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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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volapük.

an praktischer Sprachkenntnis ein zweiter Mithridates oder Mezzofanti sein,
in den Geist der Sprache und der Sprachen ist er nicht eingedrungen, alles
trägt bei ihm einen groben, äußerlichen, mechanischen Charakter. Der Wort¬
schatz ist wesentlich aus sechs Sprachen, insbesondre aus Englisch, Deutsch,
Französisch und Latein, zusammengesetzt. Aber wie!


Sechs Sprachen hat ein Pfiffikus
Durch die Rekord' getrieben --
Zum Teufel ist der Spiritus
Und Volapük geblieben!

Doch dieser chemische Vergleich ist zu zahm. Herr Schleyer hat anscheinend
den Prokrustes nachgeahmt, der bekanntlich seine hochgewachsenen Gäste in
eine winzige Bettstelle zwang und ihnen von ihrer Länge mittels eines Beiles
soviel abhackte, daß sie in dem Behältnis Platz fanden, den kurzen aber in einer
langen Bettstelle die Glieder verrenkte und ausrenkte, bis sie oben und unten
anstießen. Nur eine kleine Reihe von Wörtern hat unverändert im Volapük
Aufnahme gefunden, die meisten passen nicht in die Bettstelle und werden teils
gestreckt, teils verstümmelt. Aus Milch wird rniliZ, aus gut guäilc, aus
März niÄnul, aus West vWüä. Das Hauptverfahreu besteht jedoch in einer
barbarischen Anwendung von Säge und Messer. Die englischen Wörter 1-lap,
LxööK und portal z. B. beschneidet Herr Schleyer zu 18.Ä, xülc und vol; aus
den französischen Jnvolution, univorsito, s-xxotit und anlag.1 wird dnrch Zer¬
fleischung volrck, moor, xötüt und nim gebildet; die lateinischen Worte t^vulu,,
lluinsn und <zg.inxri8 müssen sich die Verstümmelung zu eg,d, llunr und Kam
gefallen lassen; aus dem deutschen Forst, Stroh und Trinker werden die vo-
lapülischen Formen tot, stol und ätinot zusammengehauen. Gewiß ist es recht
bequem und fördert das Ersindungsgeschäft außerordentlich, wenn man, statt
einen eignen Sprachschatz mühevoll nuszusinnen, allenthalben Anleihen macht
und mit dem Zusammengerafften nach Willkür verfährt, aber wer hat denn
Herrn Schleyer das Recht gegeben, so brutal") und vandalistisch mit dem Gute
fremder Organismen umzuspringen? Niemand, und es besitzt auch schlechterdings
niemand eine Befugnis zur Gestattung solcher Missethaten. Da hört mau nun
oft von Anhängern des Volapük den EinWurf, die Stenographie beschneide doch
auch erbarmungslos die altehrwürdigen Schriftzüge, um aus dem verstümmelten
Material flüchtige und bequeme Wortbilder zu gestalten, ohne daß ihr jemals
ein Vorwurf daraus gemacht werde. Ganz richtig! Aber wer sich mit diesem
Hinweis den Rücken decken will, zeigt aufs neue, daß ihm das Wesen der
Sprache ein versiegeltes Buch geblieben ist. Wie kann man in Bezug auf
Entstehung den natürlich erwachsenen Organismus der Sprache vergleichen mit



*) Diesen Ausdruck hat ein begeisterter Anhänger des Volapük in einer Entgegnung
an Professor G. Meyer selbst gebraucht.
volapük.

an praktischer Sprachkenntnis ein zweiter Mithridates oder Mezzofanti sein,
in den Geist der Sprache und der Sprachen ist er nicht eingedrungen, alles
trägt bei ihm einen groben, äußerlichen, mechanischen Charakter. Der Wort¬
schatz ist wesentlich aus sechs Sprachen, insbesondre aus Englisch, Deutsch,
Französisch und Latein, zusammengesetzt. Aber wie!


Sechs Sprachen hat ein Pfiffikus
Durch die Rekord' getrieben —
Zum Teufel ist der Spiritus
Und Volapük geblieben!

Doch dieser chemische Vergleich ist zu zahm. Herr Schleyer hat anscheinend
den Prokrustes nachgeahmt, der bekanntlich seine hochgewachsenen Gäste in
eine winzige Bettstelle zwang und ihnen von ihrer Länge mittels eines Beiles
soviel abhackte, daß sie in dem Behältnis Platz fanden, den kurzen aber in einer
langen Bettstelle die Glieder verrenkte und ausrenkte, bis sie oben und unten
anstießen. Nur eine kleine Reihe von Wörtern hat unverändert im Volapük
Aufnahme gefunden, die meisten passen nicht in die Bettstelle und werden teils
gestreckt, teils verstümmelt. Aus Milch wird rniliZ, aus gut guäilc, aus
März niÄnul, aus West vWüä. Das Hauptverfahreu besteht jedoch in einer
barbarischen Anwendung von Säge und Messer. Die englischen Wörter 1-lap,
LxööK und portal z. B. beschneidet Herr Schleyer zu 18.Ä, xülc und vol; aus
den französischen Jnvolution, univorsito, s-xxotit und anlag.1 wird dnrch Zer¬
fleischung volrck, moor, xötüt und nim gebildet; die lateinischen Worte t^vulu,,
lluinsn und <zg.inxri8 müssen sich die Verstümmelung zu eg,d, llunr und Kam
gefallen lassen; aus dem deutschen Forst, Stroh und Trinker werden die vo-
lapülischen Formen tot, stol und ätinot zusammengehauen. Gewiß ist es recht
bequem und fördert das Ersindungsgeschäft außerordentlich, wenn man, statt
einen eignen Sprachschatz mühevoll nuszusinnen, allenthalben Anleihen macht
und mit dem Zusammengerafften nach Willkür verfährt, aber wer hat denn
Herrn Schleyer das Recht gegeben, so brutal") und vandalistisch mit dem Gute
fremder Organismen umzuspringen? Niemand, und es besitzt auch schlechterdings
niemand eine Befugnis zur Gestattung solcher Missethaten. Da hört mau nun
oft von Anhängern des Volapük den EinWurf, die Stenographie beschneide doch
auch erbarmungslos die altehrwürdigen Schriftzüge, um aus dem verstümmelten
Material flüchtige und bequeme Wortbilder zu gestalten, ohne daß ihr jemals
ein Vorwurf daraus gemacht werde. Ganz richtig! Aber wer sich mit diesem
Hinweis den Rücken decken will, zeigt aufs neue, daß ihm das Wesen der
Sprache ein versiegeltes Buch geblieben ist. Wie kann man in Bezug auf
Entstehung den natürlich erwachsenen Organismus der Sprache vergleichen mit



*) Diesen Ausdruck hat ein begeisterter Anhänger des Volapük in einer Entgegnung
an Professor G. Meyer selbst gebraucht.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/218>, abgerufen am 14.05.2024.