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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Aus einem Kriegstagebuchs,

Chasfepots und machen bedenkliche Gesichter, wenn sie an die eignen Zünd-
ncidclgewehre denken, die nicht halb so weit tragen.

Die Tage werden immer aufregender. Ein Füsilier Krauß hat den ersten
Franzosen erschossen und ist deswegen Gefreiter geworden, dagegen hat auch
ein soeben eingetretener Ulan sein junges Leben lassen müssen. An dem Wirts¬
hause am Exerzierplatze sammeln sich unsre Bürger gern, um mit bewaffneten
und unbewaffneten Augen die Berge und Häuser an der Grenze zu beobachten.
Die Franzosen fühlen sich dadurch verletzt und senden uns Granaten, die die
Mauern des Wirtshauses durchlöchern und an den Spiegeln und Tischen Zer¬
störungen anrichten. Unsre Leute waren gewarnt und flüchteten. Eine Granate
flog sogar über die Höhe herüber bis unten am Hahnen bei dem Versorgungs¬
haus. Wir glaubten, die roten Massen würden schon jetzt einen Angriff
machen und die Höhen verlassen. Aber es war noch nicht so weit. Die Chasseurs
ritten zuweilen von der goldnen Brenne auf preußisches Gebiet, und es kam
dabei auch einmal zu einem komischen Zwischenfall. Die Ulanen ritten den
Chasseurs entgegen, nachdem der Rittmeister von L. seinen Leuten gesagt hatte,
daß die Chasseurs die afrikanische Gewohnheit hätten, den Kampf mit einem
Gebrüll zu eröffnen. Kaum hatte er dieses Gebrüll angekündigt, so erscholl es,
und lachend eilte die Schwadron zum Angriff, aber die Chasseurs hielten nicht
stand, sondern kehrten zurück. Fast zu sehr sank durch ähnliche Erfahrungen
die Achtung vor den Feinden.

Gestern Abend wurde ein französischer Deserteur eingebracht, den ein
Gensdarm in einem Wirtshause zu Clarenthal gefaßt hatte. Wir examinirten
ihn im Gasthaus zur Post, wo der Regimentskommandeur meist seine Anord¬
nungen trifft. Der Franzose war gut uniformirt, doch hatte er sein Gewehr
zurückgelassen. Er erlog schnell eine Geschichte, die ihn würdig machen sollte,
als Kriegsgefangener zu gelten. Den folgenden Tag wurde er ins Innere
geschafft.

Wir hören, daß in Metz sich alles zum Überschreiten der Grenze anschickt,
die Kanonen sind auf der Hauptstation zum Transport fertig. Der Minister
Leboeuf versichert, alles sei g.relüpröt, wir müssen es glauben. Es wurde das
Wunderlichste angekündigt und geglaubt. Bald hörte man aus "bester Quelle,"
die Frauzosen seien schon in der Simbach in einer Zahl von 30 000 Mann
angelangt und könnten in zwei Stunden hier sein, bald sollten sie von der ent¬
gegengesetzten Seite, von Ludweiler her, sich in Massen nähern. Jetzt nehmen
wir alle solche Gerüchte kühl auf. Aber doch kaufen sich viele Bürger Vorräte
von Brot, Hülsenfrüchten und Schinken. Denn es ist bekannt geworden, daß,
wenn wirklich ein größerer Anmarsch der Franzosen erfolgt (und er ist von
dem kommandirenden General von Gruben als wahrscheinlich bezeichnet worden),
die wenigen Mann Ulanen und Infanterie (750 Mann) fechtend zurückgehen


Grenzboten III. 1387. 31
Aus einem Kriegstagebuchs,

Chasfepots und machen bedenkliche Gesichter, wenn sie an die eignen Zünd-
ncidclgewehre denken, die nicht halb so weit tragen.

Die Tage werden immer aufregender. Ein Füsilier Krauß hat den ersten
Franzosen erschossen und ist deswegen Gefreiter geworden, dagegen hat auch
ein soeben eingetretener Ulan sein junges Leben lassen müssen. An dem Wirts¬
hause am Exerzierplatze sammeln sich unsre Bürger gern, um mit bewaffneten
und unbewaffneten Augen die Berge und Häuser an der Grenze zu beobachten.
Die Franzosen fühlen sich dadurch verletzt und senden uns Granaten, die die
Mauern des Wirtshauses durchlöchern und an den Spiegeln und Tischen Zer¬
störungen anrichten. Unsre Leute waren gewarnt und flüchteten. Eine Granate
flog sogar über die Höhe herüber bis unten am Hahnen bei dem Versorgungs¬
haus. Wir glaubten, die roten Massen würden schon jetzt einen Angriff
machen und die Höhen verlassen. Aber es war noch nicht so weit. Die Chasseurs
ritten zuweilen von der goldnen Brenne auf preußisches Gebiet, und es kam
dabei auch einmal zu einem komischen Zwischenfall. Die Ulanen ritten den
Chasseurs entgegen, nachdem der Rittmeister von L. seinen Leuten gesagt hatte,
daß die Chasseurs die afrikanische Gewohnheit hätten, den Kampf mit einem
Gebrüll zu eröffnen. Kaum hatte er dieses Gebrüll angekündigt, so erscholl es,
und lachend eilte die Schwadron zum Angriff, aber die Chasseurs hielten nicht
stand, sondern kehrten zurück. Fast zu sehr sank durch ähnliche Erfahrungen
die Achtung vor den Feinden.

Gestern Abend wurde ein französischer Deserteur eingebracht, den ein
Gensdarm in einem Wirtshause zu Clarenthal gefaßt hatte. Wir examinirten
ihn im Gasthaus zur Post, wo der Regimentskommandeur meist seine Anord¬
nungen trifft. Der Franzose war gut uniformirt, doch hatte er sein Gewehr
zurückgelassen. Er erlog schnell eine Geschichte, die ihn würdig machen sollte,
als Kriegsgefangener zu gelten. Den folgenden Tag wurde er ins Innere
geschafft.

Wir hören, daß in Metz sich alles zum Überschreiten der Grenze anschickt,
die Kanonen sind auf der Hauptstation zum Transport fertig. Der Minister
Leboeuf versichert, alles sei g.relüpröt, wir müssen es glauben. Es wurde das
Wunderlichste angekündigt und geglaubt. Bald hörte man aus „bester Quelle,"
die Frauzosen seien schon in der Simbach in einer Zahl von 30 000 Mann
angelangt und könnten in zwei Stunden hier sein, bald sollten sie von der ent¬
gegengesetzten Seite, von Ludweiler her, sich in Massen nähern. Jetzt nehmen
wir alle solche Gerüchte kühl auf. Aber doch kaufen sich viele Bürger Vorräte
von Brot, Hülsenfrüchten und Schinken. Denn es ist bekannt geworden, daß,
wenn wirklich ein größerer Anmarsch der Franzosen erfolgt (und er ist von
dem kommandirenden General von Gruben als wahrscheinlich bezeichnet worden),
die wenigen Mann Ulanen und Infanterie (750 Mann) fechtend zurückgehen


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[0249] Aus einem Kriegstagebuchs, Chasfepots und machen bedenkliche Gesichter, wenn sie an die eignen Zünd- ncidclgewehre denken, die nicht halb so weit tragen. Die Tage werden immer aufregender. Ein Füsilier Krauß hat den ersten Franzosen erschossen und ist deswegen Gefreiter geworden, dagegen hat auch ein soeben eingetretener Ulan sein junges Leben lassen müssen. An dem Wirts¬ hause am Exerzierplatze sammeln sich unsre Bürger gern, um mit bewaffneten und unbewaffneten Augen die Berge und Häuser an der Grenze zu beobachten. Die Franzosen fühlen sich dadurch verletzt und senden uns Granaten, die die Mauern des Wirtshauses durchlöchern und an den Spiegeln und Tischen Zer¬ störungen anrichten. Unsre Leute waren gewarnt und flüchteten. Eine Granate flog sogar über die Höhe herüber bis unten am Hahnen bei dem Versorgungs¬ haus. Wir glaubten, die roten Massen würden schon jetzt einen Angriff machen und die Höhen verlassen. Aber es war noch nicht so weit. Die Chasseurs ritten zuweilen von der goldnen Brenne auf preußisches Gebiet, und es kam dabei auch einmal zu einem komischen Zwischenfall. Die Ulanen ritten den Chasseurs entgegen, nachdem der Rittmeister von L. seinen Leuten gesagt hatte, daß die Chasseurs die afrikanische Gewohnheit hätten, den Kampf mit einem Gebrüll zu eröffnen. Kaum hatte er dieses Gebrüll angekündigt, so erscholl es, und lachend eilte die Schwadron zum Angriff, aber die Chasseurs hielten nicht stand, sondern kehrten zurück. Fast zu sehr sank durch ähnliche Erfahrungen die Achtung vor den Feinden. Gestern Abend wurde ein französischer Deserteur eingebracht, den ein Gensdarm in einem Wirtshause zu Clarenthal gefaßt hatte. Wir examinirten ihn im Gasthaus zur Post, wo der Regimentskommandeur meist seine Anord¬ nungen trifft. Der Franzose war gut uniformirt, doch hatte er sein Gewehr zurückgelassen. Er erlog schnell eine Geschichte, die ihn würdig machen sollte, als Kriegsgefangener zu gelten. Den folgenden Tag wurde er ins Innere geschafft. Wir hören, daß in Metz sich alles zum Überschreiten der Grenze anschickt, die Kanonen sind auf der Hauptstation zum Transport fertig. Der Minister Leboeuf versichert, alles sei g.relüpröt, wir müssen es glauben. Es wurde das Wunderlichste angekündigt und geglaubt. Bald hörte man aus „bester Quelle," die Frauzosen seien schon in der Simbach in einer Zahl von 30 000 Mann angelangt und könnten in zwei Stunden hier sein, bald sollten sie von der ent¬ gegengesetzten Seite, von Ludweiler her, sich in Massen nähern. Jetzt nehmen wir alle solche Gerüchte kühl auf. Aber doch kaufen sich viele Bürger Vorräte von Brot, Hülsenfrüchten und Schinken. Denn es ist bekannt geworden, daß, wenn wirklich ein größerer Anmarsch der Franzosen erfolgt (und er ist von dem kommandirenden General von Gruben als wahrscheinlich bezeichnet worden), die wenigen Mann Ulanen und Infanterie (750 Mann) fechtend zurückgehen Grenzboten III. 1387. 31

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/249>, abgerufen am 15.05.2024.