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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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nachdrücklich, daß die Vorstellung der Sprache als eines Erzeugnisses mensch¬
licher Erfindung der ganzen Analogie menschlicher Seelenkräfte entgegen sei.
Diesen Satz haben die bedeutendsten Nachfolger Herders bis ans die neueste
Zeit als richtig anerkannt, und z. B. Wilhelm von Humboldt sowohl wie Stein¬
thal erklären bestimmt, an menschliche Erfindung könne beim Ursprünge der
Sprache nicht gedacht werden. Gegenüber dem gereiften Urteile so gründlicher
und spekulativer Köpfe mutet einen das Unterfangen, eine Sprache künstlich
auszuklügeln, geradezu wie ein Wandalismus an, der auf tiefer denkende
unsagbar abstoßend wirken muß. Ist die Fähigkeit des Menschen, seine Ge¬
danken durch artikulirte Laute auszudrücken, eine von Natur ihm innewohnende
Gabe, so hat eine ersonnene und ausgedachte Sprache ueben irgend welcher
natürlich gewordenen denselben Wert und dieselbe Bedeutung, wie z. B. die
Nachformung eines Baumes im Vergleich zu einem im Walde wirklich auf¬
gewachsenen Holze. Gewiß kann man das Erzeugnis der Kunstfertigkeit mit
einer Menge von Vorzügen ausstatten, welche die Natur niemals zusammen
verleiht. Es lassen sich z. B. an einem glatten und schlanken Palmenstamme
ganz regelmäßig und symmetrisch die Äste einer Platane mit ihren breiten,
schattenspendenden Blättern einbohren, und auf den Ästen können die duftigen
Blüten der Akazie und Linde neben Granatäpfeln, Ananas, Feigen und wer
weiß welchen köstlichen Früchten sonst noch angebracht werden. Wer aber wird eine
solche Mißgeburt und Geschmacksverirrung dem unregelmäßig gewachsenen Wald¬
oder Gartenbäume, der nur einzelne von jenen Eigenschaften besitzt, vorziehen?
Steif, tot, starr und eckig steht der Kunstbaum neben dem Naturbaume. Der
letztere entwickelt sich in fortwährendem lebendigen Wechsel bis zum natürlichen
Absterben, ersterer bleibt, wenn er aus künstlichem Stoff hergestellt ist, beständig
leblos und dürr, oder heuchelt, wenn er aus überallher zusammengelesenen Fetzen
der Natur gebildet wurde, nur so lange Leben, wie die aneinander gefügten
Teile noch Saft von dem früheren Organismus besitzen. Die nämlichen Er¬
scheinungen müssen auch bei jeder künstlich gemachten Sprache eintreten. Von
einer Entwicklung kann beim Volapük daher füglich nicht die Rede sein, wohl
aber wird es wie alle Mechanismen durch den Gebrauch abgenützt werden und
für findige Köpfe ein verführerisches Angriffsobjckt abgeben zum Experimen¬
tiren mit allerhand Vervollkommnungen und Änderungen. Wer soll aber die
nötigen Ausbesserungen vornehmen und die Änderungsgelüste in ersprießliche
Bahnen lenken, da nicht wie bei den organischen Sprachen ein mütterlicher
Nährboden vorhanden ist, der alle Veränderungen von selbst regelt? Herr
Schleyer ist kein Jüngling mehr, besitzt auch gar nicht die Macht, den einmal
losgeschossenen Pfeil Volapük in seinem Laufe zu hindern. Noch viel weniger
wird, wenn der Erfinder mit seiner Autorität nicht mehr unter den Lebenden
weilt, eine etwa eingesetzte Kommission imstande sein, die Einheit des Volapük
gegen die auseinander gehenden Wünsche der umschlungenen Millionen zu wahren.


volapük.

nachdrücklich, daß die Vorstellung der Sprache als eines Erzeugnisses mensch¬
licher Erfindung der ganzen Analogie menschlicher Seelenkräfte entgegen sei.
Diesen Satz haben die bedeutendsten Nachfolger Herders bis ans die neueste
Zeit als richtig anerkannt, und z. B. Wilhelm von Humboldt sowohl wie Stein¬
thal erklären bestimmt, an menschliche Erfindung könne beim Ursprünge der
Sprache nicht gedacht werden. Gegenüber dem gereiften Urteile so gründlicher
und spekulativer Köpfe mutet einen das Unterfangen, eine Sprache künstlich
auszuklügeln, geradezu wie ein Wandalismus an, der auf tiefer denkende
unsagbar abstoßend wirken muß. Ist die Fähigkeit des Menschen, seine Ge¬
danken durch artikulirte Laute auszudrücken, eine von Natur ihm innewohnende
Gabe, so hat eine ersonnene und ausgedachte Sprache ueben irgend welcher
natürlich gewordenen denselben Wert und dieselbe Bedeutung, wie z. B. die
Nachformung eines Baumes im Vergleich zu einem im Walde wirklich auf¬
gewachsenen Holze. Gewiß kann man das Erzeugnis der Kunstfertigkeit mit
einer Menge von Vorzügen ausstatten, welche die Natur niemals zusammen
verleiht. Es lassen sich z. B. an einem glatten und schlanken Palmenstamme
ganz regelmäßig und symmetrisch die Äste einer Platane mit ihren breiten,
schattenspendenden Blättern einbohren, und auf den Ästen können die duftigen
Blüten der Akazie und Linde neben Granatäpfeln, Ananas, Feigen und wer
weiß welchen köstlichen Früchten sonst noch angebracht werden. Wer aber wird eine
solche Mißgeburt und Geschmacksverirrung dem unregelmäßig gewachsenen Wald¬
oder Gartenbäume, der nur einzelne von jenen Eigenschaften besitzt, vorziehen?
Steif, tot, starr und eckig steht der Kunstbaum neben dem Naturbaume. Der
letztere entwickelt sich in fortwährendem lebendigen Wechsel bis zum natürlichen
Absterben, ersterer bleibt, wenn er aus künstlichem Stoff hergestellt ist, beständig
leblos und dürr, oder heuchelt, wenn er aus überallher zusammengelesenen Fetzen
der Natur gebildet wurde, nur so lange Leben, wie die aneinander gefügten
Teile noch Saft von dem früheren Organismus besitzen. Die nämlichen Er¬
scheinungen müssen auch bei jeder künstlich gemachten Sprache eintreten. Von
einer Entwicklung kann beim Volapük daher füglich nicht die Rede sein, wohl
aber wird es wie alle Mechanismen durch den Gebrauch abgenützt werden und
für findige Köpfe ein verführerisches Angriffsobjckt abgeben zum Experimen¬
tiren mit allerhand Vervollkommnungen und Änderungen. Wer soll aber die
nötigen Ausbesserungen vornehmen und die Änderungsgelüste in ersprießliche
Bahnen lenken, da nicht wie bei den organischen Sprachen ein mütterlicher
Nährboden vorhanden ist, der alle Veränderungen von selbst regelt? Herr
Schleyer ist kein Jüngling mehr, besitzt auch gar nicht die Macht, den einmal
losgeschossenen Pfeil Volapük in seinem Laufe zu hindern. Noch viel weniger
wird, wenn der Erfinder mit seiner Autorität nicht mehr unter den Lebenden
weilt, eine etwa eingesetzte Kommission imstande sein, die Einheit des Volapük
gegen die auseinander gehenden Wünsche der umschlungenen Millionen zu wahren.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/186>, abgerufen am 15.05.2024.