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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Klagen eines Zeitungsschreibers.

Leuten einen Zeitaufwand verlange, den sie sich nicht gestatten können. Um
höheren geistigen Bedürfnissen zu genügen, um wissenschaftliche Gegenstände
eingehender zu erörtern, gediegeneren literarischen Kräften Gelegenheit zur Ver¬
wendung zu geben, dazu seien außer den Büchern ja die Zeitschriften vorhanden.
Da will ich denn ein andres Beispiel anführen. In einer wohlhabenden Pro-
vinzialstadt von 30 -- 40 000 Einwohnern besteht ein Verein, der sich zu
geselligen und literarischen Zwecken zusammengethan hat. Dieser Verein, dem
anzugehören auch ich längere Zeit die Ehre hatte, umfaßt die sogenannte
"Elite" dieser Stadt in Hinsicht ans Intelligenz und Wohlhabenheit; es sind
darin Beamte, Lehrer, Kaufleute u. f. w. vertreten. Von diesem Verein werden
mehrere größere Zeitungen und einige Zeitschriften gehalten. Aber das für
literarische Zwecke bestimmte Geld steht beständig in Gefahr, zu Gunsten der
zu Vergnüguugszwecken ausgegebenen Summe beschnitten zu werden, da die
Mehrzahl der Mitglieder nicht genügend literarische Bedürfnisse besitzt, um
hierfür eine erhebliche Summe zu opfern, und dann sich weigert, für die Minder¬
zahl die Kosten tragen zu helfen. Und wenn man den Besuch des Lesezimmers
mustert, so muß man sich nur darüber wundern, daß überhaupt noch so viel
für Lesestoff ausgegeben wird. Hauptsächlich die illustrirten Zeitschriften sind es,
welche das Interesse erregen, während andre Schriften oft unbenutzt liegen
bleiben oder doch nur von den wenigsten Mitgliedern des Vereins benutzt werden.

Diejenigen "oberen Zehntausend," die an geistiger Begabung die Mehrzahl
überragen, die man die geistige Aristokratie nennt, die nach geistiger Nahrung
Verlangen tragen, die den Gcistesprodukten der Schriftsteller ihres Volkes leb¬
haftes Interesse entgegenbringen, die an einer denkenden Betrachtung Gefallen
finden -- wo sind sie zu finden? Ich weiß nicht, ob ihre Zahl größer oder
geringer ist als die Zahl derjenigen, welche in Hinsicht auf materiellen Wohl¬
stand die Spitze der Gesellschaft bilden, aber das weiß ich, daß nnter dem Volke
der Denker die Zahl derjenigen, welche diesen Namen und Unrecht führen, bei
weitem überwiegt. Wer zählt die aufkeimenden Talente, die durch diesen Mangel
an idealen Interessen gezwungen werden, ihre Leistungen auf ein niedrigeres
Maß herabzudrücken, als wozu sie befähigt wären und den Beruf in sich fühlen!

Ich habe hier die Verhältnisse einer Provinz geschildert, welche un In¬
telligenz wohl hinter keiner Gegend des deutschen Reiches zurücksteht, vielmehr
in Hinsicht auf Schulbildung und Prozentsatz der Verbrechen die günstigsten
Zahlen auszuweisen hat, sodaß kein Grund zu der Annahme ist, daß es in der
beregten Sache anderswo besser stehe. Wenn dies aber so ist, wenn selbst
Zeitungen und Zeitschriften, sobald das Lesen derselben mehr Zeit, Aufmerk¬
samkeit und ein eingehenderes Verständnis erfordert, so wenig gelesen werden,
so kann man sich nicht wundern, daß es für die zahlreichen jährlich erscheinenden
Bücher erst recht an genügendem Absatz fehlt.

Dies Übel wird schwer abzustellen sein, denn es beruht auf einem selt-


Klagen eines Zeitungsschreibers.

Leuten einen Zeitaufwand verlange, den sie sich nicht gestatten können. Um
höheren geistigen Bedürfnissen zu genügen, um wissenschaftliche Gegenstände
eingehender zu erörtern, gediegeneren literarischen Kräften Gelegenheit zur Ver¬
wendung zu geben, dazu seien außer den Büchern ja die Zeitschriften vorhanden.
Da will ich denn ein andres Beispiel anführen. In einer wohlhabenden Pro-
vinzialstadt von 30 — 40 000 Einwohnern besteht ein Verein, der sich zu
geselligen und literarischen Zwecken zusammengethan hat. Dieser Verein, dem
anzugehören auch ich längere Zeit die Ehre hatte, umfaßt die sogenannte
„Elite" dieser Stadt in Hinsicht ans Intelligenz und Wohlhabenheit; es sind
darin Beamte, Lehrer, Kaufleute u. f. w. vertreten. Von diesem Verein werden
mehrere größere Zeitungen und einige Zeitschriften gehalten. Aber das für
literarische Zwecke bestimmte Geld steht beständig in Gefahr, zu Gunsten der
zu Vergnüguugszwecken ausgegebenen Summe beschnitten zu werden, da die
Mehrzahl der Mitglieder nicht genügend literarische Bedürfnisse besitzt, um
hierfür eine erhebliche Summe zu opfern, und dann sich weigert, für die Minder¬
zahl die Kosten tragen zu helfen. Und wenn man den Besuch des Lesezimmers
mustert, so muß man sich nur darüber wundern, daß überhaupt noch so viel
für Lesestoff ausgegeben wird. Hauptsächlich die illustrirten Zeitschriften sind es,
welche das Interesse erregen, während andre Schriften oft unbenutzt liegen
bleiben oder doch nur von den wenigsten Mitgliedern des Vereins benutzt werden.

Diejenigen „oberen Zehntausend," die an geistiger Begabung die Mehrzahl
überragen, die man die geistige Aristokratie nennt, die nach geistiger Nahrung
Verlangen tragen, die den Gcistesprodukten der Schriftsteller ihres Volkes leb¬
haftes Interesse entgegenbringen, die an einer denkenden Betrachtung Gefallen
finden — wo sind sie zu finden? Ich weiß nicht, ob ihre Zahl größer oder
geringer ist als die Zahl derjenigen, welche in Hinsicht auf materiellen Wohl¬
stand die Spitze der Gesellschaft bilden, aber das weiß ich, daß nnter dem Volke
der Denker die Zahl derjenigen, welche diesen Namen und Unrecht führen, bei
weitem überwiegt. Wer zählt die aufkeimenden Talente, die durch diesen Mangel
an idealen Interessen gezwungen werden, ihre Leistungen auf ein niedrigeres
Maß herabzudrücken, als wozu sie befähigt wären und den Beruf in sich fühlen!

Ich habe hier die Verhältnisse einer Provinz geschildert, welche un In¬
telligenz wohl hinter keiner Gegend des deutschen Reiches zurücksteht, vielmehr
in Hinsicht auf Schulbildung und Prozentsatz der Verbrechen die günstigsten
Zahlen auszuweisen hat, sodaß kein Grund zu der Annahme ist, daß es in der
beregten Sache anderswo besser stehe. Wenn dies aber so ist, wenn selbst
Zeitungen und Zeitschriften, sobald das Lesen derselben mehr Zeit, Aufmerk¬
samkeit und ein eingehenderes Verständnis erfordert, so wenig gelesen werden,
so kann man sich nicht wundern, daß es für die zahlreichen jährlich erscheinenden
Bücher erst recht an genügendem Absatz fehlt.

Dies Übel wird schwer abzustellen sein, denn es beruht auf einem selt-


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[0242] Klagen eines Zeitungsschreibers. Leuten einen Zeitaufwand verlange, den sie sich nicht gestatten können. Um höheren geistigen Bedürfnissen zu genügen, um wissenschaftliche Gegenstände eingehender zu erörtern, gediegeneren literarischen Kräften Gelegenheit zur Ver¬ wendung zu geben, dazu seien außer den Büchern ja die Zeitschriften vorhanden. Da will ich denn ein andres Beispiel anführen. In einer wohlhabenden Pro- vinzialstadt von 30 — 40 000 Einwohnern besteht ein Verein, der sich zu geselligen und literarischen Zwecken zusammengethan hat. Dieser Verein, dem anzugehören auch ich längere Zeit die Ehre hatte, umfaßt die sogenannte „Elite" dieser Stadt in Hinsicht ans Intelligenz und Wohlhabenheit; es sind darin Beamte, Lehrer, Kaufleute u. f. w. vertreten. Von diesem Verein werden mehrere größere Zeitungen und einige Zeitschriften gehalten. Aber das für literarische Zwecke bestimmte Geld steht beständig in Gefahr, zu Gunsten der zu Vergnüguugszwecken ausgegebenen Summe beschnitten zu werden, da die Mehrzahl der Mitglieder nicht genügend literarische Bedürfnisse besitzt, um hierfür eine erhebliche Summe zu opfern, und dann sich weigert, für die Minder¬ zahl die Kosten tragen zu helfen. Und wenn man den Besuch des Lesezimmers mustert, so muß man sich nur darüber wundern, daß überhaupt noch so viel für Lesestoff ausgegeben wird. Hauptsächlich die illustrirten Zeitschriften sind es, welche das Interesse erregen, während andre Schriften oft unbenutzt liegen bleiben oder doch nur von den wenigsten Mitgliedern des Vereins benutzt werden. Diejenigen „oberen Zehntausend," die an geistiger Begabung die Mehrzahl überragen, die man die geistige Aristokratie nennt, die nach geistiger Nahrung Verlangen tragen, die den Gcistesprodukten der Schriftsteller ihres Volkes leb¬ haftes Interesse entgegenbringen, die an einer denkenden Betrachtung Gefallen finden — wo sind sie zu finden? Ich weiß nicht, ob ihre Zahl größer oder geringer ist als die Zahl derjenigen, welche in Hinsicht auf materiellen Wohl¬ stand die Spitze der Gesellschaft bilden, aber das weiß ich, daß nnter dem Volke der Denker die Zahl derjenigen, welche diesen Namen und Unrecht führen, bei weitem überwiegt. Wer zählt die aufkeimenden Talente, die durch diesen Mangel an idealen Interessen gezwungen werden, ihre Leistungen auf ein niedrigeres Maß herabzudrücken, als wozu sie befähigt wären und den Beruf in sich fühlen! Ich habe hier die Verhältnisse einer Provinz geschildert, welche un In¬ telligenz wohl hinter keiner Gegend des deutschen Reiches zurücksteht, vielmehr in Hinsicht auf Schulbildung und Prozentsatz der Verbrechen die günstigsten Zahlen auszuweisen hat, sodaß kein Grund zu der Annahme ist, daß es in der beregten Sache anderswo besser stehe. Wenn dies aber so ist, wenn selbst Zeitungen und Zeitschriften, sobald das Lesen derselben mehr Zeit, Aufmerk¬ samkeit und ein eingehenderes Verständnis erfordert, so wenig gelesen werden, so kann man sich nicht wundern, daß es für die zahlreichen jährlich erscheinenden Bücher erst recht an genügendem Absatz fehlt. Dies Übel wird schwer abzustellen sein, denn es beruht auf einem selt-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/242>, abgerufen am 31.05.2024.