdruck bei
Franzosen und Spaniern, wie der grimmige Kcunpfesmut, die leidenschaftliche
Verbissenheit, den Römern bereits als t'nror töutvinons geläufig, auch deu Ita¬
lienern als die turig, oder rabdiu, tsclöMg, sprichwörtlich blieb. Die Italiener,
die freilich als Feinde und Besiegte wenig Günstiges von den Nordländern zu
sagen wußten, warfen ihnen auch die altnationale Unmäßigkeit und Gewalt¬
thätigkeit immer wieder vor.

Besser noch als über den Volkscharakter der früheren Zeiten sind wir in
der Lage, über den Herren- und Kriegerstand dieser Zeit aus sicherem Anhalt
zu urteilen. Für jene Zeit schweigen die Quellen gerade über deu beharrenden,
nicht abenteuernden Teil des Volkes oder geben ein befangenes Urteil von
Feinden; hier hat die heimische Heldensage ein Bild der Ideale ausgeprägt, in
dem Volk und Herren ihre Anschauungen niederlegten, noch bevor die neue
normannisch-französische Mode dem Rittertum eine internationale Färbung lieh.
Aus diesen volkstümlichen Dichtungen ersieht mau zugleich, wie große Gebiete
der Volkstümlichkeit selbst von christlichen Anschauungen und Gebräuchen kaum
äußerlich berührt siud.

Die Stimmung und der Grundzug der Männlichkeit ist die körperliche Kraft
und deren Bewußtsein, die Kampfesfreudc, die Verachtung von Gefahr und Not
und Tod; selbst der schwache Charakter ist ein Held, sobald die Lage der Dinge
zum Handeln zwingt. Der Beweggrund der Sittlichkeit ist aber einzig die
Treue das Ausharren bei dem, was Gemüt und Wille ergriffen hat. Vou
einem übermenschlichen Sittengesetz, von einem Eingreifen göttlichen Willens ist
keine Rede, ebensowenig von einer nationalen Almeignng gegen Feinde; die
Menschen sind ganz auf sich gestellt, auf die eigne Kraft und Verantwortung,
und die Treue erscheint oft als Starrsinn und die Gefahr herausfordernder


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[0124] Der deutsche volkscharakler und seine Wandlungen. Erfolgen, so lange sie in gemeinsamer Thätigkeit gehalten werden konnten, ein Bild des Verfalles, als die Interessen auseinander gingen. Die alten kriegerischen Tugenden pflanzten sich in den Heeren und Auf¬ geboten der sächsischen »ut fränkischen Kaiser ungemindert fort und verschafften dem deutschen Reiche Sicherheit und Erweiterung der Grenzen, ja mit der Ober¬ gewalt in Italien den Schimmer der Vorherrschaft in Europa. Dies er¬ zeugte den Stolz der Deutschen, der lange Jahrhunderte als nationale Eigen¬ schaft gelten mußte und von den Ausländern unwillig anerkannt ward. So sehr erzwang sich der deutsche Name die Achtung, daß die germanische Ab¬ stammung auch von denen als Adclsprobe fortgeführt wurde, die unter anders- sprechenden Völkern einheimisch geworden waren. Wie der spanische Edelmann noch Jahrhunderte hindurch sich seines gotischen Stcunmbaumes rühmte, so verfocht der lombardische Bischof Liutprand von Cremona als Ottos I. Ge¬ sandter gegenüber dein byzantinischen Kaiser den Vorzug seiner und seines Herrn Herkunft vor den Römern, die unter Romulus ans allerlei Volk zusammen¬ gelaufen seien. 1?ihrs ^1sum,M8, llsro« ^.Ivumnos ist stehender Ausdruck bei Franzosen und Spaniern, wie der grimmige Kcunpfesmut, die leidenschaftliche Verbissenheit, den Römern bereits als t'nror töutvinons geläufig, auch deu Ita¬ lienern als die turig, oder rabdiu, tsclöMg, sprichwörtlich blieb. Die Italiener, die freilich als Feinde und Besiegte wenig Günstiges von den Nordländern zu sagen wußten, warfen ihnen auch die altnationale Unmäßigkeit und Gewalt¬ thätigkeit immer wieder vor. Besser noch als über den Volkscharakter der früheren Zeiten sind wir in der Lage, über den Herren- und Kriegerstand dieser Zeit aus sicherem Anhalt zu urteilen. Für jene Zeit schweigen die Quellen gerade über deu beharrenden, nicht abenteuernden Teil des Volkes oder geben ein befangenes Urteil von Feinden; hier hat die heimische Heldensage ein Bild der Ideale ausgeprägt, in dem Volk und Herren ihre Anschauungen niederlegten, noch bevor die neue normannisch-französische Mode dem Rittertum eine internationale Färbung lieh. Aus diesen volkstümlichen Dichtungen ersieht mau zugleich, wie große Gebiete der Volkstümlichkeit selbst von christlichen Anschauungen und Gebräuchen kaum äußerlich berührt siud. Die Stimmung und der Grundzug der Männlichkeit ist die körperliche Kraft und deren Bewußtsein, die Kampfesfreudc, die Verachtung von Gefahr und Not und Tod; selbst der schwache Charakter ist ein Held, sobald die Lage der Dinge zum Handeln zwingt. Der Beweggrund der Sittlichkeit ist aber einzig die Treue das Ausharren bei dem, was Gemüt und Wille ergriffen hat. Vou einem übermenschlichen Sittengesetz, von einem Eingreifen göttlichen Willens ist keine Rede, ebensowenig von einer nationalen Almeignng gegen Feinde; die Menschen sind ganz auf sich gestellt, auf die eigne Kraft und Verantwortung, und die Treue erscheint oft als Starrsinn und die Gefahr herausfordernder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/124>, abgerufen am 16.05.2024.