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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Vberschlesien und seine Germanisirung.

(es sind allein in Oberschlesien jetzt vierunddreißig ständige Kreisschulinspeltorcn
und mir drei Kreisschulinspektoren im Nebenamt thätig), und ferner durch
Errichtung neuer Schulen und durch Gründling neuer Klassen an über¬
füllten Schulen für die Hebung des Schulwesens bedacht gewesen ist. Es ist
dies aber auch nicht zum geringsten Teile ein Verdienst der oberschlesischen
Lehrerschaft, die in ihrer Gesamtheit den Absichten der Regierung gewissenhaft
und pflichttreu nachgekommen ist.

Ehe wir die Verhältnisse schildern, die sich der in der Schule begonnenen
Germanisirung Oberschlesiens jetzt noch hindernd in den Weg stellen, wollen
wir noch in der Kürze die Maßnahmen der Staatsregierung zu begründen
suchen, um deretwillen seit dem Jahre 1873 in den Schulen die deutsche Sprache
als die Unterrichtssprache eingeführt und die polnische und mährische lediglich
auf den Religionsunterricht der Unterstufe beschränkt worden ist. Die Gründe
hierfür sind im wesentlichen dieselben, wie sie die Festsetzung ähnlicher Be¬
stimmungen in den Provinzen Posen, Westpreußen und Ostpreußen gegenüber
der polnischen, mcisurischen und litauischen Sprache verursacht haben. Sie
sind zunächst rein pädagogischer Art und gehen aus von den Schwierigkeiten,
die dem Unterricht in der Volksschule dadurch erwuchsen, daß gewissermaßen
zwei gleichberechtigte Unterrichtssprache" (deutsch und polnisch oder mährisch,
masurisch, littauisch) neben einander bestanden, und daß wegen der Kürze der
wöchentlichen Unterrichtszeit und der Menge der zu bewältigenden Unterrichts¬
fächer bei dieser Zweiheit der Unterrichtssprachen in keiner Sprache und in
keinem einzigen Fache etwas Ordentliches sich erreichen ließ, und daß natürlich
wegen Vorliebe der Schuljugend und vielfach auch der Lehrer für ihre Mutter¬
sprache, wenn eine der beiden Sprachen zu kurz kam, es in der Regel die
deutsche war.

Nun ist aber unzweifelhaft die deutsche Sprache für alle Angehörigen des
großen deutschen Reiches eine weit wichtigere Sprache als Polnisch, Mährisch,
Masurisch oder Litauisch. Denn wer die deutsche Sprache vollständig beherrscht,
findet im ganzen deutschen Reiche und weit darüber hinaus leicht sein Fort¬
kommen, während das Polnische, Mährische, Masurische oder Littauische nur
einen beschränkteren Geltungsbereich hat. Man sage nicht, daß dieser Grund
nicht stichhaltig sei. Wer in gemischtsprachigen Bezirken gelebt hat, wird es
wiederholt erfahren haben, daß der polnische Arbeiter, der des Deutschen mächtig
ist, fast immer den Vorzug vor demjenigen erhält, der nur polnisch spricht.
Denn nicht nur zur Anstellung bei allen Behörden ist die mündliche und schrift¬
liche Kenntnis der deutschen Sprache unerläßlich, auch in den meisten Privat-
stclluugen, die sich über die Stufe der gewöhnlichen Handarbeit erheben, ist
dies der Fall.

Erwägt man nun ferner noch die Schwierigkeiten, die sich für eine Schule
dadurch ergeben, daß in ihr, wie es in den sprachlich gemischten Bezirken nicht


Vberschlesien und seine Germanisirung.

(es sind allein in Oberschlesien jetzt vierunddreißig ständige Kreisschulinspeltorcn
und mir drei Kreisschulinspektoren im Nebenamt thätig), und ferner durch
Errichtung neuer Schulen und durch Gründling neuer Klassen an über¬
füllten Schulen für die Hebung des Schulwesens bedacht gewesen ist. Es ist
dies aber auch nicht zum geringsten Teile ein Verdienst der oberschlesischen
Lehrerschaft, die in ihrer Gesamtheit den Absichten der Regierung gewissenhaft
und pflichttreu nachgekommen ist.

Ehe wir die Verhältnisse schildern, die sich der in der Schule begonnenen
Germanisirung Oberschlesiens jetzt noch hindernd in den Weg stellen, wollen
wir noch in der Kürze die Maßnahmen der Staatsregierung zu begründen
suchen, um deretwillen seit dem Jahre 1873 in den Schulen die deutsche Sprache
als die Unterrichtssprache eingeführt und die polnische und mährische lediglich
auf den Religionsunterricht der Unterstufe beschränkt worden ist. Die Gründe
hierfür sind im wesentlichen dieselben, wie sie die Festsetzung ähnlicher Be¬
stimmungen in den Provinzen Posen, Westpreußen und Ostpreußen gegenüber
der polnischen, mcisurischen und litauischen Sprache verursacht haben. Sie
sind zunächst rein pädagogischer Art und gehen aus von den Schwierigkeiten,
die dem Unterricht in der Volksschule dadurch erwuchsen, daß gewissermaßen
zwei gleichberechtigte Unterrichtssprache» (deutsch und polnisch oder mährisch,
masurisch, littauisch) neben einander bestanden, und daß wegen der Kürze der
wöchentlichen Unterrichtszeit und der Menge der zu bewältigenden Unterrichts¬
fächer bei dieser Zweiheit der Unterrichtssprachen in keiner Sprache und in
keinem einzigen Fache etwas Ordentliches sich erreichen ließ, und daß natürlich
wegen Vorliebe der Schuljugend und vielfach auch der Lehrer für ihre Mutter¬
sprache, wenn eine der beiden Sprachen zu kurz kam, es in der Regel die
deutsche war.

Nun ist aber unzweifelhaft die deutsche Sprache für alle Angehörigen des
großen deutschen Reiches eine weit wichtigere Sprache als Polnisch, Mährisch,
Masurisch oder Litauisch. Denn wer die deutsche Sprache vollständig beherrscht,
findet im ganzen deutschen Reiche und weit darüber hinaus leicht sein Fort¬
kommen, während das Polnische, Mährische, Masurische oder Littauische nur
einen beschränkteren Geltungsbereich hat. Man sage nicht, daß dieser Grund
nicht stichhaltig sei. Wer in gemischtsprachigen Bezirken gelebt hat, wird es
wiederholt erfahren haben, daß der polnische Arbeiter, der des Deutschen mächtig
ist, fast immer den Vorzug vor demjenigen erhält, der nur polnisch spricht.
Denn nicht nur zur Anstellung bei allen Behörden ist die mündliche und schrift¬
liche Kenntnis der deutschen Sprache unerläßlich, auch in den meisten Privat-
stclluugen, die sich über die Stufe der gewöhnlichen Handarbeit erheben, ist
dies der Fall.

Erwägt man nun ferner noch die Schwierigkeiten, die sich für eine Schule
dadurch ergeben, daß in ihr, wie es in den sprachlich gemischten Bezirken nicht


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[0216] Vberschlesien und seine Germanisirung. (es sind allein in Oberschlesien jetzt vierunddreißig ständige Kreisschulinspeltorcn und mir drei Kreisschulinspektoren im Nebenamt thätig), und ferner durch Errichtung neuer Schulen und durch Gründling neuer Klassen an über¬ füllten Schulen für die Hebung des Schulwesens bedacht gewesen ist. Es ist dies aber auch nicht zum geringsten Teile ein Verdienst der oberschlesischen Lehrerschaft, die in ihrer Gesamtheit den Absichten der Regierung gewissenhaft und pflichttreu nachgekommen ist. Ehe wir die Verhältnisse schildern, die sich der in der Schule begonnenen Germanisirung Oberschlesiens jetzt noch hindernd in den Weg stellen, wollen wir noch in der Kürze die Maßnahmen der Staatsregierung zu begründen suchen, um deretwillen seit dem Jahre 1873 in den Schulen die deutsche Sprache als die Unterrichtssprache eingeführt und die polnische und mährische lediglich auf den Religionsunterricht der Unterstufe beschränkt worden ist. Die Gründe hierfür sind im wesentlichen dieselben, wie sie die Festsetzung ähnlicher Be¬ stimmungen in den Provinzen Posen, Westpreußen und Ostpreußen gegenüber der polnischen, mcisurischen und litauischen Sprache verursacht haben. Sie sind zunächst rein pädagogischer Art und gehen aus von den Schwierigkeiten, die dem Unterricht in der Volksschule dadurch erwuchsen, daß gewissermaßen zwei gleichberechtigte Unterrichtssprache» (deutsch und polnisch oder mährisch, masurisch, littauisch) neben einander bestanden, und daß wegen der Kürze der wöchentlichen Unterrichtszeit und der Menge der zu bewältigenden Unterrichts¬ fächer bei dieser Zweiheit der Unterrichtssprachen in keiner Sprache und in keinem einzigen Fache etwas Ordentliches sich erreichen ließ, und daß natürlich wegen Vorliebe der Schuljugend und vielfach auch der Lehrer für ihre Mutter¬ sprache, wenn eine der beiden Sprachen zu kurz kam, es in der Regel die deutsche war. Nun ist aber unzweifelhaft die deutsche Sprache für alle Angehörigen des großen deutschen Reiches eine weit wichtigere Sprache als Polnisch, Mährisch, Masurisch oder Litauisch. Denn wer die deutsche Sprache vollständig beherrscht, findet im ganzen deutschen Reiche und weit darüber hinaus leicht sein Fort¬ kommen, während das Polnische, Mährische, Masurische oder Littauische nur einen beschränkteren Geltungsbereich hat. Man sage nicht, daß dieser Grund nicht stichhaltig sei. Wer in gemischtsprachigen Bezirken gelebt hat, wird es wiederholt erfahren haben, daß der polnische Arbeiter, der des Deutschen mächtig ist, fast immer den Vorzug vor demjenigen erhält, der nur polnisch spricht. Denn nicht nur zur Anstellung bei allen Behörden ist die mündliche und schrift¬ liche Kenntnis der deutschen Sprache unerläßlich, auch in den meisten Privat- stclluugen, die sich über die Stufe der gewöhnlichen Handarbeit erheben, ist dies der Fall. Erwägt man nun ferner noch die Schwierigkeiten, die sich für eine Schule dadurch ergeben, daß in ihr, wie es in den sprachlich gemischten Bezirken nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/216>, abgerufen am 13.05.2024.