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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Theodor Fontanes Roman Lenne,

nicht weil er eifersüchtig ist (er schreibt noch zuletzt geringschätzig ein seine Frau:
"Daß du mit ein paar Herzensfasern an ihm hingst, weiß ich, und ^es^ war mir
recht -- eine junge Fran braucht dergleichen!"), sondern weil Herr von Gordon
dem höhern Range, der größern Geltung des Obersten nicht den nötigen Re¬
spekt gezollt, die freie Unbekümmertheit des Weltfahrers ihm gegenüber an den
Tag gelegt hat. Der Oberst schreibt Gordon einen Brief, auf welchen nnr ein
Pistolenduell folgen kann, und erschießt den anmaßenden Ingenieur, reist denn
sehr behaglich nach Nizza ab und schreibt von dort aus einen Brief an seine
Frau, welcher in dem Satze gipfelt: "Nimm das Ganze nicht tragischer als
nötig, die Welt ist kein Treibhaus für überzarte Gefühle." Frau Cecile hat
aber doch dergleichen, es überwältigt sie, daß wieder ein Mensch als Opfer ihrer
unseligen Schönheit und ihrer unseligen Vergangenheit gefallen ist, sie vergiftet
sich und sucht Zuflucht und Ruhe im Tod.c.

Dies wäre ungefähr das "Was." Aber das "Wie" fällt hier unendlich
schwerer ins Gewicht, als bei hundert andern Erzählungen. Fontanes Roman
spielt, da der französische Begriff der "Halbwelt" auf ihn ganz unanwendbar
ist, in einer "Scitenwelt" dessen, was sich große Welt nennt. Mit glücklichem
Blick und Geist hat der Verfasser eine ganze Reihe von Schicksalen und
Existenzen, die von Hans aus ohne Zusammenhang erscheinen, ans einen Punkt
gesammelt, der Roman erweckt jene Doppelempfindung, daß uns alles, was
Fontane erzählt, neu ist, und daß wir doch alles schon erlebt haben. Jeder hat
ein- oder einigemale in seinem Gesichtskreis Erscheinungen wie die Se. Arnauds
auftauchen sehen, jeder ist im gesellschaftlichen Lebe!, um die Menschen gestreift,
die sich im Salon Cecile's versammeln. In der Regel ist es "jedem" nicht
so gut geworden, wie Herrn von Gordon, das Geheimnis der frühern Geschichte
der schönen Frau durch eine sorgliche, wohlerfahrene Schwester aufgeklärt zu
erhalten, indes auch Herrn von Gordon wäre es, wie der Verlauf des Romans
zeigt, ja besser gewesen, weniger und etwa uur das zu erfahren, was der Hof¬
prediger Döcffcl ihm über Cecile von Se. Arnaud mitteilen könnte! Im Ernst
gesprochen: die Wiedergabe eines eigentümlichen Stückes Leben, die allmähliche
Aufhellung der Verhältnisse und die Zuspitzung derselben zu einem tragischen
Ende ist mit großer Meisterschaft behandelt. Alles erschließt lind verknüpft
sich leicht, ungezwungen, höchst anspruchslos, der freie Fluß der Erzählung
erscheint beinahe nirgend gehemmt, alle Gestalten bis auf die der gutmütigen
Malerin und des Hvfprcdigers sind mit lebendigster Deutlichkeit gezeichnet. Der
Ton des gesellschaftlichen Kreises, in welchem die Geschichte Ceeiles und Gvrdons
verläuft, ist mit sicherer Lcbeuskcnutnis und guter Haltung wiedergegeben, alles
stimmt und wirkt zum Ganzen. Jede Episode hat ihre eigne Bedeutung, und
mit großer Feinheit sind Menschen wie der Präzcptvrwirt von Altenbrak
und dessen Tochter, die junge Förstersfrau, in gewissen Augenblicken den handelnd
wie leidend dem Untergang entgegentreibenden Hauptgestalten gegenübergestellt.


Theodor Fontanes Roman Lenne,

nicht weil er eifersüchtig ist (er schreibt noch zuletzt geringschätzig ein seine Frau:
„Daß du mit ein paar Herzensfasern an ihm hingst, weiß ich, und ^es^ war mir
recht — eine junge Fran braucht dergleichen!"), sondern weil Herr von Gordon
dem höhern Range, der größern Geltung des Obersten nicht den nötigen Re¬
spekt gezollt, die freie Unbekümmertheit des Weltfahrers ihm gegenüber an den
Tag gelegt hat. Der Oberst schreibt Gordon einen Brief, auf welchen nnr ein
Pistolenduell folgen kann, und erschießt den anmaßenden Ingenieur, reist denn
sehr behaglich nach Nizza ab und schreibt von dort aus einen Brief an seine
Frau, welcher in dem Satze gipfelt: „Nimm das Ganze nicht tragischer als
nötig, die Welt ist kein Treibhaus für überzarte Gefühle." Frau Cecile hat
aber doch dergleichen, es überwältigt sie, daß wieder ein Mensch als Opfer ihrer
unseligen Schönheit und ihrer unseligen Vergangenheit gefallen ist, sie vergiftet
sich und sucht Zuflucht und Ruhe im Tod.c.

Dies wäre ungefähr das „Was." Aber das „Wie" fällt hier unendlich
schwerer ins Gewicht, als bei hundert andern Erzählungen. Fontanes Roman
spielt, da der französische Begriff der „Halbwelt" auf ihn ganz unanwendbar
ist, in einer „Scitenwelt" dessen, was sich große Welt nennt. Mit glücklichem
Blick und Geist hat der Verfasser eine ganze Reihe von Schicksalen und
Existenzen, die von Hans aus ohne Zusammenhang erscheinen, ans einen Punkt
gesammelt, der Roman erweckt jene Doppelempfindung, daß uns alles, was
Fontane erzählt, neu ist, und daß wir doch alles schon erlebt haben. Jeder hat
ein- oder einigemale in seinem Gesichtskreis Erscheinungen wie die Se. Arnauds
auftauchen sehen, jeder ist im gesellschaftlichen Lebe!, um die Menschen gestreift,
die sich im Salon Cecile's versammeln. In der Regel ist es „jedem" nicht
so gut geworden, wie Herrn von Gordon, das Geheimnis der frühern Geschichte
der schönen Frau durch eine sorgliche, wohlerfahrene Schwester aufgeklärt zu
erhalten, indes auch Herrn von Gordon wäre es, wie der Verlauf des Romans
zeigt, ja besser gewesen, weniger und etwa uur das zu erfahren, was der Hof¬
prediger Döcffcl ihm über Cecile von Se. Arnaud mitteilen könnte! Im Ernst
gesprochen: die Wiedergabe eines eigentümlichen Stückes Leben, die allmähliche
Aufhellung der Verhältnisse und die Zuspitzung derselben zu einem tragischen
Ende ist mit großer Meisterschaft behandelt. Alles erschließt lind verknüpft
sich leicht, ungezwungen, höchst anspruchslos, der freie Fluß der Erzählung
erscheint beinahe nirgend gehemmt, alle Gestalten bis auf die der gutmütigen
Malerin und des Hvfprcdigers sind mit lebendigster Deutlichkeit gezeichnet. Der
Ton des gesellschaftlichen Kreises, in welchem die Geschichte Ceeiles und Gvrdons
verläuft, ist mit sicherer Lcbeuskcnutnis und guter Haltung wiedergegeben, alles
stimmt und wirkt zum Ganzen. Jede Episode hat ihre eigne Bedeutung, und
mit großer Feinheit sind Menschen wie der Präzcptvrwirt von Altenbrak
und dessen Tochter, die junge Förstersfrau, in gewissen Augenblicken den handelnd
wie leidend dem Untergang entgegentreibenden Hauptgestalten gegenübergestellt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/142>, abgerufen am 31.05.2024.