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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Vberschlesien und seine Germanisirung.

Gegenden annimmt. Berlin, Breslau und der fürstbischöfliche Delegaturbczirk
Berlin mit seinen katholischen Schulen in der Mark und in Pommern ziehen
den größten Teil hiervon an sich. Und gerade die tüchtigeren Lehrer sind es in
der Regel, die zum Schaden der oberschlesischen Schulen wenige Jahre nach ihrer
Entlassung aus dem Seminar Oberschlesien den Rücken kehren. Wenn nun
auch zu erwarten steht, daß dies in Zukunft nach den jüngst getroffenen Ma߬
nahmen der Staatsregierung weniger der Fall sein dürfte, so wird dennoch
lange Zeit vergehen, ehe dem Lehrermangel abgeholfen sein wird.

Eine bessere Besoldung der selbständigen Lehrerstellcn und eine Vermin¬
derung der Hilfslehrerstellen (die Hilfslehrer, hier Adjuvcmten genannt, beziehen
nämlich außer freier Wohnung und Heizung nur 570 Mark jährliches Einkommen)
würde vielleicht gegen den Weggang der jüngeren Lehrer das beste Gegenmittel
sein, wenn nicht dadurch die Schullasteu der Schulgemeinden beziehentlich des
Staates, der vielfach aushilft, hierdurch sehr erheblich vermehrt werden würden.
Eher dürfte sich am Ende doch noch die Errichtung eines oder zweier neuen
katholischen Seminare empfehlen, denn der Mangel an katholischen Lehrern, der
jetzt in Oberschlesien vorhanden ist, wird über kurz oder lang auch in denjenigen
Gegenden zu Tage treten, die ihre Lehrerstellcn bisher mit oberschlesischen: Ersatz
besetzt haben und ihn von hier cmsdann nicht mehr erhalten können.

Die innern Schwierigkeiten, die sich der Hebung des Schulwesens bisher
in den Weg gestellt haben, beruhen, abgesehen von der bereits erwähnten Über¬
füllung der Schulen und dem unregelmäßigen Schulbesuch, der durch die weiten
und schlechten Schulwege verursacht wird, zunächst in den Sprachverhältnissen.
Ehe wir diese erörtern, wollen wir uns jedoch mit der vielfach aufgestellten
Behauptung, daß der schlechte Schulbesuch meist durch die Gleichgiltigkeit der
Bevölkerung verursacht werde, auseinandersetzen. Wer die oberschlesischen Ver¬
hältnisse aus eigner Anschauung kennt, der wird zugeben, daß die hiesige Be¬
völkerung, von bitterer Not gezwungen, ihre Kinder wohl öfters zu wirtschaft¬
lichen Verrichtungen zu Hause behält. Seitdem aber nach Aufhebung der
veralteten Bestimmungen des schlesischen Schulreglcmcnts vom Jahre 1801 eine
strengere Bestrafung der ungerechtfertigten Schulversäumnisse ermöglicht worden
ist, hat auch dies nachgelassen, und der Schulbesuch ist wesentlich besser geworden,
besser als in Posen und Westpreußen, wo schon längst schärfere Bestimmungen
in Kraft waren. Und wer gesehen hat, wie auf dem Lande Kinder von acht
bis zehn Jahren bei zehn Grad Kälte, dürftig gekleidet und barfuß, eine Viertel¬
meile weit die Schule besuchen, der wird der oberschlesischen Bevölkerung in
dieser Hinsicht gewiß keine Gleichgiltigkeit mehr vorwerfen.

Nun die Sprache. Wie wir schon sahen, ist die hauptsächlichste Sprache
der Landbevölkerung die polnische, aber auch die mährische und böhmische ist
vorhanden, die Unterrichtssprache ist aber nur die deutsche. Nur auf der Unter¬
stufe wird die biblische Geschichte den Kindern in der Muttersprache erteilt und


Vberschlesien und seine Germanisirung.

Gegenden annimmt. Berlin, Breslau und der fürstbischöfliche Delegaturbczirk
Berlin mit seinen katholischen Schulen in der Mark und in Pommern ziehen
den größten Teil hiervon an sich. Und gerade die tüchtigeren Lehrer sind es in
der Regel, die zum Schaden der oberschlesischen Schulen wenige Jahre nach ihrer
Entlassung aus dem Seminar Oberschlesien den Rücken kehren. Wenn nun
auch zu erwarten steht, daß dies in Zukunft nach den jüngst getroffenen Ma߬
nahmen der Staatsregierung weniger der Fall sein dürfte, so wird dennoch
lange Zeit vergehen, ehe dem Lehrermangel abgeholfen sein wird.

Eine bessere Besoldung der selbständigen Lehrerstellcn und eine Vermin¬
derung der Hilfslehrerstellen (die Hilfslehrer, hier Adjuvcmten genannt, beziehen
nämlich außer freier Wohnung und Heizung nur 570 Mark jährliches Einkommen)
würde vielleicht gegen den Weggang der jüngeren Lehrer das beste Gegenmittel
sein, wenn nicht dadurch die Schullasteu der Schulgemeinden beziehentlich des
Staates, der vielfach aushilft, hierdurch sehr erheblich vermehrt werden würden.
Eher dürfte sich am Ende doch noch die Errichtung eines oder zweier neuen
katholischen Seminare empfehlen, denn der Mangel an katholischen Lehrern, der
jetzt in Oberschlesien vorhanden ist, wird über kurz oder lang auch in denjenigen
Gegenden zu Tage treten, die ihre Lehrerstellcn bisher mit oberschlesischen: Ersatz
besetzt haben und ihn von hier cmsdann nicht mehr erhalten können.

Die innern Schwierigkeiten, die sich der Hebung des Schulwesens bisher
in den Weg gestellt haben, beruhen, abgesehen von der bereits erwähnten Über¬
füllung der Schulen und dem unregelmäßigen Schulbesuch, der durch die weiten
und schlechten Schulwege verursacht wird, zunächst in den Sprachverhältnissen.
Ehe wir diese erörtern, wollen wir uns jedoch mit der vielfach aufgestellten
Behauptung, daß der schlechte Schulbesuch meist durch die Gleichgiltigkeit der
Bevölkerung verursacht werde, auseinandersetzen. Wer die oberschlesischen Ver¬
hältnisse aus eigner Anschauung kennt, der wird zugeben, daß die hiesige Be¬
völkerung, von bitterer Not gezwungen, ihre Kinder wohl öfters zu wirtschaft¬
lichen Verrichtungen zu Hause behält. Seitdem aber nach Aufhebung der
veralteten Bestimmungen des schlesischen Schulreglcmcnts vom Jahre 1801 eine
strengere Bestrafung der ungerechtfertigten Schulversäumnisse ermöglicht worden
ist, hat auch dies nachgelassen, und der Schulbesuch ist wesentlich besser geworden,
besser als in Posen und Westpreußen, wo schon längst schärfere Bestimmungen
in Kraft waren. Und wer gesehen hat, wie auf dem Lande Kinder von acht
bis zehn Jahren bei zehn Grad Kälte, dürftig gekleidet und barfuß, eine Viertel¬
meile weit die Schule besuchen, der wird der oberschlesischen Bevölkerung in
dieser Hinsicht gewiß keine Gleichgiltigkeit mehr vorwerfen.

Nun die Sprache. Wie wir schon sahen, ist die hauptsächlichste Sprache
der Landbevölkerung die polnische, aber auch die mährische und böhmische ist
vorhanden, die Unterrichtssprache ist aber nur die deutsche. Nur auf der Unter¬
stufe wird die biblische Geschichte den Kindern in der Muttersprache erteilt und


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[0214] Vberschlesien und seine Germanisirung. Gegenden annimmt. Berlin, Breslau und der fürstbischöfliche Delegaturbczirk Berlin mit seinen katholischen Schulen in der Mark und in Pommern ziehen den größten Teil hiervon an sich. Und gerade die tüchtigeren Lehrer sind es in der Regel, die zum Schaden der oberschlesischen Schulen wenige Jahre nach ihrer Entlassung aus dem Seminar Oberschlesien den Rücken kehren. Wenn nun auch zu erwarten steht, daß dies in Zukunft nach den jüngst getroffenen Ma߬ nahmen der Staatsregierung weniger der Fall sein dürfte, so wird dennoch lange Zeit vergehen, ehe dem Lehrermangel abgeholfen sein wird. Eine bessere Besoldung der selbständigen Lehrerstellcn und eine Vermin¬ derung der Hilfslehrerstellen (die Hilfslehrer, hier Adjuvcmten genannt, beziehen nämlich außer freier Wohnung und Heizung nur 570 Mark jährliches Einkommen) würde vielleicht gegen den Weggang der jüngeren Lehrer das beste Gegenmittel sein, wenn nicht dadurch die Schullasteu der Schulgemeinden beziehentlich des Staates, der vielfach aushilft, hierdurch sehr erheblich vermehrt werden würden. Eher dürfte sich am Ende doch noch die Errichtung eines oder zweier neuen katholischen Seminare empfehlen, denn der Mangel an katholischen Lehrern, der jetzt in Oberschlesien vorhanden ist, wird über kurz oder lang auch in denjenigen Gegenden zu Tage treten, die ihre Lehrerstellcn bisher mit oberschlesischen: Ersatz besetzt haben und ihn von hier cmsdann nicht mehr erhalten können. Die innern Schwierigkeiten, die sich der Hebung des Schulwesens bisher in den Weg gestellt haben, beruhen, abgesehen von der bereits erwähnten Über¬ füllung der Schulen und dem unregelmäßigen Schulbesuch, der durch die weiten und schlechten Schulwege verursacht wird, zunächst in den Sprachverhältnissen. Ehe wir diese erörtern, wollen wir uns jedoch mit der vielfach aufgestellten Behauptung, daß der schlechte Schulbesuch meist durch die Gleichgiltigkeit der Bevölkerung verursacht werde, auseinandersetzen. Wer die oberschlesischen Ver¬ hältnisse aus eigner Anschauung kennt, der wird zugeben, daß die hiesige Be¬ völkerung, von bitterer Not gezwungen, ihre Kinder wohl öfters zu wirtschaft¬ lichen Verrichtungen zu Hause behält. Seitdem aber nach Aufhebung der veralteten Bestimmungen des schlesischen Schulreglcmcnts vom Jahre 1801 eine strengere Bestrafung der ungerechtfertigten Schulversäumnisse ermöglicht worden ist, hat auch dies nachgelassen, und der Schulbesuch ist wesentlich besser geworden, besser als in Posen und Westpreußen, wo schon längst schärfere Bestimmungen in Kraft waren. Und wer gesehen hat, wie auf dem Lande Kinder von acht bis zehn Jahren bei zehn Grad Kälte, dürftig gekleidet und barfuß, eine Viertel¬ meile weit die Schule besuchen, der wird der oberschlesischen Bevölkerung in dieser Hinsicht gewiß keine Gleichgiltigkeit mehr vorwerfen. Nun die Sprache. Wie wir schon sahen, ist die hauptsächlichste Sprache der Landbevölkerung die polnische, aber auch die mährische und böhmische ist vorhanden, die Unterrichtssprache ist aber nur die deutsche. Nur auf der Unter¬ stufe wird die biblische Geschichte den Kindern in der Muttersprache erteilt und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/214>, abgerufen am 29.05.2024.